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Reise: Wahrzeichen Windbeutel Im Alpendorf Ruhpolding geht es gemütlich zu.

Es sei denn, der Biathlon-Zirkus macht Station

Artus und Wotan dampfen. Die beiden Alt-Oldenburger mit dem glänzenden schwarzen Fell und den Glocken um den Hals haben eine anstrengende Tour hinter sich. Kutscher Martin Gasteiger hat sie vor einen geschwungenen Schlitten gespannt und ist mit einer Handvoll Urlauber zu einem der beeindruckendsten Orte gefahren, die das bayerische Biathlon-Zentrum Ruhpolding zu bieten hat: den Rauschberg bei Sonnenuntergang.

Rot leuchtet der schroffe Hang, der dem Ort zugewandt ist. Ein paar Berge weiter verabschiedet sich gerade die Sonne. Auf der anderen Seite, in Österreich, kann man noch den weißen Gipfel des Sonntagshorns bewundern. Der Rauschberg allerdings ist eine Besonderheit inmitten der Wintersportgebiete in den deutschen Alpen: Auf ihm gibt es keine Pisten. Zwar hat der 1671 Meter hohe Berg einen Hang, aus dem viele Skigebiete eine Piste machen würden – eine schwarze für sehr geübte und furchtlose Fahrer. Denn es geht steil hinunter. Doch es sind nur ein Aussichtspunkt und einige Wanderwege auf dem Gipfel des Hausberges zu finden.

„Der Rauschberg hat seinen Namen weder von Alkoholexzessen noch von einer üppigen Almrauschblüte“, sagt der Kutscher. Der „Rausch“ war vielmehr das bleihaltige Gestein, nach dem an dem Berg geschürft wurde. Schon seit fast 60 Jahren allerdings ist der Tourismus das Hauptgeschäft – seit 1953 bringt die Rauschbergbahn Urlauber und Einheimische auf den Gipfel. Neben den Wanderwegen und einem Geologie-Lehrpfad zieht eine Kunstmeile von Angerer dem Jüngeren Besucher in luftiger Höhe an. Besonders markant ist die sechs Meter hohe „Adams Hand“, die direkt nach Rom zeigt.

Schwertun wird sich in Ruhpolding die Klientel der „Schwarz-Abfahrer“ – sie wird in dem Biathlon-Ort nicht bedient. „Bei uns geht es eher gemütlich zu“, sagt Tourismusdirektor Martin Haßlberg. „Wir haben zwei Skigebiete – eines am Unterberg mit leichten Hängen, an dem vor allem die Kinder und die Anfänger das Skifahren lernen können.“

Und dann gibt es noch den Westernberg – auch in diesem Skigebiet gibt es keine schwierigeren Abfahrten als die mittelschweren roten. Wenn doch ein Ski-Freak seine Anfänger begleitet, muss ihm aber nicht langweilig werden – es gibt ja noch die Nachbarn in den Chiemgauer Alpen. „Die Steinplatte ist nur etwa fünfzehn Kilometer entfernt, dahin pendelt ein Bus“, sagt Haßlberg. Und das ist das Gebiet, in dem schon Rosi Mittermaier ihre ersten Schwünge übte.

Doch nicht nur für die Abfahrer sind Herausforderungen geboten – auch Langläufer kommen in dem Tal unweit des Chiemsees auf ihre Kosten. „Rund 60 Kilometer Pisten können wir im Winter spuren, wenn es genügend Schnee gibt“, sagt der Tourismusdirektor. Das allerdings ist wie seit Jahr und Tag dem Zufall überlassen – denn im Tal wird kein Weg beschneit. Und wenn es klirrend kalt und klar ist, aber die Schneewolken wegbleiben, „dann muss man wandern gehen“.

Oder einen Abstecher machen in einen Bauernhof, in dem heiße Luft Geschichte gemacht hat – weit über Bayerns Grenzen hinaus. Im Mühlbauernhof nämlich ist die „Windbeutelgräfin“ untergebracht. Die ostpreußische Gräfin von Sommnitz versuchte sich in den 50er Jahren mit dem Verkauf von Windbeuteln ein Einkommen in Ruhpolding zu sichern. Das Geschäft lief – und Frau von Sommnitz war bald die „Windbeutel-Gräfin“. Besonders bekannt: Der „Lohengrin“, ein Windbeutel in Form eines Schwans, zu 65 Prozent aus Luft.

Unweit des Mühlbauernhofs erstrecken sich zahlreiche Wege, auf denen man die Pfunde nach zu viel Windbeuteln gleich wieder abtrainieren kann: Einige Wege werden von der Gemeinde geräumt oder so präpariert, dass auch ungeübte Flachlandtiroler auf ihnen gehen können – ohne gebrochene Knochen fürchten zu müssen. Gewagter ist da schon, sich ins Eisstadion oder auf die zugefrorenen Seen zu bewegen und sich im Eisstockschießen zu probieren. „Das allerdings ist eine große Gaudi“, sind sich Ruhpoldings Schützen einig.

Ebenfalls ein großer Spaß – wenn auch ein straff organisierter – ist der Biathlon in der 6500-Einwohner-Gemeinde. Das Leistungszentrum liegt mitten im Wald – und Mitte Januar ist hier immer der Weltcup-Zirkus zu Gast. Seit fast 30 Jahren kommen sämtliche Spitzensportler ins südliche Bayern, um sich in der Kombination aus Langlauf und Schießen zu messen. Fast eine ganze Woche dauert das Spektakel, zu dem Ruhpolding sich im Ausnahmezustand befindet. Gästebetten sind dann Mangelware. Die Parkplätze für Tausende von Besuchern beginnen schon weit vor dem Ort, Busse pendeln zur Wettkampfstätte.

„Man braucht gar kein Schild zu sehen und weiß trotzdem genau, dass das Weltcup-Wochenende ist“, sagt Max Stromer, der in einem nahe gelegenen Dorf wohnt. „Man steht dann eigentlich nur noch im Stau.“ Und den kennt man normalerweise in dieser Ecke des Freistaates nicht. Denn auf die 6500 Einwohner kommen etwa 5500 Gästebetten, ein gut ausgewogenes Verhältnis also – und ein ganz anderes als in so manch anderem Bergdorf.  

Verena Wolff

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