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Der Violinenmacher und -Sammler Amnon Weinstein.

© AFP

Sammler Amnon Weinstein: Die Geige von Auschwitz

Dreißig Geigen, die den Holocaust überstanden, werden gegenwärtig auf einer Konzertreise durch Israel zum Klingen gebracht. Sie erzählen auch vom Schicksal ihrer früheren Besitzer.

Manche sind von Schnee und Frost beschädigt, andere waren in den Kellern eines jüdischen Gettos versteckt, wurden aus einem Deportationszug geworfen oder ermöglichten ihren Besitzern in einem Vernichtungslager der Nazis das Überleben: Dreißig Geigen, die den Holocaust überstanden, werden gegenwärtig auf einer Konzertreise durch Israel zum Klingen gebracht. Sie erzählen auch vom Schicksal ihrer früheren Besitzer. Während er die Violine unter sein Kinn klemmt, zittert Solist Guy Braunstein mitten im Konzertsaal von Tel Aviv die Hand. "Ich habe tausende Konzerte gegeben, aber nie war ich so aufgewühlt wie in dem Moment, als ich die Geige aus Auschwitz in meiner Hand hielt", erzählt der langjährige Konzertmeister der Berliner Philharmoniker hinterher.

Das Instrument gehörte einem der Orchester-Musiker, die täglich im KZ Auschwitz spielen mussten, während die Lagerinsassen zur Zwangsarbeit aus dem Tor marschierten. Als die ersten Töne des Adagietto von Gustav Mahlers Fünfter Sinfonie erklingen, kommen vielen in dem vollbesetzten Konzertsaal die Tränen. "Diese Geige riecht anders", sagt Braunstein. "Weil ich ihre Geschichte kenne, habe ich beim Spielen das Gefühl, dass mir jemand einen Pflock ins Herz treibt". Er nimmt zum zweiten Mal an dem Konzertprojekt mit dem Titel "Geigen der Hoffnung" teil.

"Aus ihnen schlüpfen Stimmen, Weinen, Lachen und Gebete."

Dieselben Geigen erklangen auch beim Konzert der Berliner Philharmoniker Anfang 2015 zum 70. Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau. Initiator der Konzerte ist der israelische Geigenbauer Amnon Weinstein. Der 76-jährige Israeli stammt aus einer Familie litauischer Juden, die rechtzeitig vor den Nazis fliehen konnten. Seit mehr als 20 Jahren sammelt und restauriert Weinstein in seiner Souterrain-Werkstatt in Tel Aviv die hölzernen Holocaust-Überlebenden. Viele seiner Schätze sind in einem erbärmlichen Zustand, wenn sie bei ihm eintreffen. "Solange ich lebe, werde ich nach Violinen oder Violoncelli suchen, die den Holocaust überstanden haben", sagt er. "Ich repariere sie und sorge dafür, dass sie wieder konzerttauglich sind. Ich möchte, dass sie ihre Geschichte erzählen können".

Jedes dieser Instrumente habe einen eigenen Ton, "aus ihnen schlüpfen Stimmen, Weinen, Lachen und Gebete." Weinsteins Sammlung besteht heute aus sechzig Instrumenten, von denen jedes das Schicksal eines europäischen Juden bezeugt - nur selten endet es nicht tragisch. Die meisten seiner Geigen stammen aus Deutschland oder der Tschechoslowakei, oft verweist ein eingravierter Davidstern oder ein Name auf den früheren Besitzer. Wenn er nicht an seinen klingenden Zeitzeugen arbeitet, sitzt Amnon Weinstein an seinem Computer, dem einzigen modernen Gerät in seiner vollgestopften Werkstatt.

"Dort, wo ich hinfahre, kann ich nichts mehr damit anfangen"

Stundenlang recherchiert er im Internet die Herkunft der Geigen und pflegt sein Netzwerk von Hinweisgebern. Mit ihrer Hilfe erhielt er vor kurzem ein Instrument, das sein Besitzer auf dem Weg vom französischen Lager Drancy nach Auschwitz einem französischen Bahnbediensteten anvertraute. Aus dem Zugfenster überreichte er dem überraschten Mann seinen wertvollen Besitz und sagte, "dort, wo ich hinfahre, kann ich nichts mehr damit anfangen". Violinen sind neben Klarinetten das Leitinstrument der jüdischen Klezmer-Musik. "In so vielen Berichten von der Schoah kommt eine Geige vor; ein Mann, der trotz Kälte, Hunger und Flöhen zu spielen beginnt - und alle, die ihm zuhören, können in Gedanken entfliehen, davonfliegen wie in einem Chagall-Gemälde", erzählt Weinstein.

Der Geigenbauer setzt auf seinen ältesten Sohn Avschalom, der sein Handwerk in dritter Generation fortführt, um seine Mission weiter zu verfolgen: Das Gedenken an die Millionen in den Gettos und Lagern der Nazis Verschwundenen und an ihre Musik zu bewahren. (AFP)

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