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Spaßdampfer: "Mein Schiff" wird kommen

Der neue Spaßdampfer sucht noch sein Publikum – doch er kann es finden. Bisher hat Aida den Bug vorn.

Was hat dieser Mann vor? Mitten zwischen den gewaltigen Felswänden des Geiranger-Fjordes stoppt Kjell Holm sein Schiff. Ausgerechnet hier, in einer der spektakulärsten Passagen der Kreuzfahrt. Die Passagiere kleben an der Reling und schauen sich fassungslos an: Der Kapitän lässt das Schiff um neunzig Grad drehen – bis die 262,50 Meter quer im Fjord liegen. Und nun steuert er auf einen gewaltigen Wasserfall zu, der oben von den Felsklippen in die Tiefe stürzt. „Mein Staff-Kapitän möchte duschen“, die kurze knappe Erklärung.

Der Angesprochene steht derweil mit einem aufgespannten Regenschirm vorne an der Bugspitze. Wenige Augenblicke später prasselt das Wasser auf den Seemann hernieder. Tosender Applaus – das gibt’s ja auf keinem Schiff. Kjell Holm lächelt verschmitzt und sagt den Satz, den die Reederei so gerne hört: „Das ist mein Schiff!“

Diese Worte möchte Tui-Cruises auch von den Gästen hören, schließlich ist das der offizielle Name: „Mein Schiff“. Cleveres Marketing, ohne Frage. Dennoch gibt es eine Option: „Nicht mein Schiff.“ Also frei nach Shakespeare: „Mein“ oder „nicht mein“ – das ist hier die Frage.

„Mein Schiff“ soll für „Individualität und Freiraum“ stehen, so der Katalog. Ein kühner Kurs bei einer Kapazität von fast 2000 Passagieren. Aber in der Tat: Zwischen Back- und Steuerbord ist reichlich Raum. Weitläufig ist das Sonnendeck, hier kommt es zu keinen Kämpfen um die Liegen. Das ist gerade bei Schiffen der konkurrierenden Aida-Flotte oft ein Ärgernis.

Viel Platz auch in den zwei Pools. „Ich konnte sogar ein paar Bahnen ziehen“, schwärmt ein Schwimmer, der schon in so manches Schiffsbassin gestiegen ist. An sonnigen Seetagen sieht es aber auch auf diesem Pooldeck eher nach Benidorm als nach Bali aus.

Die Rettung ist nicht weit: der eigene Balkon. Zweihundert Balkone wurde beim Umbau von der ehemaligen „Galaxy“ zu „Mein Schiff“ zusätzlich angeschweißt. Sinnvoll, aber auch längst Standard bei allen neuen Schiffen. In der Kabine steht der Inbegriff der Individualität: die eigene Nespressomaschine! Das persönliche Glück wird lediglich dadurch getrübt, dass kaum jemand den Betriebsschalter der Kapsel- Kaffeemaschine findet. Also doch ab in eine der dreizehn Bars und Lounges.

Besonders beliebt: Die „Himmel & Meer-Lounge“ auf Deck 12, backbord vorn. Die riesigen Panorama-Fenster schlagen jeden Flatscreen – besonders in der Zauberlandschaft Norwegens. In den teppichgroßen Kuschelkissen schlürft so mancher seinen Cocktail, bis der Kapitän ihn mit der nächsten Durchsage weckt: Im Namen der Besatzung wolle er sich für den Sonnenschein in Bergen entschuldigen. Die Stadt sei sonst sehr zuverlässig verregnet. Alle Passagiere schmunzeln – Kjell Holm ist ein Glücksgriff für Reeder und Gäste.

Das Unterhaltungsprogramm an Bord hingegen eher weniger. „Premium“ soll es sein, Durchschnitt ist es. Die Abende im Theater wirken (noch) wenig inspiriert. Mit staubigen Schlagershows und müden Musicals werden nicht wie versprochen „neue Maßstäbe“ gesetzt. Bieder auch die Bands in den Bars – Schiffsstimmung kann so nicht aufkommen. Die Disco „Abtanzbar“ bleibt jeden Abend gähnend leer. Und sollte Bordpianist Bastian weiter singen, wird ihn irgendwann mal jemand verklagen. Im Entertainment also ist die Aida-Konkurrenz einen Atlantik voraus.

Deutlich knapper der vitale Vorsprung: Der 1700 Quadratmeter große Wellnessbereich „Spa & Meer“ mit den privaten Spa-Suiten (Sauna, Dampfbad, Lounge zur exklusiven Nutzung) gehört zu den Trümpfen auf dem Tui-Schiff. Von der Thai-Yoga-Massage bis zum schlammigen Rasulbad – alles ist im Angebot. Sogar eine Nassrasur für den Mann. Mit Traubenkernpeeling und Rotwein Aftershave-Gel. Wohlsein! Ob die größte Sauna auf See mit ihren 54 Plätzen besonders individuell ist, möge jeder im Angesicht seines Schweißes selbst entscheiden. Das fällt uns bei den Restaurants hingegen nicht schwer.

Eindeutig das Votum für die Grill-Gastronomie, das Steakhouse „Surf and Turf“ – es schmeckt. Auch wenn hier zugezahlt werden muss: Schon nach kurzer Zeit erkocht sich das T-Bone-Team seine Stammgäste. Well done! Eine andere Welt ist das rummelige Büfett-Restaurant „Anckelmann-Platz“: Wer als Gast einen philippinischen Dialekt beherrscht, ist klar im Vorteil. Wir müssen den Service-Kräften pantomimisch klarmachen, was ein Spiegelei ist. Das Etikett „deutschsprachiges Schiff“ gilt hier nur für die Passagiere.

Alternative steht das Restaurant „Atlantik“ mit verschiedenen Menüs zur Wahl. Hier wird der Gast auf zwei Decks bedient. Eigentlich der Ort um eine individuelle Duftmarke zu setzen. Noch allerdings haben Küche und Service genug Luft nach oben.

Im Heck von Deck 11 sind gleich drei Restaurants untergebracht: Das Italo-Bistro „La Vela“ bereitet frische Nudeln aus dem Wok. Das Schlangestehen lohnt sich. Der Spanier „Tapas y Más“ hat seine Stärken bei den Chorizzos und seine Schwächen bei den Datteln im Speckmantel. Klasse: Bei Sonnenschein lässt sich das Dach öffnen. Das „Fischhaus Gosch Sylt“ hat mit dem Nordsee- Original soviel gemein wie eine Garnele mit einer Giraffe. Und der Weißwein kommt zehn Minuten nach dem Essen. Nicht nur bei uns. Es bleibt bei einem einzigen Besuch.

Auf die „Blaue Welt Bar Sushi“ müssen wir ganz verzichten, da sie zum akustischen Einzugsbereich vom Bordpianisten Bastian gehört (siehe oben). Gelungen der Abend im Feinschmecker-Restaurant „Richard’s“: Beim Krimi-Dinner versöhnt die Entertainmentcrew mit Schauspieltalent – auch wenn wir den Mörder nicht erraten.

Vielleicht liegt auch in der Kleinkunst, im versteckten Charme die Chance dieses Schiffes. Unsere (und nicht nur unsere) Eindrücke: Aida hat noch in nahezu allen Bereichen den Bug vorn – mehr oder weniger deutlich. Und 13 Jahre mehr Erfahrung unter dem Kiel. Richard Vogel, Mit-Erfinder von Aida und jetzt Chef bei Tui Cruises hat also ganze Arbeit geleistet bei seinem früheren Arbeitgeber. Aber ganz klar: Auch „Mein Schiff“ hat Potenzial. Es wird sich fraglos seine Fans erfahren, dazu bedarf es noch einiger Korrekturen.

Am nächsten Morgen um neun bläst uns das Schiffshorn aus den Kabinen. Wo sind wir? Jedenfalls nicht dort, wo wir sein sollten. Der Kapitän hatte am Vorabend eine „kleine Überraschung“ angekündigt. Und siehe da: Er hat einen unplanmäßigen Abstecher in den Saudafjord nördlich von Stavanger gemacht. Und dort hat er nun das Schiff direkt vor einem Campingplatz postiert und tutet die schlafenden Skandinavier aus ihren Wohnmobilen. Diebische Freude auch beim norwegischen Lotsen: Noch nie hat sich hierher ein Kreuzfahrtschiff verirrt.

„Nicht ein Schiff, mein Schiff!“ Kjell Holm darf das sagen, es ist ja sein Schiff. Unseres kann es noch werden.

Uwe Bahn

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