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Richtig Winter. Auf der Isergebirgsmagistrale bei Bedrichov.

© Monika Hippe

Tschechien: Wo Petrus selber weißelt

Skilangläufer haben es gut im Isergebirge. Die Loipen sind vortrefflich, die Preise niedrig.

Sssch, sssch, ssch… gleichmäßig surren die Skier in der Loipe. Das einzige Geräusch im Wald. Alles andere schluckt der Schnee. Er türmt sich auf den Bäumen, dass die Äste sich biegen. Selbst der Wind ist wie ein sanftes Kätzchen, das nur mal kurz auf einer Lichtung vorbeischnurrt. Der Himmel gähnt farblos über dem Isergebirge. Es gibt nichts, woran sich das Auge festhalten kann. Alles ist grau oder weiß – so als wäre über Nacht die Farbe aus der Landschaft gelaufen. Sssch, Sssch, Sssch. Zeit, die Gedanken zu sortieren und dabei den Alltagsballast an die nächste Fichte zu hängen.

Einige Tagträume später quillt Nebel aus den umliegenden Mooren hoch – und beflügelt die Fantasie: Wird an der nächsten Kurve womöglich Dr. Kittel mit wehendem Mantel aus dem Wald herausreiten? Der Bergdoktor behandelte im 18. Jahrhundert die Kranken mit Heilkräutern und zog dabei seine Rezepte aus Hexen- und Zauberbüchern, was ihm die Spitznamen „Zauberer von Schumburg“ und „Faust des Isergebirges“ einbrachte.

Während das Riesengebirge mit Rübezahl und Abfahrtski lockt, steht das westlich benachbarte Isergebirge für Dr. Kittel und Skilanglauf. Auf 800 bis 1100 Metern Höhe führen 180 Kilometer Loipen hügelauf und -ab bis nach Polen hinein. Mal geht es auf engen Spuren durch den Wald, dann wieder auf breiten Schneisen mit einem Mittelstreifen für Skatingfans. Guter Ausgangspunkt für Skitouren ist das beschauliche Dorf Bedrichov (Friedrichswald). Dort gibt es einen Skilift und einen Krämerladen. Familienpensionen bieten einfache Unterkünfte an. Im Ort leuchten Fassaden in Knallgelb und Babyrosa, als wollten die Einwohner mit dem Anstrich ihrer Häuser dem Wintergrau trotzen.

Doch mehr als die Häuser, geben Menschen wie Jirí Groh dem Landstrich Farbe. Der gemütliche Typ mit Bürstenschnauzer und Handwerkerhänden ist Loipenmacher. Meist rattert er früh morgens durch den Tiefschnee, damit er die Skiläufer nicht behindert. „Toll ist es, wenn bei Neuschnee die Sonne über dem Kamm aufgeht. Das ist dann die Belohnung für andere Nächte voller Nebel“, sagt Jirí. Manchmal findet er leere Energie-Gel-Fläschchen in der Loipe, die vom letzten Isergebirgslauf stammen und von freiwilligen Helfern eingesammelt werden.

Der 50-Kilometer-Skimarathon wurde 1968 von einer Gruppe einheimischer Bergsteiger begründet, die zum Skilaufen auf die Kämme des Isergebirges ausrückte. Als sie zwei Jahre später auf einer Expedition in Peru bei einem Erdbeben ums Leben kamen, veranstalteten Freunde den Skilauf als Gedenkmarathon. Im Laufe der Jahre ist er zu einer Sportveranstaltung für jedermann mit über 4000 Teilnehmern gewachsen.

Doris Šramlová gibt dem Wald seine Farbe zurück

An diesem Tag flitzen nur ein paar Skater und ein Langläufer mit seinem Terrier auf der Überholspur vorbei. Inzwischen schneit es, als wolle Petrus noch die letzten Flecken in der Landschaft weißeln. An einer Loipenkreuzung haben sich einige Skiläufer vor einer Baude gesammelt. Solch ehemalige Schutzhütten für Schafhirten werden heute als Kiosk oder Restaurant betrieben. Vor der Schieferdachhütte löffeln die Gäste dampfende Krautsuppe. Loipenmacher Jirí kommt oft in der Pause vorbei und trinkt einen Tee mit Zitrone, aufgebrüht mit Gewürzen nach dem Geheimrezept des Wirts Zdenek Müller.

Drinnen zeigt Müller auf ein paar Holzski aus dem vorigen Jahrhundert, die an den Deckenbalken hängen: „Die habe ich mal ausprobiert, gar nicht einfach. Damals musste man schon echter Könner sein.“ Schon dreimal hat er am Isergebirgslauf teilgenommen. Oft schnappt er sich am Abend noch Skier und Stirnlampe und läuft nach der Arbeit eine Runde im Dunkeln.

Ebenso wie die Bauden sind die vielen Aussichtstürme Markenzeichen der Region. Einst konnte man von oben bis auf die Gipfel der Nachbarhügel schauen. Eifrige Turmbesteiger verewigten die Anzahl ihrer Besuche in sogenannten Gipfelbüchern, die in den Gaststätten auslagen. Der 1012 Meter hohe „Jeschken“ mit seinem markanten Turm ist das Wahrzeichen der Region. Die Einwohner von Liberec (Reichenberg) sind so angetan von Berg und Turm, dass Wohnungen um so teurer sind, je besser man den Jeschken vom Fenster aus sehen kann.

Nach einer ausgedehnten Skitour in frischer Luft ist der Kopf wieder frei. Ein Saunabad am Abend entspannt die müden Muskeln. Danach besänftigen Knödel und Schweinebraten den Magen und mit Dr. Kittels Schlaftrunk geht es schnell ins Reich der Träume. Am nächsten Tag schneit es erneut. Eine trockene Alternative ist der Besuch der Spielzeugfabrik in Albrechtsdorf. Dort gibt Doris Šramlová dem Wald seine Farbe zurück. Die freundliche Tschechin bemalt Holzfiguren in der Werkstatt mit dem Türschild „Maulwurfgeburtsklinik“.

Vor ihr auf dem Tisch steht Krtek, der berühmte Maulwurf, bekannt als Pauli aus der „Sendung mit der Maus“. „Man muss eine ruhige Hand haben“, sagt Doris und tupft Krtek einen roten Klecks auf die Nase. Das traditionsreiche Unternehmen fertigt seit 1920 Holzspielzeug und erledigt dabei alle Arbeitsgänge selbst. Erst seit Kurzem kann man die Produktion besichtigen. Hier leuchtet alles herrlich bunt. So bunt, dass man sich bald wieder nach draußen sehnt – in die erholsame schwarz-weiße Winterlandschaft.

Tschechien auf der ITB: Halle 11.1

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