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Affenthron. Gorilladame Yene kam aus England ins Tropenhaus des Darwineums.

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Zeitreise durch die Evolution: Bibliothek des Lebens

Am Anfang war der Urknall: Im Darwineum des Rostocker Tierparks wandern Besucher auf fantastische Art durch die Zeit.

Esmeralda ist Vegetarierin. Sie futtert Gemüse und Salat. Dabei lässt sich das dick gepanzerte Reptil von den Zuschauern nicht stören, die sich an der Scheibe des Terrariums die Nase plattdrücken. Esmeralda läuft auf Sand zwischen imitierten Steinen und abgestorbenen Baumstämmen, dahinter prangt ein gemaltes Panorama aus Wellen, Wolken und Felseninseln. Das könnte die Südsee sein. In der Tat ist Esmeralda eine von fünf Galapagos-Schildkröten, denen die Besucher des neuen Rostocker Darwineums zuerst begegnen. Die Tiere, deren gefährdete Gattung von den Galapagos-Inseln kommt, symbolisieren gut die Themen der deutschlandweit einmaligen Ausstellung.

Am 15. September 1835 legte der damals 26-jährige Naturforscher Charles Darwin mit seinem Expeditionsschiff „Beagle“ auf den Galapagos-Inseln an, deren besondere Flora und Fauna der Brite fleißig studierte. Vor allem die Riesenschildkröten hatten es ihm angetan. Die Erkenntnisse flossen in sein Buch „Über die Entstehung der Arten“, das die Evolutionstheorie begründete. Demnach setzen sich jene Arten durch, die sich am besten den gegebenen Umständen anpassen können. Im Darwineum des Rostocker Zoos dreht sich alles um Evolution, um die Milliarden Jahre währende Entwicklung des Lebens – von den Einzellern bis zum Homo Sapiens.

Hinter dem Schildkrötenquartier beginnt die Zeitreise. Den Urknall erlebt der Besucher per Video, es bilden sich Sterne, dann die Erde. Sie hängt als riesige, leuchtend rote Plastikkugel von der Decke. „Alles Lava“, sagt der Knirps zu seinem Vater. In der nächsten Koje betrachten sie ein Modell von Luca (Last Universal Common Ancestor), dem hypothetischen Urvorfahr aller heute existierenden Lebewesen. „Sieht aus wie ein Eierkuchen“, kommentiert der Kleine.

Nicht nur für Kinder gibt es viel zu entdecken. Der Lehrpfad bietet auch für Erwachsene, von denen viele mit Nachwuchs im Zoo-Bollerwagen unterwegs sind, genügend „Edutainment“, wie dieser Mix aus Bildung und Unterhaltung genannt wird. Auf dem vom Stuttgarter Atelier Brückner gestalteten Parcours gibt es jede Menge interaktive Spiele. Sie regen zum Nachdenken an und bieten Erfolgserlebnisse. Etwa wenn der Stammbaum des Lebens am großen Touchscreen nachgestellt oder ein Pantoffeltierchen am Bildschirm erschaffen wird.

Auch 40 lebende Tierarten sind zu bestaunen. Spektakulär ist der sogenannte Quallenkreisel, mit 4000 Litern Europas größtes Aquarium dieser Art. Quallen bevölkern seit mehr als 500 Millionen Jahren die Meere. In Rostock tanzen gepunktete Wurzelmundquallen Wasserballett, schweben weiß leuchtend von oben nach unten, von links nach rechts, verschwinden und kommen wieder. Ab und zu jagen dunkle, längliche Schatten vorbei, sie sehen aus wie kleine Meerungeheuer. Es sind Filmprojektionen, die im Aquarium das Geschehen im Urmeer simulieren sollen. Dort leben auch Anomalocaris, eine ausgestorbene Garnelenart, die der Lübecker Präparator Jörg Ohlenbusch für das Darwineum fantasievoll nachgebaut hat.

Als die Säugetiere das Kommando übernahmen

Dinosaurier dürfen nicht fehlen in einer Ausstellung zur Evolution.
Dinosaurier dürfen nicht fehlen in einer Ausstellung zur Evolution.

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Schwerer zu entdecken als solch spektakuläre Modelle sind die lebenden Seepferdchen, Würmer, Schnecken oder Kurzschnabeligel. Pfeilschnell flitzen putzige Antilopenziesel, braun mit weißen Längsstreifen, durch die simulierte Wüstenlandschaft. Sie gehören zur Gattung der Erdhörnchen. Walt Disney inspirierten sie zu seinen Comic-Figuren Chip und Chap. Im Darwineum stehen sie für die Zeit vor etwa 65 Millionen Jahren, als die Säugetiere das Kommando übernahmen.

Damals waren soeben die Saurier ausgestorben. In Rostock sind sie als Fantasiegemälde oder als Nachbildung des Deinonychus, eines fleischfressenden Sauriers vor urzeitlicher Kulisse präsent. Als lebender Zeuge dieser Zeit klettert ein Nashornleguan durch seine Box. Ausgestorbene Arten zusammen mit für diese Epoche typischen lebenden Tieren darzustellen, gehört zum Konzept der Ausstellung.

„Wir gestalten eine Bibliothek des Lebens“, sagt Zoodirektor Udo Nagel. Solche „lebenden Fossilien“, erklärt der 58-jährige Mecklenburger, seien auch Blattschneideameisen, Pfeilschwanzkrebse oder Schlammspringer. Letztere sind typisch für die Periode, als die Lebewesen das Wasser verließen und das Land eroberten. Die amphibisch lebenden Fische können mit ihren Brustflossen hüpfen und verbringen die meiste Zeit außerhalb des Wassers.

Der Parcours endet mit der kulturellen Evolution, beginnend mit der Nutzung der ersten Werkzeuge durch den Menschen. Der Besucher schreitet durch einen Stangenwald, der Meilensteine der zivilisatorischen Entwicklung hervorhebt. Spannend wird es im Stammzellenlabor, in dem, wer mag, nach Herzenslust experimentieren kann. Dann geht es zum Tropenhaus, für Direktor Nagel das „Herzstück des Darwineums“. 4000 Quadratmeter groß, tageslichthell dank Folienkissendach mit Hängebrücken und Terrarien. Silberrücken Assumbo räkelt sich in einer Maueröffnung. Gelassen schaut der Gorilla zu den Besuchern, die sich bei 26 Grad und bis zu 80 Prozent Luftfeuchtigkeit den Schweiß von der Stirn wischen.

Der 39 Jahre alte Assumbo ist kürzlich innerhalb des Rostocker Zoos aus dem engen Käfighaus in das weitläufige Gehege umgezogen. Gesellschaft leisten ihm nun zwei Gorilladamen, Yene aus England und Eyenga, die vom Zürcher Zoo kommt. Aus Leipzig ist das Pärchen Bebe und Gorgo dazugestoßen, so dass in Rostock auf Gorilla-Nachwuchs zu hoffen ist – ebenso wie bei den Orang-Utans. Genügend Platz für Großfamilien gibt es auch für Meerkatzen und Flughunde, Tupaias und Zwergseidenäffchen. Dazu kommt die 10 000 Quadratmeter große Außenanlage, die mit Sumpfoasen und Kletterlandschaften die natürlichen Lebensverhältnisse der Tiere nachbildet.

Paul Janositz

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