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Frau_in_Riad

© AFP

Saudi-Arabien: Schwelender Aufruhr

Frauen haben in Saudi-Arabien Religionspolizisten tätlich angegriffen – sie wollten sich nicht gängeln lassen. Stattdessen wehrten sich die Frauen mit Pfefferspray gegen die Hüter der islamischen Moral.

Darauf waren die Vertreter der saudischen Religionspolizei wohl nicht gefasst: Zwei Frauen in der ostsaudischen Stadt Al Khobar griffen die Hüter der islamischen Moral mit Pfefferspay an und beschimpften sie als „Terroristen“. Eine Frau filmte den Vorfall mit ihrem Handy. Die Religionshüter mussten Sicherheitskräfte zu Hilfe holen, um die Frauen zu überwältigen. Sie hatten erzürnt reagiert, weil die Moralapostel sie angehalten und wegen ihres starken Make-ups kritisiert hatten. Die Frauen seien „herausgeputzt“ gewesen, rechtfertigte der Leiter der Kommission für die Verbreitung von Tugenden und die Verhinderung von Lastern, wie die Religionspolizei offiziell heißt, Muhammed Ibn Marschud al Marsud, das Vorgehen der Truppe. Dies berichtete am Mittwoch die saudische Tageszeitung „Arab News“. Im Verhör hätten sich die Frauen entschuldigt und seien freigelassen worden, hieß es weiter. Der Vorfall zeigt, dass immer mehr saudische Frauen sich nicht mehr von konservativen Moralvorstellungen und Verboten gängeln lassen wollen.

Symbol für die Ungleichbehandlung von Frauen ist das Fahrverbot, das nichts mit dem Islam, sondern mit der einseitigen Islamauslegung in dem Königreich und gesellschaftlichen Traditionen zu tun hat. Doch auch dagegen begehren die Frauen jetzt auf. Am Sonntag, dem saudischen Nationalfeiertag, sandten Frauenrechtlerinnen eine Petition mit 1100 Unterschriften an König Abdallah, in der die Aufhebung des Fahrverbots für Frauen gefordert wird. Zu den Unterzeichnern der elektronischen Petition gehören auch zahlreiche Männer, betonte die Initiatorin der Unterschriftenaktion und Vorsitzende des Frauenrechtsverbandes, Fausja al Ojuni, im Gespräch mit der Nachrichtenagentur AFP. „Es ist Zeit, dass Frauen das ihnen zustehende Recht, Auto zu fahren, eingeräumt wird“, heißt es in dem Text. Das Verbot gehe nicht auf den Islam zurück, sondern ausschließlich auf „gesellschaftliche und nicht zu rechtfertigende“ Gepflogenheiten. Die Petition verweist darauf, dass Frauen in Saudi-Arabien in abgelegenen Dörfern sowie in abgeriegelten Wohngebieten bereits Auto fahren.

Ins Gefängnis für das Fahren eines Autos

Das Fahrverbot für Frauen ist in der Vergangenheit immer wieder erfolglos infrage gestellt worden. Der liberale Abgeordnete des vom König ernannten Schura-Rates, der Historiker Mohammed al Zulfa, hatte vor zwei Jahren dessen Abschaffung diskutieren wollen. Das beratende Gremium hatte dies abgelehnt. 1990 hatten 47 Frauen das Fahrverbot durchbrochen und waren in 15 Wagen durch die Hauptstadt Riad gefahren. Sie mussten eine Nacht im Gefängnis verbringen. Daraufhin war ein Rechtsgutachten erlassen worden, welches das Autofahren untersagt. In ländlichen Gegenden wird es jedoch nicht strikt eingehalten. Konservative Kräfte befürchten, dass eine Aufhebung das Zusammentreffen von Männern und Frauen erleichtern könne. Doch das führt zu der kuriosen Situation, dass Frauen stundenlang mit fremden und nicht verwandten Männern im Auto verbringen, nämlich ihren Fahrern, die oft asiatischer Herkunft sind. Viele Beobachter glauben, dass das Verbot aus wirtschaftlichen Gründen eines Tages fallen wird, weil viele Familien sich keine Fahrer leisten können und Ehemänner und Brüder gezwungen sind, ihre Frauen und Töchter zur Schule, zum Einkaufen und zu Freunden zu fahren. So leeren sich in Saudi-Arabien viele Büros und Behörden zu Schulschluss schlagartig, weil die Männer ihre Kinder abholen müssen.

Die verhasste Religionspolizei ist bisher zwar auch nicht abgeschafft. Aber ihre Befugnisse wurden nach mehreren Skandalen deutlich eingeschränkt. So war sie 2002 für den Tod zahlreicher Frauen und Kinder beim Brand einer Mädchenschule mitverantwortlich gemacht worden. Sie hatten die Evakuierung behindert, um zu verhindern, dass die Mädchen ohne Schleier die Schule verlassen. Mehrfach waren „Verdächtige“ im Gewahrsam der Religionspolizei gestorben. Der von der Regierung finanzierten Organisation, die die Einhaltung islamischer Regeln im öffentlichen Leben überwacht, muss mittlerweile von ihr aufgespürte „Verdächtige“ der regulären Polizei übergeben. In den Zeitungen wird laut über die Rolle dieser Moralapostel debattiert. Das historische Bündnis zwischen der regierenden Familie der al Sauds und den Religionsgelehrten, die der extrem konservativen Islamrichtung des Wahabismus angehören, wird dabei indirekt infrage gestellt.

Gefangene eines gesellschaftlichen Systems

Unter der Oberfläche tut sich trotz Religionspolizei viel. So gestattete die junge saudische Autorin Rajaa al Sanea 2005 in ihrem Buch „Die Girls von Riad“ einen Einblick in das Leben junger Mädchen der Oberschicht, die formell die Traditionen aufrecht erhalten, sie aber immer wieder fantasievoll unterlaufen. In ihrem Bestseller macht die heute 25-jährige Zahnmedizinstudentin aber vor allem deutlich, dass Frauen und Männer Gefangene eines gesellschaftlichen Systems und von Tabus sind, unter denen sie zunehmend leiden. Immer mehr saudische Frauen wollen jetzt aber nicht mehr stillhalten.

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