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Richards Gebeine auf dem Weg ins Museum. Tausende säumten den Weg in Leicester.

© Suzanne Plunkett/Reuters

Richard III.: Neuerliche Beisetzung - eine krumme Geschichte

Mehr als 530 Jahre nach seinem Tod werden in Leicester mit großem Pomp die Gebeine von Richard III. beigesetzt. Den Briten läuft ein Schauer über den Rücken, wenn sie an diesen Schurken denken.

Das also soll Richard III. sein? Oder besser: der Mensch, über den man sich in den Körper von Richard hineinfühlen kann? Etwas bleich und schlaksig sitzt er da, der 28-jährige IT-Fachmann, der im realen Leben gerade auf Arbeitssuche ist. In der Medizinischen Fakultät der Universität Leicester hat er eben einen Vortrag darüber gehalten, wie man mit einer verdrehten Wirbelsäule lebt. „Richard musste als König perfekt sein. Das ist mit einem verkrümmten Rücken nicht einfach“, sagt Dominic Smee. Immerhin eine kleine Einsicht in die Vergangenheit.

Smee spielt in einer der Dokumentationen, die dieser Tage im englischen Fernsehen Millionen begeistern, das Körperdouble von Richard III. Was ihn dafür qualifiziert, ist allein seine Wirbelsäule. Sie ist fast genauso verdreht wie die des Richard, der einst von keinem Geringeren als Shakespeare zu nichts Geringerem als der verkrüppelten Verkörperung des Bösen stilisiert wurde und so zu weltweiter Berühmtheit gelangte.

Seit vor zwei Jahren Archäologen der Universität Leicester unter einem Parkplatz des Sozialamts ihrer schmucklosen Industriestadt das Skelett von Richard III. entdeckten, beschäftigt sich auch die Wissenschaft mit dieser Wirbelsäule.

Shakespeare entwarf für die Propaganda der Tudors das Bild des Schurken Richard III.

Im Fernsehen ist sie deshalb ein großes Thema, weil im Laufe dieser Woche das Skelett ein zweites Mal beerdigt wird, nachdem es zwei Jahre lang erforscht wurde. Und weil königliche Hochzeiten, Todesfälle und Krönungen für die Briten das Einzige sind, was Karneval am nächsten kommt, ist das ein Großereignis sondergleichen – zumal der Knochenfund in seiner Kombination aus Royalismus und makaber schwarzer Komik alle Zutaten hat, das britische Publikum zu begeistern.

Nur stellt sich die Frage: Haben wir durch diesen Skelett-Fund wirklich mehr über Richard erfahren? Widerlegt er gar den großen Shakespeare? Bleiben wir zunächst beim schriftlich Überlieferten. Richard III. regierte gerade 26 Monate lang. Die Zeit reichte ihm dennoch, einer der berüchtigtsten Könige zu werden. Etwa zeitgleich mit seiner Geburt 1452 begannen die „Wars of the Roses“, eine Serie von Kriegen innerhalb des Königreichs. Allgemein bekannt sind sie als Erbfolgekriege zwischen den Häusern von Lancaster und York, der roten und der weißen Rose. „Nie zuvor und nie mehr nach den Rosenkriegen war die Regierung Englands derart unsicher“, schreibt der Historiker Michael Hicks. In 50 Jahren wurde das Land von drei regionalen Revolten, mindestens zehn Staatsstreichen, dreizehn Schlachten, fünfzehn Invasionen, fünf Eroberungen und ebenso vielen Königen erschüttert.

Dabei mittendrin: Richard III. Er hatte, als er die Macht an sich riss, den legitimen Thronfolger in den Tower sperren lassen. Viele aus seiner Umgebung mussten in der Folge sterben. Doch die politischen Morde belasteten den Ruf des neuen Königs schon zu Lebzeiten. Zudem hatte das Haus Lancaster mit Henry VII. wieder einen Hoffnungsträger. Im französischen Exil organisierte dieser eine Armee aus Söldnern, um den intriganten Richard zu stürzen. Bei Market Bosworth, westlich von Leicester, kam es am 22. August 1485 zur Konfrontation. Als Henrys Söldner Richards Schimmel zu Fall brachten, soll dieser – laut Shakespeare – kläglich geschrien haben: „Ein Pferd! Ein Pferd! Mein Königreich für ein Pferd!“

Richard, die goldene Krone auf der eisernen Rüstung, aber ohne Pferd, wurde von Henrys Leibwache erschlagen. In Leicester stellten sie den Gefallenen zur Schau, schändeten seine Leiche und ließen sie ohne Grabstein verschwinden.

Tausende stehen Schlange vor der Kathedrale

Wahrscheinlich wäre Richard III. als einer von vielen englischen Königen einfach in Vergessenheit geraten, hätte man darüber geschwiegen. Doch der siegreiche Henry konnte es nicht dabei belassen. Die Tudors machten sich daran, den Gefallenen zu diskreditieren. Mit Shakespeare stand ihnen ein großer Autor zur Verfügung. Später versetzten die „Lügen“ Shakespeares vor allem eine hobbyhistorische Gesellschaft namens „Richard III Society“ in Rage, die seit bald hundert Jahren versucht, das Image Richards zu revidieren. Eine dieser Ricardianer ist die Autorin Philippa Langley, die ein Drehbuch über Richard schreiben wollte, aber fand, dass der Geschichte noch ein Ende fehlt: ein Leichnam. Richard-Biograf und Historiker David Baldwin vermutete das Grab bereits in den 80er Jahren dort, wo man es dann fand. Langley ließ nicht locker, organisierte bei der Stadt, der Universität und unter den Ricardianern die nötigen 35 000 Pfund für die Ausgrabung. Schon am ersten Tag der Grabung stießen die Archäologen auf ein Skelett, dessen Wirbelsäule einen auffälligen Bogen machte. Der Rest ist Archäologiegeschichte.

Wer dieser Tage in Leicester unterwegs ist, wird den Eindruck nicht los. „RIII“ ist jetzt überall. Tausende stehen stundenlang vor der Kathedrale Schlange, um einen Blick auf den König zu werfen. Seine Initialen leuchten imposant, goldig glänzend und mit einer Krone geschmückt auf dem Marmor des neuen Museums, das an der Stelle der Ausgrabung eröffnet wurde. Man hat beim Reingehen eher das Gefühl, ein gehobenes Hotel zu betreten. Und je weiter man durch das Museum geht, desto mehr gleicht es einem Krankenhaus mit seinem Magnetresonanztomografen-Imitat, in dem das Skelett-Modell liegt, der Replikation der Wirbelsäule und der Rekonstruktion der Muskelkontrolle von Richards Gesicht. Es ist wie eine säkularisierte Form des Reliquienkults.

Überall in der Stadt hängen schwarze Plakate des Fernsehsenders Channel 4, der für seine Doku-Serie wirbt, die stilistisch irgendwo zwischen „Games of Thrones“ und „CSI“ angesiedelt ist. Zur Reihe gehört auch die Sendung mit Dominic Smee, der vielleicht skurrilste Versuch, das Publikum in dieses Skelett einzufühlen. Der Sender scheute keine Mühe, brachte Smee in vier Monaten das Reiten und den Schwertkampf bei, ließ ihm eine Rüstung schmieden, die an seinen krummen Rücken passt. Alles nur, um jemanden zu haben, der uns sagen kann, wie sich Richard III. in der Schlacht gefühlt haben könnte.

Und? Wie fühlt er sich? „Körperlich macht es eigentlich keine Probleme, auch auf dem Pferd nicht. Solange ich nichts Schweres hochhebe oder es nicht kalt ist“, sagt Smee. So wird sich auch Richard gefühlt haben.

Tin Fischer[Leicester]

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