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Schloss Melnik. Die Anlage am Zusammenfluss von Elbe und Moldau kann in Teilen auch innen besichtigt werden.

© Dagmar Krappe

Shippern auf der Moldau: Im Sechsachteltakt

Prachtbauten zum Landgang: Mit der „Florentina“ unterwegs auf der Moldau.

Chronologisch ist es nicht. Denn als „Die Moldau“ von Bedrich Smetana aus den Bordlautsprechern über das Sonnendeck zu scheppern beginnt, sind wir mit „Florentina“ schon fast beim Schlussakkord angekommen. Dort, wo die Moldau in der Ferne verschwindet, um nach 440 Kilometern bei Melnik in die Elbe zu münden.

Seit 1874, als der böhmische Komponist „Die Moldau“ als einen von sechs Zyklen in „Mein Vaterland“ schrieb, hat sich das „wilde, reißende Wasser“ stark verändert, wurde zur Energieerzeugung nutzbar gemacht. Erst rund 20 Kilometer oberhalb Prags ist die Vltava (Tschechisch für Moldau) schiffbar. Riesige Stauseen entstanden, um den Fluss zu zähmen und die Bevölkerung mit Trinkwasser und Strom zu versorgen. „Dadurch verschwanden in den 1940er und 50er Jahren die berühmten von Smetana vertonten Sankt-Johannes-Stromschnellen, die sich gerade mit lauten Paukenschlägen ankündigen“, erklärt Bordreiseleiterin Zdenka Steklíková.

Da wir ohnehin längst im Unterlauf der Moldau schippern, geben wir uns einfach der Musik hin und lassen die Landschaft mit grünen Wiesen, Weiden und Wäldern – ohne Bauernhochzeit und Jagdgesellschaft – an uns vorüberziehen. „Benannt wurden die Stromschnellen nach Johannes von Nepomuk, einem böhmischen Priester und Märtyrer. König Wenzel IV. ließ ihn im Jahre 1393 von der Karlsbrücke in die Moldau stoßen, da er ein Beichtgeheimnis nicht brechen wollte“, informiert Zdenka. Der Körper des im Wasser Treibenden soll von fünf Flammen umgeben gewesen sein, weshalb sein Konterfei häufig mit fünf Sternen um seinen Kopf abgebildet wird. Daran ist auch sein Bronze-Monument zwischen den diversen Figuren auf der Prager Karlsbrücke sofort zu erkennen.

In Melnik leuchtet das Schloss des Jírí Lobkowicz

Rund 50 Kilometer legt das Schiff bis zur Mündung der Moldau in die Labe (Tschechisch für Elbe) bei Melnik zurück. Das letzte Stück auf dem zu Beginn des 20. Jahrhunderts erbauten Moldau-Kanals. Insgesamt kreuzen wir 400 Kilometer auf beiden Flüssen und durchfahren 47 Schleusen. Schon mehr als 30 Jahre ist die in Berlin-Spandau gebaute „Florentina“ auf europäischen Flüssen wie Rhein, Donau und Elbe unterwegs. Seit 2008 nennt sie Prag an der Moldau ihren Heimathafen. Sie lag zeitweilig auch als Hotelschiff vor Dresden, von dem aus zwischen 1992 und 2000 die Talkshow „MDR-Club“ (später „Riverboat“) ausgestrahlt wurde.

In Melnik leuchtet das Schloss des Jírí Lobkowicz von der gegenüberliegenden Elbseite. Wenn auch in Zürich geboren, ist er der Nachfahre einer der einst reichsten Familien Tschechiens. Die Fürstenfamilie von Lobkowicz stammt aus dem Ort Lobkovice wenige Kilometer flussaufwärts. Als nach 1918 durch den Zerfall der österreich-ungarischen Monarchie der tschechoslowakische Staat entstand, wurde der Adelstitel aberkannt. Nach dem Zweiten Weltkrieg verloren sie auch das Schloss.

Rund um das Barockensemble baut Jírí Lobkowicz Wein an. „Nur vier Prozent des tschechischen Weins stammen aus Böhmen“, berichtet Zdenka. „96 Prozent kommen aus Mähren, wo die Sonne offenbar deutlich intensiver scheint“, bekommen die Passagiere zu hören. Davon können wir uns nach der Besichtigung der prunkvollen Schlossgemächer bei der anschließenden „herben“ Weinprobe im Schlosskeller überzeugen.

In Dvoráks Wohnzimmer

Kein Tanzpalast, doch die Kabinen auf der „Florentina“ bieten ausreichend Platz.
Kein Tanzpalast, doch die Kabinen auf der „Florentina“ bieten ausreichend Platz.

© Dagmar Krappe

Die „Florentina“ gleitet flussabwärts durch die Elbniederungen. Links und rechts gleiten Mais- und Zuckerrübenfelder vorüber. Weizen, Gerste und Hopfen werden angebaut. Es ist bereits dunkel, als das Schiff in Litomerice (Leitmeritz) anlegt. Wir sind im Spätsommer unterwegs, der Herbst kündigt sich mit Nebelschwaden am Morgen und kühlen Abenden an.

Mit Taschenlampen ausgerüstet, bricht die kleine Gruppe auf zum Karel-Mácha-Denkmal. Ein weiteres Monument des großen tschechischen Dichters der Romantik befindet sich auch in Prag auf dem Laurenziberg. „Dieses zu besuchen, lohnt sich auf jeden Fall“, rät die Bordreiseleiterin: „Schade, dass Sie nicht am 1. Mai hier sind. Denn wer an diesem Tag vor der Statue geküsst wird, wird ein ganzes Jahr Glück in der Liebe haben.“ Karel Hynek Mácha war nicht allzu viel Glück beschert. Er starb bereits mit knapp 26 Jahren in Leitmeritz, wo er kurz zuvor ein Praktikum in einer Rechtsanwaltskanzlei begonnen hatte. Das denkmalgeschützte Städtchen mit einem großzügig dimensionierten Stadtplatz, umgeben von Rathaus, Kirchen und Handelshäusern, ist in jedem Fall einen Ausflug wert.

Am nächsten Morgen wirft Kapitän Jírí Mikota schon vor Sonnenaufgang den Diesel an und nimmt Kurs auf die Böhmische Pforte, ein 50 Kilometer langes Tal im waldreichen Naturpark Böhmisches Mittelgebirge. Kurz vor Ústí nad Labem (Aussig) thront Burg Schreckenstein über dem rechten Flussufer. Sie wurde 1326 errichtet und gehört neben drei Schlössern ebenfalls einem Lobkowicz-Spross: William Lobkowicz. Geboren in Boston/Massachusetts. Zehn Paläste bekam er nach der Wende zurück. Von sechs trennte sich die Familie gleich wieder. Zu schlecht war der Zustand der Gebäude. Die übrigen werden seit Jahren restauriert. Sie können besichtigt werden, aber auch zu zahlreichen ausgefallenen Veranstaltungen wird dort geladen. Die drei weiteren Anwesen befinden sich in Roudnice, Nelahozeves und an der Prager Burg.

„Slawische Tänze“ und „Škoda lásky“

In Nelahozeves (Mülhausen) an der Moldau gilt es nicht nur dem Lobkowicz-Prachtbau zu erkunden, sondern die Flussreisenden erfahren auch mehr zu Antonín Dvorák. Das Geburtshaus des böhmischen Komponisten steht nur wenige Schritte vom Renaissance-Schloss mit seiner ungewöhnlichen Sgraffito-Fassade entfernt. Dvoráks Vater betrieb eine Metzgerei im Dorf. Seine Frau war die Tochter des damaligen Verwalters des Lobkowicz-Anwesens.

Im Wohnzimmer des Geburtshauses, das heute Museum ist, erklingen die „Slawischen Tänze“, die dem bis dahin unbekannten Künstler 1878 zum internationalen Durchbruch verhalfen, nachdem der Hamburger Komponist Johannes Brahms ihn seinem Verleger empfohlen hatte. „Schon mit 16 Jahren besuchte Dvorák die deutschsprachige Orgelschule in Prag“, erzählt die Museumsführerin: „Er kam aber sehr oft in seinen Heimatort zurück und spielte dann auf der Orgel in der Sankt Andreaskirche.“ In der kleinen unter Bäumen versteckten gotischen Kirche direkt gegenüber dem elterlichen Wohnhaus wurde der Komponist auch getauft.

Mitten in der Pampa ankert die „Florentina“ am letzten Abend. Die Crew bittet zum Kapitänsdinner. „Škoda lásky“ (bei uns bekannt als „Rosamunde“) und andere tschechische Volkslieder schallen über Panoramadeck und Stoppelfelder. Doch nur wenige Gäste wiegen sich in Decken gehüllt zur Musik. Selbst den Grillen am Flussufer ist es an diesem herbstlichen Abend sehr schnell zu kalt für ein Konzert.

Als das Schiff am frühen Morgen wieder Prag erreicht, bringt die Sonne die Kuppeln der zahlreichen Türme zum Leuchten. Auf der Karlsbrücke haben Händler schon Kitsch und Kunst ausgebreitet. Musiker packen ihre Instrumente aus. Die Nepomuk-Statue glänzt im Morgenlicht. Direkt hinter dem Altstädter Brückenturm vor dem Smetana-Museum steht ein lebensgroßes Denkmal des Komponisten. Jeden Tag hat er den Blick auf „seine“ Moldau, die nun ein letztes Mal für uns aus dem Bordlautsprecher erklingt.

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