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© Uwe Bahn

Sea Cloud II: Eine Seefahrt, die ist lustig...

Eine Kreuzfahrt auf Großseglern fasziniert die Passagiere, zumal wenn sie dabei in Luxus schwelgen.

Sie haben sich alle den Wecker auf 8 Uhr gestellt. Das ist auf mancher Spaßkreuzfahrt mitten in der Nacht. Aber hier sind die Passagiere zu früher Stunde vollzählig an Deck. Dieser Moment ist es, der die Faszination der „Sea Cloud II“ ausmacht. Vor allem deshalb sind die 90 Gäste dieser Karibikkreuzfahrt an Bord. Endlich greift sich Kapitän Evgeny Nemerzhitsky sein Walkie-Talkie und gibt das Kommando, auf das alle warten: „Set sail!“

Hoch oben im vorderen Fock- und im mittleren Großmast lösen die Matrosen die Schlaufen. In atemberaubender Höhe von 50 Metern, angeseilt wie die Bergsteiger am Eiger. Und dann bekommen die drei kahlen Masten der Bark ihr weißes Kleid: Die „Sea Cloud“ steht unter vollen Segeln, im karibischen Meer, einem der schönsten Segelreviere der Welt. Wie an einer Perlenkette sind hier die kleinen Antillen aneinandergereiht: Canouan Island, Bequia oder Anguilla – so einige Stationen dieser Tour. Hier segelte Ende des 15. Jahrhunderts Columbus in der irrigen Annahme, er habe Westindien erreicht. Daher auch heute noch der Name „Westindische Inseln“.

In der europäisch-kalten Jahreszeit ist die Karibik die Kreuzfahrtdestination schlechthin. Wenn die Hurrikane sich ausgetobt haben, schicken vor allem die amerikanischen Reedereien ihre schwimmenden Städte zu den Inseln. Nach St. Lucia, Sint Maarten oder Antigua, wo die Goliath-Schiffe überhaupt noch festmachen können. Die „Sea Cloud II“ fährt einen anderen Kurs, sie wirft den Anker dort, wo es für die Großen weder Liege- nach Ankerplätze gibt. Zum Beispiel in der Bucht von Soufrière, direkt vor den beiden Pitons, den Bergkegeln von St. Lucia. Mit Tenderbooten werden die Passagiere hinübergebracht. Oder es geht mit den Zodiacs zu einsamen Stränden, die nur auf dem Wasserweg erreichbar sind.

Bei einem Schiff mit 3000 Passagieren ist das undenkbar. Das hat zwar zehn Restaurants, eine Shoppingmeile und einen Wellnessbereich. Aber das vermisst auf der „Sea Cloud II“ niemand, hängen doch auf diesem Windjammer 2800 Quadratmeter Segelfläche an den drei Masten – das ist Entertainment. Ein Theater fehlt hier ebenso wie eine Diskothek. Dafür gibt es für alle Interessierten nautische Nachhilfe bei Thomas Darlington, dem ersten Offizier an Bord.

Alle 24 Segel haben einen Namen, ob „Außen Klüver“ oder „Groß Untermars“. Und der Seemann kennt sie alle. Die Takelage ist ein Gesamtkunstwerk, das die meisten dann doch mehr in der Praxis fasziniert. Wer sich dennoch in die Mastmaterie vertiefen will, findet seine Gesprächspartner auf der Brücke. Die ist für alle Passagiere offen. Ausnahme: Bei einem Segelmanöver, denn das ist auf dem Schiff noch echte Handarbeit, die kein Joystick oder Knopfdruck erledigen kann.

Segeln wie es um 1900 noch üblich war, so die Grundidee beim Bau der Dreimastbark. Vorbild war das Schwesterschiff „Sea Cloud“, auch ein echter Rahsegler, der 1931 in Kiel gebaut wurde. Siebzig Jahre später, am 6. Februar 2001 wurde die „Sea Cloud II“ nach dreijähriger Bauzeit in Las Palmas getauft. Seitdem hat sie immer eine Handbreit Wasser unter dem Kiel und so manchen Sturm überstanden. Heute bläst der Wind mit Stärke fünf – ideales Segelwetter, der Kapitän ist in seinem Element.

Wo auf der Sea Cloud Flaute herrscht lesen Sie auf Seite zwei.

Flaute herrscht dagegen in der Praxis von Heiko Bienengräber. Kaum jemand lässt sich in der Sprechstunde des Bordarztes blicken. Einige Passagiere haben ein Pflaster hinterm Ohr, vorbeugend gegen Seekrankheit – das war’s. Ob’s am Essen liegt?

Denn damit niemandem flau wird im Magen, beginnt der Mahlzeitenmarathon bereits um sechs Uhr. Auf Frühaufsteher warten Schnittchen, Gebäck, Tee und Kaffee auf dem Lidodeck. Am selben Ort endet auch der kulinarische Karibiktag mit dem Mitternachtssnack. Dazwischen: Frühstücks- und Mittagsbüfett, Happy- Hour-Happen, Abendmenü im Restaurant. Da darf man dann etwas feiner erscheinen, sonst ist die Bordgarderobe gepflegt sportlich-maritim.

Dresscode Bermudashorts und buntes Hemd dagegen beim Barbecue am Strand. Dazu tendert die Küchencrew die halbe Bordküche an den Strand der Insel Nevis. Bei gegrillten Garnelen, Rumpunch und den Klängen von Reggaemusik erscheint der Sonnenuntergang noch schöner als vom Lidodeck aus. Dort ist der angestammte Platz von Gaynor Trammer. An ihrem kleinen Piano sitzt die Amerikanerin hinter der Bar und untermalt die blaue Stunde mit „As time goes by“ und anderen Klassikern aus ihrem 1500-Stücke-Repertoire. Unaufdringliche Bordunterhaltung, die an dem einen oder anderen Abend durchaus etwas karibischer sein könnte.

Das Interieur an Bord ist klassisch-maritim, das heißt: viel Messing, viel Mahagoni. Äußerst ästhetisch auch die 47 Kabinen, die mit Marmorbädern ausgestattet sind. Wer Bordsport treiben will, der kann den kleinen Sauna-/Fitnessbereich auf dem Kabinendeck nutzen. Meist sind die Räume verwaist, denn ein Aufguss vor Antigua wirkt klimatisch komisch. Willkommen hingegen das größte Freibad der Karibik: An der Steuerbordseite lässt sich eine Badeplattform hinunterklappen. Und die wird reichlich genutzt: Baden vor Bequia – ganz besonderer Frühsport.

Die Abende an Deck sind ganz entspannt. Doch einmal während des Törns übernimmt die Crew die Unterhaltung, dann hat der bordeigene Shanty-Chor seinen Auftritt. „I am Sailing“ oder „Hamburger Veermaster“ werden vielstimmig über die Planken geschmettert. Ohne Zugaben kommt die Besatzung nie davon. Aber dann schickt sie Chorleiter Vasile doch in die Kojen. Morgen früh müssen die Matrosen wieder in den Mast. Denn um neun Uhr steht im Tagesprogramm wieder großer Sport an: „Set sail“. Und darin sind sich die Passagiere einig: Es lohnt sich, für dieses Spektakel den Wecker auf 8 Uhr zu stellen.

Uwe Bahn

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