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Reise: Vom Nutzen der Nutzlosigkeit

Eine amüsante Sonderausstellung im Paderborner Nixdorf-Museum, das die Geschichte der Informationstechnologie zeigt

Das krönende Exponat ist ein ziemlich unscheinbarer hell gemaserter Holzkasten von der Größe einer Din-A5-Karteikartenbox, und es bringt einen um den Verstand. Aus der „ultimativen Maschine“ ragt ein kleiner Hebel in der Stellung „off“. Drückt der Besucher den Hebel auf „on“, öffnet sich eine Klappe, ein vierzinkiger Gabelkopf kommt heraus, schiebt sich bis zum Hebel vor und bringt ihn zurück in den Zustand „off“ – die Gabel zieht sich in die Box zurück, Klappe zu, Maschine aus. Ein Apparat, der sich selbst ausstellen kann – das Ding ist zum Verrücktwerden; fast ist der Besucher im Paderborner Museumsforum Nixdorf geneigt, vom Notausgang Gebrauch zu machen, der gleich nebenan ist.

Wenn da nicht all die anderen Ausstellungsstücke wären, die hier nicht nur in einer Sonderausstellung, sondern dauerhaft zu sehen sind. Das schlaue Haus liegt am nordwestlichen Rand der 140 000- Einwohner-Stadt Paderborn und ist auf vier Ebenen in der ehemaligen Hauptverwaltung der Nixdorf Computer AG untergebracht. Braungetönte Glasscheiben, eine Bauweise im quadratischen Rastermaß, das sich überall wiederholt: Als Bauherr orientierte sich Firmengründer Heinz Nixdorf (1925–1986) gern an der scheinbaren Einfachheit von Mies van der Rohe. Wo immer Nixdorf weltweit Niederlassungen bauen ließ, glichen sie sich in Bauweise, Formgebung und Gestaltung. Irgendwie war man immer und überall in der Paderborner Hauptverwaltung.

Das Heinz-Nixdorf-Museumsforum gilt als das größte Computermuseum der Welt, das sich Geschichte, Gegenwart und Zukunft der Informationstechnik widmet, von der Entstehung der Zahl und Schrift 3000 vor Christus bis in das Computerzeitalter des 21. Jahrhunderts. Und es ist nicht nur für Computerfreaks interessant.

Noch bis Ende Februar gibt es eine ebenso erhellende wie witzige Sonderausstellung zu sehen: „Codes und Clowns“. Sie ist Claude Shannon (1916– 2001) gewidmet, der als „Pionier der digitalen Medienwelt“ gefeiert wird und als eins der „größten Genies des 20. Jahrhunderts“ gilt, dem wir die Aufteilung der Welt in Bits zu verdanken haben und so den Einstieg ins Informationszeitalter.

Stets hat der hoch gerühmte MIT-Professor und leidenschaftliche Jongleur seine wissenschaftliche Neugier mit der Lust an Spiel, Spaß, Kreativität und Unsinn gepaart, und ein paar seiner aufregenden Hirngespinste, die ansonsten das MIT-Museum in Boston zeigt, sind in diesen Tagen in Paderborn zu sehen. Das dritte Obergeschoss – hier werden immer die Sonderausstellungen präsentiert – ist in diesen Tagen ein Paradies für Kinder und solche, die es geblieben sind. Da wäre zum Beispiel die handgroße Metallplatte, auf der eine gelbe Tischtenniskugel immerfort auftickt, ohne jemals abzukommen. Wie die Metallplatte beschaffen sein muss, hat Shannon aufs Komplizierteste ausgerechnet, seine Standardfrage an Straßenkünstler lautete: „Darf ich dein Jonglieren messen?“ Und seine heitere Standardeinsicht war: „Ich habe viel Zeit mit vollkommen nutzlosen Dingen verbracht.“

Shannons Einsichten sind ein wunderbarer Kontrast zu dem, was in den beiden unteren Stockwerken zu sehen und erleben ist. Dort wird anhand von Exponaten und Erläuterungen der ewige Versuch der Menschen gezeigt, Nutzen zu produzieren, um etwa die chaotisch anmutende Natur in nachvollziehbare Formen zu bringen. Oder das Bestreben, stupide Arbeiten Maschinen zu übertragen. Oder die Bemühungen, Vertraulichkeiten geheim zu halten.

Wer will, der kann sich in Paderborn durch die viertausendjährige Geschichte der Abstraktion bewegen und durch die Mechanisierung des Rechnens, die spätestens mit der Neuzeit auch zur Ästhetik der Arithmetik führte. Das Heinz-Nixdorf- Museumsforum hat eine bemerkenswerte Anzahl von frühen und wunderschön komplizierten Rechenmaschinen zusammengetragen oder nachgebildet, wo der polierte Messing nur so blitzt wie kurz vor dem Stadt- und Kirchfest Libori das Weihwasserbecken im Hohen Dom.

Dessen mächtiger Turm ist übrigens nur etwa drei Kilometer Luftlinie entfernt und durch die schaufenstergroßen Scheiben des Museums gut zu sehen. Zum Dom, Mittelpunkt und Herz der 1200-jährigen Stadt, führt vom Museum aus der Padersteinweg durch eine autofreie Auen- und Parklandschaft. Überall am Weg zeigen Vorher-Nachher-Fotografien, wie sich die Stadt von den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs baulich erholt hat.

Auf dem Domplatz ist, nicht anders als vor 1000 Jahren, fast immer Hochbetrieb und Markttreiben. Im Domcafé, das in den 70er Jahren in einer höchst umstrittenen modernistischen Bauweise vor den Dom gepflanzt wurde, gibt es das alles zu beobachten. Wer von den vorbeihuschenden Nonnen genug gesehen hat, kann sich über die gerühmten Torten des Cafés hermachen oder in den frommen Traktaten blättern, die hier ausliegen.

In Paderborn ist man gut katholisch, wie schon der Firmengründer, überzeugte Westfale und gebürtige Paderborner Heinz Nixdorf, dessen Stiftung Westfalen zugleich Trägerin des Museums ist. Hier werden unter anderem auch Kerbhölzer aus dem Mittelalter präsentiert und das, was man damals so darauf hatte.

Vier Jahrhunderte weiter verharren Besucher, weniger andächtig als irritiert, vor einer Vitrine, in der eine Kaffeetasse und eine Wurststulle ausgestellt sind, eingekeilt zwischen allerlei alten Büromaschinen und Soll-und-Haben-Buchhaltungen. Sie gehören zu einer Ansammlung von nachgebauten Bürolandschaften, die von der mönchischen Schreibstube, über 19.-Jahrhundert-Kontore und feldmarschmäßigen Kommissschreibstuben bis zu den Internetarbeitsplätzen von heute reichen. Gerechnet wurde immerzu und überall – die Hilfsmittel dazu sind in unmittelbarer Nachbarschaft der Bürolandschaften zu besichtigen.

Fast noch mehr Grips als auf die öffentliche Verbreitung von Zahlen, Symbolen und Buchstaben wurde immer darauf verwendet, sie zu verschleiern, zu verschlüsseln und zu verbergen. Eine ansehnliche Abteilung im Museum beschäftigt sich mit Kryptologie. Wer will, kann sich in das Geheimnis der legendären Wehrmachts-Maschine Enigma einweisen lassen. Das Leben ihres Entschlüsslers, des britischen Kryptologen Alan Turing (1912–1954) wird gleich nebenan nachgezeichnet – in einer „Hall of Fame“ der Computerpioniere, in der Heinz Nixdorf natürlich nicht fehlen darf.

Er hinterließ zwei Stiftungen, die das Museum heute tragen. Ein Gesellschafter der Stiftung Westfalen ist einer der drei Söhne, der heute 51-jährige Martin Nixdorf. Der sportliche Unternehmer ist begeisterter Sportsponsor (Baseball) und eifert so seinem Vater nach, der ein erfolgreicher Hochseesegler war – und seine Manager und Mitarbeiter anhielt, regelmäßig Sport zu treiben. Dafür holte er den früheren Zehnkampfweltrekordler Kurt Bendlin nach Paderborn, um den weitläufigen Ahorn-Sportpark zu leiten.

Nixdorf-Rechner waren einst wie eine Erlösung aus der Abhängigkeit gewaltiger Rechenschränke, eine digitale Revolution, die heute im Museum anhand von Exponaten aus aller Welt gut nachzuvollziehen ist. Ausgerechnet im betulichen Paderborn wurde die Vision Wirklichkeit, die Büroarbeitsplätze mit bedien- und handhabbaren Rechnern auszustatten. Die ausgestellten Nixdorf-Anlagen bewundern die Besucher quasi pflichtschuldigst. Man staunt hier, lauscht Zeitzeugenprotokollen dort. So viel Respekt vor dem Stifter und seiner Ära muss sein.

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