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Religion: Oh Gott! Amerikaner entdecken das Beten im Netz

US-Amerikaner sind religiös und surfen viel im Internet. Das passt gut zusammen: Allein auf dem Web-Netzwerk Myspace tummeln sich mehr als 1000 Gruppen, die gemeinsam für ihr Seelenheil beten. Werden dadurch die Kirchenbänke leer?

Als der 28 Jahre alte Trent Paul nach einem schweren Unfall ins Krankenhaus kommt, schließen sich seine Freunde spontan zusammen, um zu beten. Dazu gehen sie jedoch nicht in die Kirche, sondern ins Internet. Im sozialen Web-Netzwerk "Facebook" wächst die Gruppe "Prayer Chain for Trent Paul" (Gebetskette für Trent Paul) innerhalb weniger Tage auf mehr als 900 Mitglieder an. "Trent war einer, der immer nur gab", sagten die Freunde über den Schwerverletzten. "Jetzt wird es Zeit, dass wir etwas für ihn tun und gemeinsam beten". Und das tun sie auf der interaktiven Webseite der Gruppe.

Sie ist ein Beispiel für einen neuen Trend in den USA: Sprunghaft steigt die Zahl der Amerikaner, die übers Internet Gott ihre Anliegen vortragen. "Facebook", "Myspace" und andere Netzwerke sowie die Webseiten von Kirchen und Gemeinden bieten eine neue Dimension des Glaubens: Beten online. Religiöse Internetseiten boomen.

Mehr als 1000 Gebetsgruppen auf Myspace

Mehr als 23 Millionen Menschen besuchten einer Studie des Internet-Marktforschungsunternehmens Comscore zufolge allein im Februar religiöse Webseiten. Das seien 18 Prozent mehr als im gleichen Monat des Vorjahres. Über zwei Millionen Treffer zeigt Google bei dem Stichwort "Online Prayer Group" an. Auf "Facebook" gibt es über 500, auf "Myspace" sogar über 1000 Gebetsgruppen - sie beten für einzelne Menschen, den Weltfrieden oder einfach um des Betens Willen.

Auf den Webseiten zahlreicher Kirchengemeinden in den USA können Gläubige und Hilfesuchende ihre Anliegen vortragen und andere dazu aufrufen, sie in ihre Gebete einzuschließen. "Online-Beten ist eine ausgezeichnete Möglichkeit für Menschen, die Hilfe suchen und die selbst helfen wollen", sagte die Direktorin für Gebetsanliegen der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Amerika, Kathrin Love. Auf der entsprechenden Kirchen-Webseite seien im Jahr 2001 monatlich rund 800 E-Mails eingegangen - inzwischen seien es fast 30.000 Anfragen im Monat. Sie kämen aus aller Welt, sogar aus Bangladesch.

Virtuelle Kerzen anzünden

"Viele Menschen gehören keiner Kirche an, möchten aber trotzdem mit Gott sprechen. Deshalb wenden sie sich ans Internet", sagte Love. Andere wollten, dass mehr Menschen die Gebete wahrnehmen, oder etwas Neues ausprobieren, Teil von "etwas Größerem" sein und dadurch neue Wege entdecken.

Einen digitalen Draht zu Gott bietet auch das Webportal "GodTube.com", eine christliche Version des erfolgreichen Video-Portals "YouTube". Fast 320.000 Mitglieder hat "GodTube" eigenen Angaben zufolge. Hier können Videos nicht nur gezeigt, abgerufen und ausgetauscht werden, sondern es gibt auch eine "Gebetswand". Hier werden Anliegen vorgebracht oder virtuelle Kerzen angezündet.

Man müsse kein Christ sein, um "GodTube" zu nutzen, heißt es auf der Webseite. Dennoch haben die meisten Videos einen religiösen Bezug. Da singt zum Beispiel ein junger Mann eine christliche Version des Charthits "Umbrella" der Pop-Sängerin Rihanna und erklärt die Gitarrengriffe. Das beliebteste Video auf "GodTube" zeigt ein vierjähriges Mädchen, das voller Stolz den Psalm "Der Herr ist mein Hirte..." auswendig vorträgt.

Kritik: Gebete gehören in die Gemeinde

Es gibt aber auch Skepsis über das religiöse Leben im digitalen Netz. Baptisten-Pfarrer Mike Gilbart-Smith aus Washington sieht Online-Gebetsseiten kritisch. Sie täuschten lediglich eine künstliche Gemeinde vor. "Gebete gehören in die Gemeinde", sagte er der "Washington Times". Beten im Internet könne den Gläubigen auch isolieren. Aber auch seine eigene Kirche ist längst im Web angekommen: Einmal die Woche werden gesammelte Gebete der Gemeindemitglieder per E-Mail rundum gesendet.

Trent Pauls Freunde beteten und hofften, dass er bald wieder gesund würde: "Trent, wir glauben an dich und beten für Deine Genesung. Halte durch!" schrieb einer. Aber Trent Paul starb am 14. März, wenige Tage nach seinem Unfall. Die Gebetsgruppe löste sich jedoch keineswegs auf, sie wuchs sogar. Sie widmete die Webseite dem Verstorbenen und würdigte sein Leben.

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