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Reportage: Weltreise westwärts/ostwärts

Zwei Freunde in Los Angeles: Der eine reist Richtung Westen, der andere kommt ihm entgegen. Beide umrunden die Welt – und erleben diese auf höchst unterschiedliche Weise.

Ein DVD-Spieler! In einer Jurte! Sieht so Globalisierung aus – oder ist das bloß die Illusion von Globalisierung, ein weiteres Klischee, das Steve Hely entlarven muss? Da steht er in einem mongolischen Nomadenzelt, eine halbe Tagesreise von Ulan-Bator entfernt, draußen nur Weideland und Felsen, drinnen riecht es nach Pferd, und neben dem Ahnenaltar mit vergilbten Schwarz-Weiß- Fotos liegt ein neuer DVD-Spieler. Der Sohn seiner Gastfamilie trägt Baseballmütze. Auf der steht in Englisch geschrieben: „Verteidigt die Erde. Der Dämon Xiand hat den Jupiter erobert.“ Was das zu bedeuten hat, will Steve Hely wissen. Keine Ahnung, antwortet der Sohn.

Auf dem Weg zu den Nomaden sind sie an einem buddhistischen Kloster vorbeigekommen, es liegt am Hang und ist weiß gestrichen, und Steve Hely, 27, denkt tatsächlich bloß: Das Ding sieht aus wie der Bergpalast in „Batman Begins“. Dann schämt er sich für den Vergleich. Und dann versucht er sich einzureden, dass Scham unnötig sei, weil Comicverfilmungen ihm halt vertrauter sind als fernöstliche Architektur. Und schließlich denkt er: Über so was grüble ich in letzter Zeit öfter.

Es ist der 7. Mai, Tag 20 seiner Reise. Wo Vali Chandrasekaran wohl steckt? Vermutlich in Polen oder Russland. Die Satellitentelefone funktionieren nicht. Steve Hely und Vali Chandrasekaran wollen die Welt umrunden, so schnell es geht. Hely west-, sein Freund ostwärts. Fliegen ist verboten. Wer zuerst zu Hause in der 6th Street in Los Angeles ist, bekommt eine Flasche Kinclaith-Scotch, Jahrgang 1969.

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Der Rivale: Vali Chandrasekaran in Paris.

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Steve Helys Reise beginnt am 18. April an Pier T des Containerhafens Long Beach. Dort hat die „Hanjin Athens“ angelegt, die ihn über den Pazifik bringen soll. Das Containerschiff gehört der „Niederelbe Schifffahrtsgesellschaft Buxtehude“. Der Kapitän und die sechs Offiziere sind Deutsche, die elf Besatzungsmitglieder Filipinos. Und zwei Drittel der Container sind leer. Das liegt an der schlechten Handelsbilanz der Vereinigten Staaten, erklären sie Hely. Die Chinesen exportieren mehr Waren als andersherum. Irgendwie müssen die Container ja zurück. 14 Tage dauert die Überfahrt bis nach Schanghai. Aus dem Fenster seiner Kabine sieht Hely die Container HJCU 1904026 und 7819635. Lieber ist er an Deck, kategorisiert die Farbschattierungen des Pazifiks: grau wie Baconfett, seidig glänzend schwarz wie eine frisch geputzte Schultafel, ölig wie Lachshaut. Aber meistens doch: blaubeersaftblau.

Seefahrt hat sich Hely anders vorgestellt. Die Offiziere nutzen Landgänge nicht für Puffbesuche, sondern für Zahnarzttermine und Radtouren. Der Kapitän kennt sich mit koreanischen Tempeln der Silla-Zeit aus. Aber auch darum soll es schließlich bei ihrer Wette gehen: die Klischees im Kopf überdenken. Vorurteile loswerden.

Auf der „Hanjin Athens“ freundet sich Hely schnell mit der Besatzung an. Manny Pacquiao sei Dank. So heißt ein philippinischer Boxer, den er zufällig bei einem Kampf in Las Vegas gesehen hat. Auf Deck fragt er einen Filipino: „Do you know Manny Pacquiao?“, das spricht sich rum. Abends wird er in die kleine Kammer auf Deck B eingeladen, den Aufenthaltsraum. Es gibt San-Miguel-Bier.

Wer die Welt umrunden will, sollte unbedingt westwärts reisen, sagt Steve Hely. Weil er in jeder neuen Zeitzone eine Stunde länger schlafen kann. Außerdem solle bitte niemand versuchen, von einem chinesischen Hafen aus eine Überfahrt über den Pazifik zu buchen.

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Zwischenstopp in der Mongolei.

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Seine Route hat Hely zu Hause geplant. In seinem Bad hängt ein Duschvorhang mit Weltkartenmotiv. Ja, er kennt die Klischees über US-Amerikaner. Und er sagt: Auf mich trifft das nicht zu. Steve Hely war schon mehrfach außer Landes, das Weltgeschehen verfolgt er online, news junkie nennt er sich. Er hat in Harvard studiert, in L. A. schreibt er hauptberuflich Gags für die Serie „American Dad“. Wenn man ihn heute, viele Monate nach seiner Rückkehr, im Büro anruft, wollen ihm erst nur die komischen Momente seiner Reise einfallen. Aber er weiß auch noch, wie elend er sich fühlte, als ihn der chinesische Polizist kurz vor der mongolischen Grenze aus dem Zugabteil holte und in einen leeren Raum führte. Die Beamten konnten kein Englisch, blätterten bloß immer wieder durch seinen Pass und schimpften. Hely überlegte, ob dies der richtige Zeitpunkt für einen Bestechungsversuch sei. Er entschied sich dagegen, durfte trotzdem weiterreisen.

In China hat sich Hely gleich von zig Klischees verabschiedet, sagt er. Auch von dem des erwachten Drachen, der Amerika bedroht. In den USA liefen ständig Fernsehbilder chinesischer Metropolen- Skylines. Was man nie sehe, sei die Armut im Hinterland. Die hat Hely beeindruckt. Really eye-opening sei das gewesen.

Mit der transsibirischen Eisenbahn fährt Steve Hely nach Moskau. Dort trifft er Chandrasekaran, sie feiern ihr Wiedersehen und sprechen über das Buch, das sie schreiben wollen, es wird „Die Wette“ heißen (erschienen im Mare-Verlag, 19,90 Euro). Chandrasekaran sagt, es sei vorteilhaft, indische Vorfahren zu haben. So kriege er keine antiamerikanischen Sprüche zu hören. Auch Hely blieb veschont, dabei hatte er extra ein T-Shirt mit dem Slogan I support George W. Bush eingepackt. Die Leute konnten entweder kein Englisch oder verstanden den Witz.

In zwei Punkten sind sich die Rivalen einig: Welch ein Irrsinn es ist, durch fremde Länder bloß durchzuhetzen. Und wie unmöglich manche US-Touristen sind. Menschen mit Schweißflecken, die alles amazing finden, aber die Einheimischen these people nennen.

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Vali reiste auf einem Containerschiff.

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Hely reist weiter nach Finnland und Schweden, macht einen Abstecher nach Italien, nimmt die Fähre nach New York. Die letzte Wegstrecke legt er auf dem Beifahrersitz eines Neuntonners zurück, einmal quer durch die Vereinigten Staaten. Er erkennt: Das Problem ist, dass man beim ständigen Klischee-Loswerden irgendwann selbst zum Klischee wird. Und wie erfrischend es sein kann, sich zwischendurch an den Kopf zu fassen und zu sagen: Unglaublich, was die Mongolen als ihr Nationalgetränk ausgewählt haben – gegorene Stutenmilch. Diese Freaks!

Am 12. Juni erreicht Hely Los Angeles. Vali Chandrasekaran ist schon da und muss beichten: Er hat geschummelt, ist mehrfach geflogen. Von Atlanta nach Rio, von Moskau nach Kairo. Sogar den Scotch hat er getrunken. Steve Hely ist das egal. Dafür hat sein Freund keinen mongolischen Ahnenaltar und auch nicht das Hinterland Chinas gesehen. Mann, der Typ kennt ja nicht mal Manny Pacquiao.

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