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Wer neu auf die Insel zieht und dort lebt, weiß bald, wo die ruhigen Ecken von Sylt liegen. Davon gibt es mehr als vermutet.

© Ute Quante

Sylt: Manchmal trifft man sich im Watt

Die Spitzenköche Sebastian Zier und Jens Rittmeyer sind Neu-Sylter. Wie sie die Insel verändert hat.

Es fing nicht gut an mit Sebastian Zier und Sylt. In Kärnten am alten Arbeitsplatz war er bei 27 Grad aufgebrochen, erreicht nachts das dänische Rømø nach 14 Stunden Autofahrt, das einzige Hotel am Ort ist geschlossen, und die Fähre geht erst am nächsten Tag. Für die erste Nacht fast in Sichtweite des neuen Arbeitsplatzes bleibt nur das Auto. Auf Sylt dann zehn Grad, Regen und mächtig viel Wind. Der erste Gedanke: „Ist die Fähre zurück schon weg?“

Der 36-jährige Badener ist geblieben und hat es nicht bereut. Sein Restaurant La Mer ganz im Norden der Insel ist inzwischen mit zwei Michelin-Sternen und 17 Punkten im Restaurantführer Gault-Millau eines der besten der Republik. Die private Liebe hat er auch gefunden, und Sylt ist dem Schwaben eine zweite Heimat geworden. Dabei war ihm die Nordsee bislang immer ein komplettes Rätsel gewesen: „Ich wusste nur, dass es Ebbe und Flut gibt.“

Heute weiß er mehr – zum Beispiel, wo es ausnehmend schön ist: In der Sauna am Weststrand von List oder am Ellenbogen, der nördlichsten Stelle Deutschlands, wo die See besonders eindrucksvoll ist. Beim Lunch in seinem liebsten Sushi-Restaurant der Insel, der Shirobar in Westerland, schwärmt ihm der Chef vor, wie atemberaubend gut man dort Kitesurfen kann. Sebastian Zier hört gebannt zu. Schließlich war er mal Schwarzwaldmeister im Snowboarden, wollte sogar Profi werden, aber musste sich dem väterlichen Druck beugen und erst einmal eine Kochlehre machen. Nach vielen Jahren mit 16-Stunden-Tagen in der Küche hätte er jetzt vielleicht endlich wieder etwas Zeit für Sport. Die beiden wollen sich bald mal treffen.

Sebastian Zier
Sebastian Zier

© Ute Quante

Für den autoverrückten Spitzenkoch lohnt sich hier auch, die Langsamkeit zu entdecken. Im alten Seefahrerdorf Keitum schwärmt Sebastian Zier von der durchdachten Bauweise der reetgedeckten Bauernhäuser. „Bei einer Dorfführung habe ich einiges über die Konstruktionsweise erfahren. Die großen Höfe sind so gebaut, dass die menschlichen Bewohner von der Wärme der Tiere nebenan profitiert haben.“

Am Keitumer Kreisverkehr stattet der Neu-Sylter einem aus Berlin zugezogenen Alt-Sylter einen Besuch ab. Dort hat Johannes King, der lange im Grunewalder Grand Slam Küchenchef war (aber auch gebürtiger Schwarzwälder ist), ein Delikatessgeschäft mit kleiner gastronomischer Abteilung eröffnet. Beim auf Sylt obligatorischen Glas Champagner schwärmt der Platzhirsch aus dem Rantumer Söl’ring Hof: „Die beiden jungen Chefs, Sebastian und Jens, haben uns Alte einander nähergebracht und das Wir-Gefühl gestärkt.“ Erstmals werden alle Sylter Spitzenköche im November gemeinsam beim Gourmetfestival im Hotel Budersand auftreten.

Küchenchef dort ist Jens Rittmeyer, der andere Jungstar der Insel. Ihn hat es ans südliche Ende von Sylt verschlagen, nach Hörnum. Auch ihm war kein rundum erfreulicher Start beschieden. Der gebürtige Hallenser kam hierher, als die Straße nach Hörnum noch in beklagenswertem Zustand war. Kraterlandschaften links und rechts. Einzig sein Navigationsgerät flößte ihm die Zuversicht ein, dass da noch etwas am Ende der Straße kommen würde – der luxuriöseste Hotelneubau der Insel nämlich. Das Budersand liegt direkt an Hafen und Hörnumer Golfplatz. Der ideale Ausgangspunkt für einen der beliebtesten Spazierwege Sylts – rund um die Inselspitze geht es von der idyllischen Wattseite zur oft windumtosten Seeseite. Langweilig wird das nie: Segelboote, Schiffe unterwegs nach Amrum oder Föhr – auf dem Wasser ist hier meist mehr los als an Land. Da immerhin zieht der Bilderbuch-Leuchtturm von Hörnum den Blick an.

Auf der Suche nach Wattschnecken

Jens Rittmeyer
Jens Rittmeyer

© Ute Quante

„Moin Willi!“ Auf der Schwelle zum Mittagsstopp im schlichten Strandrestaurant Meermann grüßt der 38-jährige Rittmeyer vertraut einen freundlichen Mann in Blau-Gelb. „Ja, hier kennt man seinen Briefträger noch.“ Und nicht nur den. Bei einer frischen Makrele (es gibt aber auch Milchreis oder Currywurst) erfährt der Besucher noch mehr: „Am Anfang war das schon etwas beängstigend, als ich zum ersten Mal in der Drogerie war und freundlich begrüßt wurde mit ‚Wie schön, Herr Rittmeyer, dass Sie mal bei uns vorbeischauen‘.“ Inzwischen ist die Irritation einem Gefühl von Heimeligkeit gewichen. „Bei dem Namen Sylt denken die meisten ja nur an die Partymeilen von Kampen, aber die Insel ist ja viel facettenreicher.“

Mit dem Extremsport hat es der Neu-Sylter allerdings nicht – zu gefährlich. „Seit ein Jungkoch sich mal beim Kitesurfen ein Bein gebrochen hat und drei Monate ausfiel, sind solche Sportarten bei uns verboten.“ Stattdessen fährt er lieber Rad, zum Beispiel im Rantum-Becken. „Das ist auch für Kinder toll – überall gibt es Kaninchen und Fasane zu sehen.“ Und zur Belohnung? „Ein Stück Kuchen in der Kupferkanne in Keitum – wenn man einen Platz bekommt.“

Über gute Shopping-Adressen lässt sich mit dem Meisterkoch nicht diskutieren. „Da bin ich eine komplette Fehlbesetzung.“ Doch wer wissen will, wo es die besten Kräuter und Wildpflanzen in der Sylter Natur zu entdecken gibt, ist bei ihm genau richtig. Als Vertreter der neuen Nordischen Küche und ihrer regionalen Produktorientierung hat er immer Augen und Nase geöffnet, denn es könnten ja noch unentdeckte kulinarische Schätze in der Inselnatur ruhen. Manchmal trifft er bei der Suche nach Wattschnecken oder Salzwiesenkräutern auch seinen Kollegen Johannes King, denn „die guten Stellen kennen wir beide“.

Ein Leben ohne Sicht auf die Weite des Wassers kann sich der Mann aus Sachsen-Anhalt inzwischen nicht mehr vorstellen. Denn bevor er auf Sylt anheuerte, war er sieben Jahre lang Küchenchef in Portugal, nur ein paar Meter vom Strand entfernt. Die Finanzkrise und in der Folge ausbleibende Kundschaft aus dem europäischen Ausland hatte ihn wieder in die alte Heimat getrieben – zuerst nach Berlin und dann weiter hoch in den Norden. Das im Vergleich zur Algarve deutlich herbere Wetter schreckte ihn nicht ab. Auch vom berüchtigten Inselkoller ist er bis heute komplett verschont geblieben. Und selbst die häufigen Starkwindlagen nimmt er mit Humor. „Unser Golfmanager sagt immer: ‚Wind nennt man es erst, wenn die Schafe keine Locken mehr haben‘.“

Stefan Quante

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