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Kolumbien: Wo Fledermäuse golden sind

Kolumbien galt lange als unsicher und gefährlich. Nun kann man wieder hinreisen. Das Land steckt voller Überraschungen – schöne Strände inklusive.

Sie schimmern erhaben, gleißen verführerisch und glitzern böse, die filigranen Fledermäuse, Vogelfrauen und Jaguarmänner aus papierdünn gehämmertem Metall. Das Goldmuseum in Bogotá, das im November neu eröffnet wurde, feiert die Kunstfertigkeit und die Mythologie der präkolumbianischen Völker und blendet die rücksichtslose Gier der spanischen Eroberer eher aus. Doch jeder weiß, was geschehen ist, und so sehen sich die Besucher im vornehmen Halbdunkel wie von selbst konfrontiert mit den beiden prägenden Strängen der frühen kolumbianischen Geschichte. Aber der moderne Bau mit seinen in Spanisch und Englisch erklärten Ausstellungen ist mehr. Er ist auch ein Symbol. Er steht für den zugleich energischen und noch tastenden Versuch der Rückkehr des Landes in die Normalität. Und dazu gehört auch: Kolumbien will wieder auf die touristische Weltkarte.

An dem mächtigen Ceiba-Baum mitten in Gigante in der Provinz Huila, der an die Abschaffung der Sklaverei 1850 erinnert, schaukeln die Bärte der Flechten im Wind. Männer in Gummistiefeln, die Machete an der Seite und den weißen Strohhut auf dem Kopf, schlürfen in der Bar einen „tinto“, einen winzigen, tiefschwarzen Kaffee, und scheinen alle Zeit der Welt zu haben. Frauen, meist mit ein paar Kilo zu viel um die Hüften, haben es eilig und deuten einen Kniefall an, wenn sie an der Kirche vorbeigehen. Idyllisches Kleinstadtleben – dabei war die Provinz noch vor wenigen Jahren hart umkämpft, wie so viele Teile des Landes. Die Angst vor Gewalt und Entführung hat denn auch Besucher lange ferngehalten. Doch seit etwa 2005 ist es der Regierung mit militärischem Druck und Aussteigerprogrammen gelungen, die Guerillas der Farc und die rechten Paramilitärs in entlegenere Gegenden abzudrängen. Sie findet dafür Zustimmung: Die Kolumbianer möchten heute vor allem Frieden – auch wenn die Ursachen des Konflikts nicht beseitigt sind. Die weiten Reisfelder im Tal des Rio Magdalena, die Viehweiden im Norden, die Tabakpflanzungen und die akkurat ausgerichteten Kaffeeplantagen an steilsten Hängen gehören nach wie vor nur einigen wenigen. Trotzdem gelten heute weite Bereiche als sicher, darunter die wichtigen Überlandstraßen und die Touristenziele. Es ist wieder möglich und an der Zeit, ein vielfältiges Land mit angenehmen Menschen neu zu entdecken.

Älter als die goldenen Kostbarkeiten in Bogotá sind die steinernen Zeugen von St. Agustín. Doch ist es eine Königin, die da ein Kind gebiert? Oder ein gefräßiges Wesen, das sich einen Menschen hinter die Eckzähne schiebt? Trägt der Schlangenmann ein Geschmeide? Oder steht dieses Gebilde für weibliche Eierstöcke, wie Führer Carlos meint? Die Gräber und Felszeichungen und die 35 Statuen, die unter dem Blätterdach des Dschungels aufgereiht stehen wie an einem Kreuzweg, sind ein rechtes Verwirrspiel. In der Zeit zwischen 500 vor und 1000 nach Christus sollen sie entstanden sein: Grabwächter, Schutzgötter, Denkmäler ganz unterschiedlicher Kulturen? Mehr als das, meint Carlos’ Kollege. Hier tun sich Kraftfelder auf, fließen uralte Energieströme – und zum Beweis lässt er zwei Kupferstäbe kräftig ausschlagen.

Nach Capurganá hoch im Norden an der Grenze zu Panama gelangt man nur per Flieger oder Boot. Kleine Brücken und gewundene Gassen bilden so etwas wie einen Ortskern, Pferdekarren ersetzen die Autos, vor den Geschäften schäkern Mädchen mit Soldaten. Und am Strand stehen, kaum störend, vier All-inclusive-Hotels.

Am Kai verfrachtet ein blonder Mann einen Kasten Bier und drei Gäste in sein schlingerndes Boot. Lothar Berg aus Deutschland, Ex-FedEx-Manager, hat drei Kilometer nördlich in der zauberhaften Aguacate-Bucht einen Traum namens Bahia Lodge aus dem Boden gestampft: vier Bungalows und ein Mehrzimmerhaus. Dazwischen meerumspülte Felsen, weißer Sand unter Kokospalmen und eine luftige Bar – jeder Werbespot in Sachen Karibik könnte hier gedreht werden. Die Einwohner von Capurganá, das wechselnd den Einfall von Guerilla und ungeliebter Polizei ertragen musste, seien der vergangenen Kämpfe müde, meint Berg. „Sie leben so gern, sie lieben das Tanzen, Feiern und Fischen.“

Baden kann man auch in Cartagena de Indias – dort freilich in der Gesellschaft Tausender von Schönen und Bronzegebräunten. Die Chance, dass man dabei einige der Jetsetter dieser Welt entdeckt, stehen nicht schlecht. Cartagena zerfällt: in Bocagrande, „Klein-Miami“ im Meer, mit seinen hochgeschossenen Glas- und Betonburgen und in die Altstadt, ein pittoreskes Ensemble aus kolonialen Schmuckstücken und Ruinen. Stockfleckige Mauern wechseln mit eleganten Kolonialfassaden, schimmeliges Grau drängt sich zwischen warmes Ocker und lehmiges Rot, alteingesessene Smaragdhändler behaupten sich neben Benetton-Läden, und in die Nischen der Stadtmauer zwängen sich Liebespaare ohne Bleibe.

Zur Mittagszeit flüchtet, wer immer kann, in einen der kühlen Parks, wo Schulkinder alte Männer schachmatt setzen und ein Kleinganove seine Beute einem Hehler ungeniert aus einem Briefumschlag in die Hand schüttet: ein paar billige Ringe und eine Krawattennadel. Dass die Desplazados, die Vertriebenen der Kriege, die vom Land in den Süden der Stadt geflüchtet sind, die Idylle nicht stören, dafür sorgt eine allgegenwärtige Touristenpolizei.

Kolumbien ist das Land der Geschichten. Der berühmteste aller Geschichtenerzähler, Gabriel García Márquez, in ganz Lateinamerika nur „Gabo“ genannt, fand seinen Stoff im Hinterland der Karibikküste. Heftige Regenfälle haben im vergangenen November die Niederungen um Mompox überschwemmt. Braun und gar nicht träge zieht der Rio Magdalena vorbei und führt Inseln aus Wasserhyazinthen mit sich. Leguane sonnen sich in den Bäumen, Eisvögel jagen und der Carrao stakst auf langen Beinen durchs Feuchte: „Ein Selbstmördervogel“, sagt der Bootsmann. „Er frisst Schnecken. Findet er keine mehr, stürzt er sich in eine Astgabel und bricht sich den Hals.“ Fantastischer können auch Gabos Geschichten nicht sein.

Geboren wurde Gabriel García Márquez 1929 in Aracataca, südlich von Santa Marta. Der Schriftsteller Rafael Darío Jiménez hat in der 26 000-Einwohner-Stadt vor kurzem ein Restaurant eröffnet – „Gabo“ mit Namen, versteht sich – und im Hinterzimmer eine kleine Sammlung von Devotionalien zusammengetragen: alte Fotos, Titelseiten von Zeitungen, eine Broschüre über „Aracatacas berühmte Söhne“.

García Márquez’ Geburtshaus musste inzwischen abgerissen werden. An derselben Stelle errichtete man einen Nachbau, der in wenigen Wochen eröffnet werden soll. Er ist etwas steril geraten, mit seinem untypischen Betonboden, den noch makellos weißen Holzwänden und den braunen Türen. Rafael erzählt trotzdem gern, wie der kleine Gabo im Abstellraum in „1001 Nacht“ schmökerte oder sich ängstlich am düsteren Zimmer mit den Heiligenbildern vorbeidrückte.

Viel mehr vom Geiste des Nobelpreisträgers lebt im Städtchen selbst. Am Sonnabendnachmittag bauen die Roulettebetreiber ihre Spielfelder auf. Friseure schnippeln, Billardspieler kreiden ihre Queues und aus jedem Laden, jeder Bar dröhnt etwas leidenschaftlich Sehnsuchtsvolles. Es riecht nach Jasmin und Karamel und vor den sattblauen, eidechsengrünen und maisgelben Fassaden paradieren junge Frauen in knappsten, knallbunten Ringelpulis. Fast so farbenfroh und so fremd wie in García Márquez Romanen.

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