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Romantik pur. Für die 9000 Kilometer lange Strecke von Moskau nach Wladiwostok brauchen die Züge der Transsibirischen Eisenbahn heute knapp eine Woche. Das ist gut für Touristen – aber schlecht für die wirtschaftliche Entwicklung des fernen russischen Ostens. Dort sollen demnächst, wie in China, auch neue Retortenstädte entstehen.

© dpa

Russland hat einen ehrgeizigen Plan: Mit der Bahn vom Atlantik bis nach Alaska

Mit neuen Straßen und Schienen plant Russland eine direkte Verbindung vom Atlantik bis nach Alaska. Die Kosten werden auf bis zu eine Billion Dollar geschätzt – China ist Partner und Konkurrent Moskaus.

Eine direkte Verbindung vom Atlantik bis nach Alaska. Durch Tundra und Taiga. Auf Straße und Schiene. Mit Karossen der S-Klasse und Hochgeschwindigkeitszügen, die die knapp 21 000 Kilometer lange Strecke bei einer Reisegeschwindigkeit von „nur“ 250 Stundenkilometern in noch nicht einmal vier Tagen bewältigen würden. Es klingt wie eine Vorwegnahme der fernen Zukunft und das ist es auch. Nicht einmal eine Computersimulation hatte Bahnchef Wladimir Jakunin zu dem Brainstorming in der Russischen Akademie der Wissenschaften mitgebracht, bei dem er vor handverlesenen Experten für das Projekt warb.

Pläne, den asiatischen und den europäischen Teil Russlands und deren Nachbarn mit einem Netz von Autobahnen und Hochgeschwindigkeitsstrecken zu „verlinken“ gibt es seit langem. Doch real sind selbst als Fernstraßen ausgewiesene Trassen wie die R504 – der von Gulag-Häftlingen gebaute Kolyma-Trakt in Ostsibirien – nur von Geländewagen befahrbar. Und auf der 600 Kilometer langen Strecke der Russischen Staatsbahn (RZD) von Moskau nach St. Petersburg gibt es nach wie vor Stellen, an denen die Züge, ausgelegt für Geschwindigkeiten von bis zu 400 Stundenkilometern, auf 120 abbremsen müssen. Andere Projekte liegen derzeit auf Eis. Sparen, sparen und nochmals sparen heißt die Devise, die Finanzminister Anton Siluanow mit Blick auf Ölpreisverfall und Rubelschwäche ausgegeben hat.

Am Geld könnte alles scheitern

Am schnöden Mammon könnte auch das transeurasische Projekt scheitern. Trotz persönlicher Freundschaft mit Wladimir Putin konnte Bahnchef Jakunin sich bislang nicht einmal zu einem ungefähren Kostenanschlag aufraffen. Es dürfte um einen hohen dreistelligen Milliardenbetrag gehen. Kritische Medien jonglieren sogar mit über einer Billion US-Dollar. Denn die Trasse quert in Sibirien extrem dünn besiedelte Regionen ohne jede Infrastruktur. In Jakutien beträgt die Entfernung von einem Dorf zum anderen hunderte Kilometer. Spätestens dort schlägt das extreme arktische Klima mit voller Wucht zu. Reißende Flüsse sind zu überwölben, Pfähle müssen tief in den Permafrostboden gerammt werden, dessen oberste Schicht sich in den kurzen, aber heftigen arktischen Sommern in Morast verwandelt.

An Klima und Natur scheiterte schon die Polarbahn, die Stalin ab 1946 bauen ließ. Erst 2009 gelang der Bau eines eingleisigen, nicht elektrifizierten Teilstücks einschließlich einer Brücke, die bei Selichard den dort anderthalb Kilometer breiten Ob überquert. Stalins Ingenieure waren daran trotz Drohungen mit standrechtlicher Erschießung gescheitert und auf eine Fähre ausgewichen. Doch die Querung des Ob ist Kindergeburtstag im Vergleich zum Tunnelbau im Eismeer, mit dem das transeurasische Projekt steht und fällt. Mindestens 200 Kilometer lang muss die Röhre unter der Beringstraße sein. Der an seiner schmalsten Stelle rund 80 km breite Sund trennt die zu Russland gehörende Tschuktschen-Halbinsel von Alaska, das Zar Alexander II. 1867 an die USA verkauft hat.

Auch könnte das Vorhaben an der internationalen Großwetterlage scheitern. Störfaktor ist neben der Ukraine-Krise auch der Kampf um die Arktis. In internationalen Gewässern des Nördlichen Eismeeres lagern riesige Öl- und Gasvorkommen, deren Abbau der Klimawandel zunehmend rentabel macht. Neben den eigentlichen Anrainern mischen daher auch China und Japan mit.

Auch beim Transeurasien-Projekt, das neben schnellen Verkehrsverbindungen auch ein Netz von Öl- und Gaspipelines sowie den Bau von 15 Großstädten in der eisigen Ödnis vorsieht, weshalb Experten Vergleiche mit der flächendeckenden Elektrifizierung der Sowjetunion bis 1935 ziehen, könnte Peking eine Schlüsselrolle zufallen. Neben einer Gasleitung in Ostsibirien, die von chinesischen Banken kreditiert wird, ging es bei Putins jüngstem China-Besuch im Sommer vor allem um gemeinsame Verkehrsprojekte.

Chinesen könnten über die Beringstraße nach New York zum Shoppen fahren

Auch Chinesen sollen künftig bequem per Zug in New York auf Shopping-Tour gehen können, die Strecke würde über die Beringstraße führen. Als größter Geldgeber könnte Peking darauf dringen, ausschließlich chinesische Firmen für den Bau zu verpflichten. Tunnel inklusive. Eine Perspektive, die Moskau allein schon wegen der schleichenden Invasion, die das Reich der Mitte seit Jahren in Russisch-Fernost durchzieht, den Angstschweiß auf die Stirn treibt. Trotz der von beiden immer wieder beschworenen strategischen Partnerschaft.

In deren Ergebnis wurde bereits ein modernes Double für die Transsibirische Eisenbahn vereinbart, wo Züge derzeit mit durchschnittlich 60 Stundenkilometern durch die Gegend zuckeln. Für die 9000 Kilometer lange Strecke von Moskau nach Wladiwostok brauchen sie noch immer mehr als sechs Tage. Die Transsib 2.0 soll Richtung Westen über Berlin bis nach Paris verlängert werden und sich im Osten teilen, ein Strang dabei über Kasachstan nach China führen.

Parallel dazu hat Peking ein Konkurrenzprojekt für die Transsib in der Pipeline, bei dem der strategische Partner außen vor bleibt. Die Strecke soll an Russland vorbei über Zentralasien, Iran und die Türkei führen. In europäischer Normalspur, die auch in China Standard ist. Damit hätte sich auch das Wechseln der Drehgestelle für die russische Breitspur an den Grenzen erledigt, das derzeit pro Zug etwa zwei Stunden dauert.

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