zum Hauptinhalt
Als rustikal darf die Gästehütte im „Kalingo-Stil“ schon bezeichnet werden. Allerdings ist die Unterkunft bei den Insel-Kariben auf Dominica auch authentisch.

© Martin Cyris

Urlaub in "Kalinago-Stil": Eine Faust für den Freund

Wer die Karibikinsel Dominica authentisch erleben will, bucht eine Hütte bei den Kalinago. Homestay – ein herrliches Abenteuer.

Eine dunkelbraune Hand streckt sich mir entgegen. Kopfnicken, ein scheues Lächeln. Dann folgt ein feuchter Händedruck. Zwangsläufig, mein Gegenüber ist nass bis auf die Haut. Barfuß steht er im aufgeweichten Seitenstreifen. Daneben ein buntes Holzschild, das auf sein Anwesen im Dschungel oberhalb der Straße hinweist: „Natural Vibes“. Es regnet in Strömen. Schon seit Tagen öffnet der Himmel schubweise seine Schleusen. Der üppige Norden von Dominica – ein einziges Feuchtgebiet.

Mein klatschnasses Gegenüber heißt Keith. Anfang 30, vom Volk der Kalinago, Plantagenbesitzer. Er schultert das kleinere Handgepäck. Ich bestehe darauf, meinen Trolley selbst zu tragen. Ultraleichte Hülle aus High-Tech-Kunststoff. Doch schwerelos wird der bleierne Inhalt durch sie auch nicht. Ballast, den westliche Reisende eben so mit sich herumschleppen. Der immaterielle kommt noch erschwerend hinzu.

Es geht einen glitschigen Trampelpfad hinauf. Die Luft ist schwülheiß. Oben angekommen, empfangen uns Hunde und Hühner. Keith präsentiert den Vorratsgarten, die Freiluftküche, das Plumpsklo und meine Gästehütte. Selbst gebaut aus Palmzweigen. „Kalinago-Stil“, erklärt Keith. Drinnen ist eine zusammengenagelte Liegestatt zu erkennen. Darauf eine dünne Matratze mit einem Laken und einem Moskitonetz. Der lehmige Boden ist aufgeweicht. Es raschelt. „Eidechsen“, sagt Keith.

Ich verstaue mein Gepäck – und frage mich, was mich geritten hat, das bequeme Hotel in der Hauptstadt Roseau gegen die Strohbude in der Pampa einzutauschen. Neugier? Abenteuerlust? Die Aussicht auf Natur pur?

Keine Zeit zum Grübeln. Keith ruft mich zu sich in die Outdoor-Lounge, bestehend aus zusammengefügten Baumhälften. Er bastelt an einem Windlicht für meine Hütte. Dazu halbiert er eine Kerze mit einem stumpfen Messer und steckt sie in ein Einweckglas. Unterdessen nippe ich an meinem mitgebrachten aber inzwischen kalt gewordenen „Coffee to go“. Wir sitzen unter einer Campingplane, an einem langen Holztisch. Er ist aus dem Gomme-Baum gefertigt. Daraus haben Keiths Vorfahren Kanus gefertigt. Das leicht entzündliche Harz benutzt er, um Feuer zu entfachen und Mücken zu vertreiben. „Es hält böse Geister ab“, sagt Keith.

Von der Feuerstelle quillt Rauch herüber. Keith beginnt zu erzählen. Die Plantage habe er von seinem Vater übernommen. Der handelte noch vor wenigen Jahren mit Bananen. Bis die Preise auf dem Markt verfielen. Mächtige Bananenstauden zeugen von dieser Ära.

Die letzten Indianer der Karibik

Von den Spaniern auf den Kleinen Antillen entdeckt: das Volk der Kalinago
Von den Spaniern auf den Kleinen Antillen entdeckt: das Volk der Kalinago

© Martin Cyris

Keith setzt nicht auf Monokultur und wirtschaftliche Abhängigkeit. Er ist Selbstversorger. Baut allerlei Früchte und Gemüse an, verkauft hier und da ein bisschen. Was er zum Kauen braucht, wirft die Natur buchstäblich ab: Kokosnüsse, Papayas, Mangos, Passionsfrüchte. Trinkwasser schafft er kanisterweise aus einem Fluss heran. „Die Natur gibt uns alles“, sinniert Keith.Er sei ein Rasta, also Anhänger der jamaikanischen Glaubensrichtung Rastafari. Bei aller Schlichtheit: Keith hat heute mehr als vor drei Jahren. Nicht zuletzt eine persönliche Zukunft. Damals hing er auf der Straße herum, nahm Drogen. Heute lebt er gesundheitsbewusst, naturverbunden, hat Kontakt zu Touristen. „Ich möchte einfach leben“, sagt er doppeldeutig.

Er gähnt. „Brother“, sagt er, „let’s have some vibes.“ Frei ins Deutsche übersetzt: Probier’s mal mit Gemütlichkeit. Die zentrale Weisheit aus dem weltberühmten Dschungelbuch. Keith zieht sich dazu in seine Hütte zurück. Feierabend? Von wegen. Ich liege schon im Halbschlaf, als Keith anfängt, auf eine Trommel einzuschlagen. Er stößt wilde Rufe und Urlaute aus. Dazu plumpsen dicke Regentropfen aufs Strohdach. Willkommen im Dschungelcamp. Um potenzielle Besucher nicht abzuschrecken: Niederschläge fallen zwar regelmäßig, aber die Sonne kommt weiß Gott nicht zu kurz. Prima Klima für tropische Früchte.

Auch die Kariben schlugen auf der grünen Insel Wurzeln. Sie kamen vor Jahrhunderten vom Festland, blieben bis heute – und die einzigen ihrer Art in der gesamten Karibik. Die Insel-Kariben, auch Kalinago, sind die letzten Indianer der Karibik. Im Nordosten Dominicas leben rund 3500 von ihnen in einem Reservat, dem Kalinago Territory. Nach westlicher Wohlstandsbetrachtung in mehrheitlich einfachen bis ärmlichen Verhältnissen. Besuchern lächeln sie nett zu – und halten meistens freundlich Distanz.

Das noch recht junge Homestay-Programm bringt Kalinago und Besucher aber jetzt näher. Es vermittelt Privatunterkünfte bei Einheimischen und gewährt Einblicke in die uralte Kalinago-Kultur. Ohne Schnörkel, ohne Gekünstel, ohne touristisches Tamtam. Und mitunter auch ohne fließend Wasser und Strom. Aber mit Mehrwert. Denn die Privataufenthalte geben neue Perspektiven. Den Touristen, aber auch den jungen Einheimischen.

„Die Homestays helfen uns, unsere Traditionen zu bewahren“, sagt Kevin Dangleben, Manager eines Kalinago-Kulturzentrums, „aber auch unsere Würde.“ Denn so erschlössen sich neue Einnahmequellen. Zu viele seien noch abhängig von der wenig ertragreichen Landwirtschaft. Der Begriff Kalinago sei heutzutage immer weniger eine ethnische denn eine soziale Kategorie. Ein Synonym für die Unterschicht auf Dominica.

Gesünder als ein Softdrink

Keith, der gastgebende Rasta, bei der täglichen Arbeit im Dschungel.
Keith, der gastgebende Rasta, bei der täglichen Arbeit im Dschungel.

© Martin Cyris

Das Kulturzentrum namens Barana Auté im Örtchen Crayfish River verwaltet die Homestays. „Die Besucher wollen authentische Erfahrungen“, sagt Dangleben. Es sind verschiedene Kategorien im Angebot, von der schlichten Strohhütte bis zum Zimmer mit Bad und WC. „Doch es werden fast nur die einfachen Unterkünfte nachgefragt“, sagt er. Nach Dominica kommen typischerweise vornehmlich Individualtouristen. Vor allem Wanderer auf dem Waitukubuli National Trail checken ein. Der Fernwanderweg führt durch das Kalinago Territory.

Am nächsten Morgen blitzt die Sonne durch die Wolken. Keith steht an einem altertümlich anmutenden Holzgebilde: Ein Pflock mit einem Hebel. Damit presst er Zuckerrohr aus. Er reicht mir ein Glas, um die süße Flüssigkeit zu trinken. „Gesünder als ein Softdrink, oder?“ Anschließend raspelt er eine Kokosnuss, um daraus Kassav zu backen, das traditionelle Kokosbrot. Es duftet nach gerösteten Kaffeebohnen. Der Kaffee auf Dominica ist eine Wucht. Aber selbst in größeren Supermärkten nicht leicht zu bekommen. Doch Keith hat genügend Bohnen in der Vorratsdose. Im Anbaugebiet schmeckt das Gebräu unvergleichlich intensiv.

Apropos Bad: Zeit für die Morgentoilette. Keith schickt mich zum Fluss. Ein kleiner Trampelpfad führt dem Rauschen entgegen. Zwei große braungelbe Landkrabben kreuzen meinen Weg und zeigen ihre blitzblanken Scheren. Ich lege mich in eines der Naturbecken, die sich im Fluss bilden. Davon gibt es auf Dominica viele.

Das Wasser spült den Stress der feuchten, beschwerlichen Anreise hinweg. Um mich herum nur Dschungel. Einsamkeit. Tropisches Postkartenambiente. Träumt nicht jeder davon, wenn es in Mitteleuropa nasskalt ist? In diesem Moment sind die Hauptstadt Roseau und das bequeme Hotel schon ganz weit weg. Und Europa noch viel weiter.

Nach drei Tagen bekomme ich zum Abschied die geballte Faust. Achtsam, aber sehr männlich, berühren sich unsere Pranken. Ein Grußritual auf Dominica. „Händeschütteln ist was für Fremde“, sagt Keith, „die Faust ist für Freunde.“

Martin Cyris

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false