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Überraschung! Muränen fühlen sich im Wrack der "Antilla" wohl, Taucher bleiben reserviert.

© Vorsatz

Wracktauchen vor Aruba: Das Geisterschiff

Der deutsche Frachter „Antilla“ wurde 1940 von seiner Besatzung vor Aruba versenkt. Heute dient das Wrack als Tauchrevier.

Es herrscht Ebbe, und angefressener Kruppstahl durchbricht bedrohlich die türkisfarbene See. Da liegt sie also, die sagenumwobene deutsche „Antilla“, gerade mal 700 Meter vor der Küste Arubas. Die Insulaner nennen sie nur das Geisterschiff. In ihm wohne das Böse, meinen sie. Selbst die Fischer machen lieber einen großen Bogen um das schlafende Schiff. Für Taucher und Schnorchler dagegen ist es eines der schönsten Wracks der gesamten Karibik. Einst war sie der ganze Stolz der Hapag (Hamburg-Amerikanische Packetfahrt-Actien-Gesellschaft). Eines der modernsten Frachtschiffe seiner Zeit, ausgestattet mit einem revolutionären Hybridantrieb. Von der eigenen Mannschaft versenkt auf ihrer Jungfernfahrt in einen sinnlosen Krieg, der bis in die Karibik reichte…

Wir stoppen am Heck der „Antilla“. Thirza, unsere arubanische Tauchlehrerin mit holländischem Pass, taucht kurz ab, prüft die Strömung. Die kann tückisch sein im offenen Meer, insbesondere an einem wirklich großen Wrack. Gegen sie anzukämpfen wäre ein sinnloses Unterfangen. Das Boot ankert schließlich am Bug, wir checken unsere Ausrüstung ein letztes Mal und lassen uns rücklinks über die Bordwand gleiten, tauchen direkt in eine Wolke von friedlichen Gelbstreifengrunzern. Wie spielerisch uns dieser Schwarm aufnimmt, uns förmlich umschließt, um uns nur einen Augenblick später wieder zu entlassen.

Toll! Eine Echte Karettschildkröte schwebt gemächlich vorbei, scheint jedoch keinerlei Notiz von uns blubbernden Wesen zu nehmen. Ihre Aufmerksamkeit gilt wohl eher einem tonnenschweren Tigerhai, der elegant durch sein Revier gleitet. Wir lassen uns auf 16 Meter unter Null durchsacken. Die leichte Unterwasserströmung treibt uns unserem Ziel entgegen. Schon werden gigantische Konturen sichtbar, einer überdimensionalen Wand gleich. Dieser Koloss aus Stahl reicht vom Meeresgrund in 18 Metern Tiefe bis zur Wasseroberfläche – und dies auf der Seite liegend. Schnell erkennen wir Details.

Unzählige Gerüchte ranken sich um das Schiff

Die Reling, Seilwinden, Traversen, Rohre und Luken, die in geheimnisvolle Räume führen. Alles in erstaunlich gutem Zustand. Obwohl wir uns neben der „Antilla“ befinden, schauen wir direkt aufs Deck. Eine sehr irritierende Perspektive, wie sich insbesondere später, tief im Innern, noch herausstellen soll. Abgesehen von geschützten Bereichen ist der Bewuchs mit Algen und Polypen eher dürftig. Die tropischen Stürme im Herbst putzen das Schiff regelmäßig blank. Auch der Fischbestand ist überschaubar. Ein paar Karibische Halsbandsoldatenfische hier, ein paar Indigo-Hamletbarsche und Gelbschwanzschnapper dort.

Versenkt am 10. Mai 1940 vor Aruba. Der Frachter wurde 1939 in Dienst gestellt.
Versenkt am 10. Mai 1940 vor Aruba. Der Frachter wurde 1939 in Dienst gestellt.

© Vorsatz

Mittschiffs nimmt dann die Zerstörung deutlich zu. Überall deformierter und gebrochener Stahl, der sich plötzlich im Nichts verliert. Die „Antilla“ ist komplett auseinandergebrochen. Ein fast unwirklicher Anblick. Was müssen hier für gewaltige Kräfte am Werk gewesen sein?

Es ranken sich unzählige Gerüchte und Legenden um das Geisterschiff, seinen Untergang, das Auseinanderbrechen, seine angeblich geheime Ladung, Menschen, die dort auf Nimmerwiedersehen verschwanden. Dabei wurden sowohl seine einzige Fahrt als auch die Versenkung penibel dokumentiert. Vom Kapitän der „Antilla“, von Ferdinand Schmidt, und von den holländischen Kolonialbehörden auf Aruba. Fakt ist, die „Antilla“ zerbrach erst 1953 im Sturm, das brennende Schiff sank am 10. Mai 1940, zwar mittschiffs schwer beschädigt, jedoch mit intakter Außenhülle. Doch was geschah davor?

Am 21. März 1939 läuft die 121 Meter lange E. S. „Antilla“ in Hamburg Finkenwerder vom Stapel, wird am 11. Juli fertiggestellt und sticht schon vier Tage später, am 15. des Monats, zu ihrer Jungfernfahrt in Richtung Karibik in See. E. S. steht für „Electro Ship“, denn der ultramoderne Hybridfrachter ist nicht nur mit zwei dieselbetriebenen Dampfturbinen, sondern auch mit einem Elektromotor der Allgemeinen Elektricitäts-Gesellschaft Berlin (AEG) ausgestattet. Nach Stationen in Curaçao, Kolumbien, Panama, Costa Rica, Guatemala, den USA und abermals Kolumbien überschlagen sich die Ereignisse.

Ein langsames Sterben beginnt

Wind und Wellen setzten dem Wrack der „Antilla“ derart zu, dass es 1953 zerbrach.
Wind und Wellen setzten dem Wrack der „Antilla“ derart zu, dass es 1953 zerbrach.

© Vorsatz

Am 25. August erhält Kapitän Ferdinand Schmidt einen Funkspruch mit dem Codewort „Essberger“ die geheime Aufforderung, einen versiegelten Brief aus dem Schiffstresor zu öffnen. In diesem steht der Befehl aus Berlin, sofort die Hauptschifffahrtsroute zu verlassen. Mittels eines weiteren chiffrierten Funkspruchs wird befohlen, Aussehen und deutsche Identität des Schiffes zu verschleiern. Am 28. August dann der Geheimbefehl an alle Handelsschiffe, neutrale Häfen anzulaufen, wenn sie nicht binnen vier Tagen Deutschland erreichen könnten.

Am Freitag, den 1. September 1939, landet die „Antilla“ in der neutralen holländischen Kolonie Aruba. Die deutschen Frachter „Consul Horn“, „Heidelberg“ und „Troja“ liegen bereits vor Anker. Im fernen Europa marschiert seit den frühen Morgenstunden die deutsche Wehrmacht in Polen ein. Der Zweite Weltkrieg hat begonnen. Briten und Franzosen errichten eine Seeblockade in der Karibik, die vier Schiffe schwimmen in der Falle. Der „Consul Horn“ gelingt am 9. Januar 1940 eine abenteuerliche Flucht nach Deutschland, getarnt als russischer Frachter namens „Molodets“.

Die „Troja“ und die „Heidelberg“ haben weniger Glück bei ihren Durchbruchsversuchen ein paar Wochen später. Sie werden von britischen Zerstörern aufgebracht und versenken sich am 1. beziehungsweise am 2. März selbst.

Mit dem Überfall von Hitlerdeutschland auf Holland am 10. Mai 1940 ankert die „Antilla“ plötzlich in Feindesland. Noch in der Nacht versucht die Kolonialverwaltung vergeblich, den Frachter zu konfiszieren. Kapitän Schmidt verweigert den Zutritt an Bord, lässt daraufhin an mehreren Stellen Feuer legen und den verbarrikadierten Maschinenraum fluten. Als die „Antilla“ um fünf Uhr von der holländischen Marine geentert wird, brennt sie bereits lichterloh. Ihr Schicksal ist besiegelt. Ein langsames Sterben beginnt. Von Stunde zu Stunde bekommt sie nun mehr Schlagseite. Es ist 11 Uhr 30, als die „Antilla“ für immer in den Fluten versinkt.

Nur wenige Taucher haben sich in den Bauch der „Antilla“ gewagt

Ein Dreivierteljahrhundert später tauchen wir an ebendieser Stelle in das Heck des geschundenen Schiffes. Hinein in einen stockfinster werdenden Gang, über verwinkelte Treppen immer tiefer in diese Katakomben aus Stahl. Die seitliche Lage des Havaristen ist irritierend. Unsere Xenonlampen tasten die engen Wände nach möglichen Gefahren ab. Am gefährlichsten sind die Kabel, die überall herumhängen. Wir finden unser Ziel, die Schiffkombüse. Dort herrscht absolutes Chaos. Ein großer Herd ist aus seiner Verankerung gerissen, überall veralgte Überreste der Einrichtung.

Karibikfahrplan der Hapag-Schiffe
Karibikfahrplan der Hapag-Schiffe

© Vorsatz

Unter schlammigem Sediment sind Teller und Töpfe und sogar noch ein paar Weinflaschen zu erahnen. Erstaunlich. Offenbar haben sich nur wenige Taucher bis tief in den Bauch der „Antilla“ gewagt. Thirza mahnt uns nun zu größter Umsicht. Das Aufwirbeln von Schlamm könnte katastrophale Folgen für uns haben. Und wir hatten nicht vor, den Einheimischen neuen Stoff für ihre Legende vom Geisterschiff zu liefern. In einem Regal haust eine beindicke Grüne Muräne. Mit deutlicher Drohgebärde demonstriert sie ihre territorialen Ansprüche. Wir verstehen, wir akzeptieren, wir ziehen uns zurück. Wird ohnehin Zeit, unsere Luftvorräte gehen langsam zur Neige.

Draußen, im Freiwasser, werfen wir einen letzten Blick auf das Heck der „Antilla“ und nehmen Abschied. Trotz bester Sichtverhältnisse von mehr als 30 Metern verliert sich ihr Bug im diffusen Blau. So groß ist diese gebrochene, aber immer noch elegante Hanseatin. Ein Grund mehr wiederzukommen. Das war ihrer Besatzung nicht vergönnt. Die Seeleute landeten als Kriegsgefangene im holländischen Internierungslager Bonaire, aus dem später das erste Hotel der Insel werden sollte. Kapitän Ferdinand Schmidt und seine Männer wurden im Juli 1940 nach British Jamaica deportiert.

Marc Vorsatz

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