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Mädchen in den Ring. Sadaf Rahimi mit ihrem Trainer in ihrem Kabuler Fitnesscenter. An der Wand stehen andere Frauen, die ebenfalls zum Boxen kommen. Foto: Omar Sobhani, Reuters

© REUTERS

Panorama: Sadaf schlägt zu

Eine 17-jährige Afghanin boxt bei den Olympischen Spielen in London für ihr Land – als einzige Frau.

Von der Tribüne des Kabuler Ghazi-Stadions aus sieht man in der Ferne die Berge. Früher nannten es Medien das „Todesstadion“, weil die Taliban hier Frauen wegen Ehebruchs steinigen ließen. Heute drischt Sadaf Rahimi hier auf Sandsäcke ein oder verprügelt in Übungskämpfen ihre Sparringspartner. Das Gesicht durch eine Maske geschützt, blickt sie konzentriert aus ihren Kajal-umrandeten Augen, während die Fäuste wirbeln.

Im Sommer tritt die 17-Jährige bei den Olympischen Spielen in London für Afghanistan an – im Boxring. Boxen ist auch im Westen kein klassischer Frauensport. Doch in Afghanistan, wo Frauen unter den Taliban nicht zur Schule gehen oder arbeiten durften, geschweige denn Sport treiben, ist die junge Boxerin eine Sensation. Die junge Frau steht für eine jener Erfolgsgeschichten, die man gerne hört, weil es so wenige davon in Afghanistan gibt – und die den Einsatz des Westens am Hindukusch nicht ganz so vergeblich aussehen lassen. Doch typisch ist ihre Geschichte nicht. Die meisten Afghaninnen leben auch zehn Jahre nach dem Sturz der Taliban weiter verborgen unter Burkas oder hinter den Mauern ihrer Gehöfte. Viele sind Gewalt ausgesetzt.

Aber Sadafs Beispiel macht Mut, dass sich etwas tut, wenn auch langsam. Weil sie sich in einer Männerdomäne behauptet, weil sie allen Rollenklischees trotzt und Frauen neue Freiheiten erobert. Wenn sie in London antritt, dann kämpfe sie für die Ehre und Würde ihres geschundenen Landes und seiner Frauen, sagt sie Journalisten. „Ich will der Welt zeigen, dass ein afghanisches Mädchen kämpfen kann.“ Und kämpfen kann sie. Bei einem Wettkampf in Tadschikistan holte sie die Bronzemedaille. Das Olympische Komitee gestand ihr eine „wild card“ für London zu. Sie ist erst die zweite Afghanin, die ihr Land seit 2001 repräsentiert – nach der Läuferin Robina Muqimyar, die 2004 in Athen mitrannte.

Während des Taliban-Regimes war Afghanistan von den Spielen gebannt. Erst seit 2004 ist das Land wieder mit dabei. Insgesamt vier Athleten schickt Afghanistan nun nach London. Neben der Boxerin Sadaf und dem 100-Meter-Sprinter Massoud Azizi die beiden Taekwondo-Kämpfer Rohullah Nikpai und Nasar Ahmad Bahawi: Nikpai wurde zum Volkshelden, als er bei Olympia 2008 Bronze gewann.

Es ist wohl kein Wunder, dass im kriegsgebeutelten Land Kampfsportarten boomen. Doch die Trainingsbedingungen der meisten Athleten sind lausig. Auch Sadaf, die in der 54-Kilogramm-Gewichtsklasse kämpft, trainiert in einem provisorischen Fitnesscenter. Zwei Dutzend Frauen erproben hier inzwischen ihre Schlagkraft, darunter Sadafs zwei Schwestern.

Ohne Rückhalt ihrer Familie wäre dies nicht möglich. Die Rahimis sind liberaler als viele ihrer Landsleute. Unter den Taliban waren sie in den Iran geflohen. Doch bei den Wettkämpfen muss auch Sadaf Zugeständnisse an die konservative Kultur ihres Landes machen. Es wäre undenkbar, dass eine Afghanin nur in Shorts und mit nackten Knien öffentlich auftritt. So wird sie wohl schwarze Strümpfe unter dem Dress tragen.

„Sadaf Rahimi ist das einzige Mädchen, das an diesen Spielen teilnimmt“, sagt ihr Trainer Mohammad Saber Sharifi. „Sie wird alle Frauen Afghanistans repräsentieren.“ Doch die junge Boxerin sieht mit Sorge in die Zukunft, wie ein Schatten legt sich die Angst vor einer Rückkehr der Taliban über das Land. „Ich hoffe, dass die Taliban nicht zurückkommen“, sagt sie. „Aber wenn doch, fordere ich sie auf, Frauen zu erlauben, zur Schule zu gehen und Sport zu treiben.“

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