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Grigori Perelman

© dpa

Russland: Millionen-Dollar-Rätsel um Mathe-Genie

Der Russe Grigori Perelman hat eines der größten mathematischen Rätsel der Menschheit gelöst. Nun wollen Wissenschaftler auf einer Tagung in Paris das Jahrhundert-Genie feiern - ohne den Star. Ob er seinen Millionen-Dollar-Preis noch annimmt, lässt der Geehrte offen.

Ganz Russland reibt sich am wohl größten Mathe-Genie der Welt: Nimmt der St. Petersburger Grigori Perelman für seine Rechenkunst den mit einer Million Dollar dotierten Millennium-Preis des US-amerikanischen Clay-Instituts für Mathematik entgegen? "Ich denke noch darüber nach", sagte der 43-Jährige russischen Medien. Mit dieser Antwort macht sich der Russe inzwischen selbst zum großen Rätsel. Viele fragen sich, wie jemand denn eine Million Dollar (knapp 820.000 Euro) ausschlagen kann. Kinder- oder auch Umweltschützer bitten Perelman um Spenden. Und sogar Russlands Regierungschef Wladimir Putin gerät ins Grübeln über das Einsiedler-Genie, das die Öffentlichkeit scheut.

Schon 2002 hat der jetzt 43-jährige Perelman die sogenannte Poincaré-Vermutung bewiesen - ein mathematisches Jahrhundert-Rätsel, ungelöst seit 1904, als der Franzose Henri Poincaré (1854-1912) seine Vermutung formulierte. Doch von Ruhm, Ehre und Geld will der Mann mit den zotteligen Haaren und dem Rauschebart nichts wissen. Perelman will, wie er schroff sagt, nur in Ruhe gelassen werden. Längst arbeitet er auch nicht mehr.

Weltberühmter Mathematiker lebt zurückgezogen

An seinem Wohnort am Rande von St. Petersburg stellen ihm Medien seit Monaten beim Spazierengehen und Einkaufen nach. Doch "Grischa", wie viele den kauzigen Landsmann mit dem Aussehen eines Rasputin nennen, bleibt abweisend. Seine Nachbarn werden zitiert, dass der weltberühmte Mathematiker zurückgezogen mit seiner Mutter in einer kleinen Wohnung lebe. Spärlich eingerichtet sei diese - und von Kakerlaken bevölkert. Da liegt es auf der Hand, dass sich nun die halbe Welt fragt, ob er sich nicht endlich ein schönes Leben mit dem vielen Geld machen will.

Für manchen Russen ist die Millionen-Dollar-Preisfrage längst zum Gesprächsthema Nummer eins geworden - Mathematik hin oder her. Seit März, als ihn das US-Institut auszeichnete, reißen die Spekulationen nicht ab. In dem Land mit extremer sozialer Armut dürfe so viel Geld nicht einfach "verfallen".

Die St. Petersburger Kommunisten etwa sehen in Perelman noch einen "echten Sowjetmenschen". Der am 13. Juni 1966 im damaligen Leningrad geborene "Grischa" verkörpere noch Werte. Die Kommunistin Veronika Klinowizkaja erinnert auch daran, dass Perelman trotz seiner Jahre als Wissenschaftler in den USA wieder in die Heimat zurückkehrt sei. Doch bei einer Million Dollar hört auch für die Kommunisten der Spaß auf. Soll das Geld im Westen bleiben, dort, wo Forscher damit vielleicht "Bomben" herstellen könnten, fragt Klinowizkaja.

Beweis eines abstrakten Problems

Perelmans Beweis der Poincaré-Vermutung, sagen Mathematiker, sei zwar im Moment kaum auf praktische Anwendungen zu beziehen. Bei dem mathematischen Problem geht es um die Eigenschaften dreidimensionaler Räume. Stark vereinfacht gesagt lautet Poincarés These, alle dreidimensionalen Körper, die kein Loch haben, unterscheiden sich nicht grundsätzlich von einer Kugel - sie lassen sich also stets irgendwie zu einer Kugel umformen, ohne sie auseinanderzureißen. Für die zweidimensionalen Oberflächen einer Kugel, eines Würfels und anderer geschlossener Körper war dies längst bewiesen. Perelman hat als Erster gezeigt, dass dies auch für hypothetische dreidimensionale Flächen in einem vierdimensionalen Raum gilt.

Er erklärt damit etwas, woran sich Generationen von Mathematikern die Zähne ausgebissen haben. Schon 2006 sollte Perelman in Spanien die Fields-Medaille bekommen, eine Art Nobelpreis für Mathematik. Doch er lehnte ab.

Wenn nun das Institut Henri Poincaré in Paris am 8. und 9. Juni in Paris zu Ehren von Perelmans Lösung einlädt, bleibt das Genie selbst fern: "Ich fahre nicht", sagte er. Das Clay-Institut, das Mitte März seine Entscheidung für den Millennium Prize bekanntgegeben hatte, reagierte gelassen. Dies sei eine Privatsache Perelmans.

In Russland benutzt die Regierung den berühmten Mathematiker inzwischen sogar als Vorbild für die Wissenschaft. Regierungschef Wladmir Putin lobte die Selbstlosigkeit des Genies, das aus reinem Enthusiasmus Großes leiste. Als sich der Präsident der Akademie der Wissenschaften, Juri Ossipow, unlängst über die unzureichende Finanzierung der Wissenschaft beklagte, antwortete Putin nur: "Denken Sie an Grischa Perelman. Er verzichtet sogar auf Geld!" (dpa)

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