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Auf hoher See scheint das Lächeln der aus Eschenholz geschnitzten Galionsfigur noch deutlicher zu sein.

© promo

Segelschulschiff: Hoffnung ist immer grün

Sozialtraining: Die „Alexander von Humboldt II“ lehrt junge Menschen nicht nur das Segeln.

Oha! Das Hamburger „Alsterradio“ sagt sieben Windstärken voraus. Da könnte der geplante Schnuppertörn mit der „Alexander von Humboldt II“ in Richtung Nordsee ausgesprochen knackig ausfallen. Dabei wollen wir die stählerne Bark der Deutschen Stiftung Sail Training (DSST) nur etwas genauer in Augenschein nehmen. Denn das Ausbildungsschiff hat Ende 2011 die erste „Alex“ ersetzt – das „Becks-Schiff“ aus der Werbung. Die „Alex II“ ist zudem der erste Neubau eines deutschen Großseglers nach dem Bau der „Gorch Fock“, dem Ausbildungsschiff der Marine. Und die wurde am 24. Februar 1958 auf Kiel gelegt.

Wir gehen an Bord. Es riecht nach Erbsensuppe. Oben in der Takelage binden die Jungs bereits die Segel von den Rahen los. Schließlich liegt der Dreimaster noch ganz ruhig am Kai. Man muss ja nicht unnötig viel Wind machen. Ein bisschen Folklore aus den Zeiten der Weizensegler um Kap Hoorn darf allerdings ruhig sein. „Hol – Weg, Hol – Weg, Hol – Weg“, schallt es vom Hauptdeck: Die Besatzung brasst die Rahen. Das heißt: Sie ziehen die Rahen horizontal um den Mast, damit der Wind die Segel aus der zu erwartenden Richtung voll erfasst. Und schon legen wir ab. „André, die Leinen losmachen“, ruft Kathrin, Wachführerin an Deck. Und sie setzt noch das Wörtchen „bitte“ hinzu.

Gar nicht so einfach aus der engen Parklücke rauszukommen. Doch Kapitän Reimer Peters hat die Ruhe weg: Weit mehr als 50 Berufsjahre auf See haben sich in das Fahrtenbuch seines Lebens eingeschrieben. In einigen Jahren wird er 80. Peters hat als Leiter der Bauaufsicht der DSST wesentlich zum Entstehen des neuen Schiffes beigetragen. Das Ablegemanöver ist unter den gegebenen Umständen für ihn kein Problem. „Es gibt aber auch andere Situationen“, sagt der Kapitän.

Dann hebt er zu einer improvisierten Ansprache an Deck an. „Unser Ziel ist es, traditionelle Seemannschaft auf Großseglern zu lehren“, informiert Peters die Tagesgäste. Und warum es gelte, auf dieses Ziel Kurs zu halten, sagt er auch: „Sail Training ist Sozialtraining.“ Zwar wird jeder, der an Bord der „Alex II“ ist, als Teil der Mannschaft gesehen – doch als Zielgruppe sieht die Stiftung vor allem die 15- bis 25-Jährigen. „Uns geht es darum, die Glut zu retten und nicht die Asche anzubeten“, sagt Peters, der wie jeder richtige Seemann immer für einen Spruch gut ist.

25 bis 30 Mann gehören zur Stammbesatzung, maximal 80 Mann Crew können an Bord gehen. Felix, 44, Ingenieur von Beruf, fährt diesmal als Matrose mit. Vor 20 Jahren war er schon an Bord der alten „Alex“. Auf einer Revierfahrt, der Fahrt vom Anker- oder Liegeplatz bis zum Erreichen der offenen See, hat er heute nicht wirklich etwas zu befürchten. Zumal die Segel, die wir setzen, beschriftet sind. Ist schließlich ein Schulschiff, auf dem jeder anheuern kann. Aber Seekrankheit ist natürlich auch für Felix ein Thema, zu dem er eine Menge erzählen kann.

„In der ersten Phase der Seekrankheit glaubt man, man müsse sterben“, hat er erlebt. „In der zweiten Phase aber will man nur noch sterben.“ Und deshalb wurde auch kein Seemann aus ihm? „Nein, deshalb nicht“, sagt der feingliedrige Mann, „damit ist man ja nach eineinhalb Tagen durch.“ Aber auf See sei das Leben eben doch sehr rustikal. Die Arbeitsbedingungen seien hart, der Kontakt nach Hause fehle.

An Bord der „Alex II“ erinnert wenig an die Vorgängerin

Der als Bark getakelte Dreimaster läuft unter vollen Segeln.
Der als Bark getakelte Dreimaster läuft unter vollen Segeln.

© promo

Die neue „Alex“ hat ein Deck mehr als ihre Vorgängerin, die 1906 als Feuerschiff unter dem Namen „Reserve Sonderburg“ gebaut wurde und heute vor einer ungewissen Zukunft steht. Es müsste ungefähr der gleiche Betrag in den Altbau investiert werden, wie der Neubau gekostet hat: 15 Millionen Euro würden gebraucht, um das alte Schiff auf Vordermann zu bringen. Es geht dabei auch um die neuesten Sicherheitsstandards.

Die alte „Alex“ sollte nach dem Verkauf an den Bremerhavener Unternehmer Manfred Spitzkowsky in der Karibik Tagestörns fahren. Das erwies sich jedoch als finanziell nicht tragfähig. Jetzt hat die Bark wieder in Bremerhaven festgemacht. Es gibt Verhandlungen mit Interessenten, die die alte „Alex“ kaufen und betreiben wollen, von einem neuen Anlauf mit Tagestörns auf Ibiza ist die Rede. Ein Dahindümpeln im Schifffahrtsmuseum von Bremerhaven ist für das „Becks-Schiff“ allerdings auch nicht ausgeschlossen.

Mit dem Image ihrer Vorgängerin tut sich die „Alex II“ durchaus schwer. Weil Becks – beziehungsweise die neuen Eigentümer der Brauerei – als Sponsoren der Reederei DSST absprangen, gibt es keine Veranlassung mehr, flaschengrüne Segel zu setzen. Zumal die teuer sind, auf salziger See schnell ausbleichen und dadurch unansehnlich werden. Gleichwohl: Den Rumpf der „Alex II“ haben sie als Reminiszenz grün gestrichen – das positive Signal der Farbe der Hoffnung sollte erhalten bleiben.

An Bord der „Alex II“ erinnert wenig an die Vorgängerin. Zum Beispiel laufen in der Waschküche zwei nagelneue Maschinen. „Wir haben mehrere Fabrikate ausprobiert“, erzählt Rudergänger Daniel bei der Schiffsführung, „doch die Miele-Maschinen waren bei Seegang die einzigen, die nicht in Schleudern kamen.“ Durch das zusätzliche Deck gibt es jetzt auch deutlich mehr Platz für die Besatzung. Verhältnismäßig geräumige Vierbett-Kammern, die meist mit drei Mann aus unterschiedlichen Wachen belegt werden, sind die Regel.

Jeder muss übrigens ein bisschen Geld für den Aufenthalt an Bord mitbringen. Matrose Felix etwa steuert täglich einen „Heiermann“ – eigentlich fünf D-Mark, heute fünf Euro – bei. Es gibt einen Schulungsraum, eine Bar zum gepflegten Durststillen und für die Repräsentationspflichten des Kapitäns sowie eine gut ausgestattete Kombüse. Das Essen ist gelegentlich anspruchsvoller als Erbsensuppe, sagt Daniel. Schweinegeschnetzeltes mit Nudeln etwa schmecke klasse.

Teamarbeit. Sail Training ist Sozialtraining.
Teamarbeit. Sail Training ist Sozialtraining.

© Reinhart Bünger

Hoppla, wir sind ja schon wieder auf der Rückfahrt, stellen wir beim Blick durchs Bullauge in der Mannschaftsmesse fest. Oder war es das „Becks“, dem auch auf der „Alex II“ – in Maßen – die Treue gehalten wird? Nein, da vorn kommt schon der Michel in Sicht. Die Maschine haben wir inzwischen abgeschaltet. Mit drei bis vier Knoten geht es mit vier gesetzten Rahsegeln überaus gemächlich Richtung Heimat. Nun wird wieder der schwarze Kegel an Deck gehisst.

Er sieht aus wie ein auf die Spitze gestellter Hut von Harry Potter und zeigt an, dass die „Alex II“ unter Segeln und Maschinenkraft läuft. Kapitänsroutine hin oder her – etwas Maschinenhilfe für die Bugstrahlruder ist beim Anlegen schon ganz praktisch. Es geht hier um nur wenige Meter. Für das Wörtchen „bitte“ nach seinen Anweisungen hat Kapitän Peters jetzt keine Zeit. Hinten haben sie nämlich das Schiff an Land zu früh festgemacht und Reimer Peters kann Gas geben, wie er will – er kommt einfach nicht voran: „Jörg, lass die Achterleine los, wir wollen nach vorn, Mann!“

Schließlich sind wir fest vertäut. Hat ja alles gut geklappt. Nein, hat es nicht. Als die Gangway geöffnet wird, kommt ein polnischer Offizier an Bord. Der an einer langen Stange angebrachte Scheinwerfer, der das Heck des vor uns liegenden Traditionsseglers illuminiert, ist beim Anlegemanöver touchiert und beschädigt worden. Nun wird von Kapitän Peters Entschädigung gefordert. „Selbstverständlich bezahlen wir das, aber nur gegen Rechnung“, sagt er mit einem Augenzwinkern.

Mehr Informationen im Netz unter: alex-2.de

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