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Das Rudel Rotwild vor dem Haus gehört zu dem Gesamtpaket, das Gut Steinbach mit Blick auf regionales schnürt.

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Slow Tourism in Bayern: Lieber ein Stern weniger

In Reit im Winkl probt Hotelier Graf von Moltke die neue Bescheidenheit. Slow Tourism ist Trend.

„Das war knapp – vorne sind die ersten Lamborghinis schon vorgefahren, und hinten die letzten Lkw mit Bauschutt abgefahren.“ Mit charmanter österreichischer Klangfärbung erzählt Maître und Gastgeber Roland Kiesenhofer über die Neueröffnung des Vier-Sterne-Hotels Gut Steinbach. Damit der Start samt Automobilpräsentation ein Erfolg wird, hat auch sein Chef mit Hand angelegt, der Hotelier und Unternehmer Klaus-Dieter Graf von Moltke. Dessen Fahrer steuerte am Vorabend den Hochdruckreiniger und er, der Chef vom Ganzen, den Straßenbesen.

Die Überreste der ehrlich erarbeiteten Schwiele am Handballen zeigt der 57-Jährige nicht ohne Stolz. Mit dem Fünf-Sterne-Superior-Hotel Egerner Höfe im vornehmen Rottach-Egern hatte er vor 20 Jahren seine Hotelierskarriere gestartet. Jetzt, im vergleichsweise geruhsamen Reit im Winkl soll es mit dem zweiten Hotel der Moltke-Gruppe ganz bewusst ein Stern weniger sein: „Fünf sind eine Barriere, hier soll aber niemand Schwellenangst haben. Deshalb gibt es zum Beispiel auch keinen Doorman.“ Und auch kein Sternerestaurant: „Ich will hier kein italienisches Mineralwasser, keinen französischen Rohmilchkäse und am liebsten nur Fleisch von heimischen Tieren und Fisch aus hiesigen Gewässern.“ Aber der Kabeljau auf der Karte? „Aus dem wird morgen ein Saibling oder eine Bachforelle – da muss ich gleich mal mit Herrn Hack reden...“

Achim Hack ist der Küchenchef. Zuletzt hat er sich mit großem Team einen Michelin-Stern in Moltkes Gourmetrestaurant in Rottach erkocht. Jetzt dirigiert er zwei Mitarbeiter, darunter einen in der Ausflugsgastronomie gestählten slowenischen Profikoch. „Bisher hat er bis zu 300 Schnitzel in einer Stunde rausgehauen oder zehn Liter Kaiserschmarrn auf einmal. Bei uns kommt es darauf an, sich zehn Minuten lang auf einen einzigen Teller zu konzentrieren.“ Und da sein Chef alles so regional wie möglich haben möchte, hat Hack sich auf die Suche gemacht. Nach Förstern, die ihm Gemsen liefern, nach Bergbauern und ihren raren Käsespezialitäten und nach Landwirten, die nicht nur simples Jungbullenfleisch, sondern auch glücklich gereifte Ochsen im bäuerlichen Portfolio haben. Einen Fischwirt ganz in der Nähe, der ihm 40 000 Saiblinge großzieht, hat er schon gefunden.

Den Traum vom Stern auch am neuen Herd hat Achim Hack allerdings erst einmal hintan gestellt, denn außer Rehrücken macht er jetzt auch Kasspatzen und Wiener Schnitzel. Und das macht den 42-Jährigen glücklich. „Hier fängt gerade etwas Neues an, und das ist total spannend!“

Gut Steinbach - nicht ohne Lüftmalerei
Gut Steinbach - nicht ohne Lüftmalerei

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Das Neue geht mit dem Alten eine liebevolle Liaison ein. Das Gut hat seine Ursprünge im 15. Jahrhundert. Als es kürzlich zum Verkauf stand, griff Moltke sofort zu. Mit zu dem Paket zählen drei Skischanzen, ein Rudel Rotwild, Wälder, Wiesen und ein eigener Brunnen. Die sensible Restaurierung war umfassend: Die Außenflächen mit heimischem Naturstein edel aufgewertet, in Lobby und Restaurants hängen jetzt alte bayerische Meister, unter dem runderneuerten Dach erstreckt sich jetzt ein hochmoderner Konferenzbereich mit Panoramablick, der ehemals mit billigen mediterranen Wandapplikationen verunstaltete Pool hat eine rustikale Holzverschalung bekommen, und das historisch gewachsene Tiroler Stübchen wirkt durch helle Vorhänge und unbehandelte Bodendielen gleich viel leichter.

55 Zimmer und Suiten wirken jetzt auf unverkitschte Art ebenso ländlich wie hochwertig. Hotelier von Moltke will hier ein Stück zeitgemäßer Alpenseligkeit schaffen – und zwar nachhaltig. Dass das ein blödes Modewort ist, weiß er auch. Aber die Wärmeerzeugung zu hundert Prozent aus heimischer Biomasse wie Abfällen der Holzindustrie, die Orientierung an altbayrischer Architektur und noch etwas bestärken seinen Anspruch: „Von den 4,5 Millionen Euro, die ich bis jetzt hier investiert habe, sind keine 50 000 außerhalb des Landkreises geflossen.“

Früher sei eines seiner Lebensziele gewesen, mit 60 mal ein Jahr alleine das Mittelmeer zu besegeln. Seit er vor sechs Jahren noch einmal Vater wurde, habe sich alles verschoben: „Ich möchte meiner kleinen Tochter etwas Beständiges hinterlassen, etwas, das weit über eine Immobilie hinaus geht – so etwas wie ein haltbares Nest.“ Begriffe wie Heimat, Achtsamkeit und Tradition gehen Moltke jetzt viel selbstverständlicher über die Lippen.

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Graf von Moltke
Graf von Moltke

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Zu den Plänen des agilen Unternehmers mit besten Beziehungen zu Industriellen, Motorsport und Politik gehört mehr als nur der Hotelbetrieb mit Blick auf das Kaisergebirge. Auf der Fläche von insgesamt 500 000 Quadratmetern soll in den kommenden Jahren noch ein ganzer Weiler entstehen. Mit sieben Ferienhäusern für Familien, die nicht ins Hotel wollen. Mit einer multifunktional nutzbaren Veranstaltungstenne und einem halben Dutzend Höfen im alpenländischen Baustil für vermögende Investoren mit der Sehnsucht nach dem einfachen Landleben: „Serviced Homes würde man wohl neubayrisch sagen.“ Ohne diese Mischkalkulation sei das Gut nicht profitabel zu betreiben, meint er. Wenn da nicht die bayerische Bürokratie wäre...

Ortstermin bei Bürgermeister Heigenhauser. Er residiert bescheiden im kleinen Rathaus über einer Bäckerei. Seine Gemeinde ist die älteste im gesamten Landkreis. Viele Junge zieht es weg aus der Randlage dahin, wo es mehr Arbeit gibt. Große neue Hotels entstehen alle im nahen Österreich aber nicht hier, wo es der Gemeinde guttäte. Selbst das Klubhaus des örtlichen Golfplatzes (der einzige grenzüberschreitende in Europa) steht, obwohl 12 der 18 Löcher auf bayerischem Boden liegen, auf dem Boden der österreichischen Nachbarn. Das wurmt.

Moltkes Pläne für den Ausbau von Steinbach haben daher seine volle Unterstützung. Auch der Gemeinderat ist einstimmig dafür. Schon wegen der zu erwartenden Arbeitsplätze für junge und qualifizierte Menschen. Zurzeit sind es 23, es sollen einmal 60 bis 70 werden. Die Bezirksregierung war zunächst skeptisch – wegen angeblich drohender Zersiedelung und der Präzedenzwirkung. Aber die Befürworter in Gemeinde und Landkreis haben Überzeugungsarbeit geleistet. Denn es könnten ganz andere Entwicklungen einsetzen – die „Russifizierung“ wie in Kitzbühel, wo bei vielen Gästen Geld anscheinend keine Rolle mehr spielt. Oder die „Arabisierung“ wie in Zell am See, wo vor allem im Sommer mit erhöhtem Burkaaufkommen zu rechnen ist. In Reit im Winkl ist man froh, zu 85 Prozent heimisches Publikum anzuziehen. Es kommen zusätzlich Holländer, Belgier, Franzosen, Briten.

Oben auf dem Hochplateau am Ufer des Steinbachs liegt auch schon ein „Tierplan“ in der Schublade, schließlich ist Moltke Stratege. Das Rudel Rotwild soll Küchenchef Hack beständigen Nachschub liefern. Der Gutsteich wird bald vergrößert, da kommen dann noch ein Dutzend Enten und Gänse hinein. Die ersten beiden Schweine sind schon angeschafft – eine österreichische Rasse, soviel Internationalität darf es dann doch sein. Und die Kinder von Feriengästen sollen auf dem Oldtimertrecker mit zur Ziegenfütterung fahren. Ziel ist, dass sich hier hoch über Reit im Winkl eine bäuerliche Landwirtschaft bildet, die das Hotel unabhängig von anonymen Produzenten macht. Damit die Menge stimmt, sind schon drei Landwirte gewonnen worden, die nach denselben Prinzipien von Nachhaltigkeit, Regionalität und artgerechter Haltung arbeiten. Wenn alles klappt, kann sich das Hotel mit ihrer Hilfe bald selbst versorgen. Slow Tourism statt nur Slow Food – so klingt es.

Gastgeber und Sommelier Roland Kiesenhofer hat seine Arbeit schon entschleunigt. Allerdings: „Eine kleine Weinkarte mit 90 Positionen zu schreiben, ist viel schwieriger als eine mit 500 oder 1000.“ Kiesenhofer hat sieben Jahre Streben nach dem vollkommenen kulinarischen Luxus hinter sich – er war mal Oberkellner in der Residenz Heinz Winkler in Aschau, als die noch drei Sterne im „Guide Michelin“ hatte. Auch er genießt jetzt das entspanntere Verhältnis zu den Gästen, die sich schon nach wenigen Tagen kaum noch Gedanken um die passende Garderobe machen, die das persönlichere Gespräch lieben und locker-professionellen Service zu schätzen wissen. Dass auch er jetzt sternemäßig einen Gang runtergeschaltet hat, gehört mit zu seinem persönlichen Entschleunigungsprogramm. „Statt in erster Linie Perfektion transportiere ich jetzt vor allem Freude – am Leben, an den Bergen, an der Heimat.“

Hotel Gut Steinbach, Steinbachweg 10, 83242 Reit im Winkl; Tel.: 086 40 / 80 70, Internet: gutsteinbach.de, Preise: Doppelzimmer ab 124 Euro mit Frühstück

Stefan Quante

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