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Schlammlawine: Sizilien: Die angekündigte Katastrophe

Eine Schlammlawine auf Sizilien reißt Dutzende in den Tod. Schuld ist der Bauwahn, sagen Experten.

„Hilfe, Hilfe! Das Wasser kommt! Es geht alles viel zu schnell! Wir können das Haus nicht mehr verlas…“ Mitten im Wort bricht das Telefonat ab. Einen Augenblick später sind die 73-jährige Elena und ihr 71-jähriger Mann Letterivo tot, begraben unter Schlammmassen.

Eine Stunde heftigster Regenfälle hatte am Donnerstagabend genügt, und schon hatten sich im Süden der sizilianischen Hafenstadt Messina ganze Berge aufgelöst. Eine Schlammzunge von drei Metern Dicke und mehr begrub fünf Dörfer unter sich. Felsbrocken von bis zu zehn Metern Durchmesser rutschten mit zu Tale und verschlimmerten das Zerstörungswerk; Wassermassen schwemmten ins Meer, was auf den Straßen herumstand: Autos, Lieferwagen, ganze Kioske. Hilfstruppen kämpften sich zu Fuß zu den Dörfern vor, anders waren die Siedlungen mehr als 48 Stunden lang nicht mehr zu erreichen; Helikopter versuchten aus der Luft zu retten. Am Samstag, als 21 Leichen geborgen waren, sagte Italiens Regierungschef Silvio Berlusconi, man müsse mit mehr Opfern rechnen. Am Sonntag wurde noch ein Toter geborgen, 35 Menschen gelten als vermisst. 560 Sizilianer sind obdachlos. Zwei Bürgermeister erklärten, ihre Dörfer seien nun wohl für alle Zeiten ausgelöscht.

In seltener Einigkeit sagen Geologen, Zivilschützer und Politiker aber auch, man hätte die Katastrophe vorhersehen und vermeiden können. Schon vor genau zwei Jahren, bei vergleichbar heftigem Herbstregen, war über exakt denselben Landstrich eine Schlammlawine herniedergegangen. Zwar starben damals keine Menschen, aber zahlreiche Häuser wurden bis zur Unbewohnbarkeit beschädigt. Gleichwohl: Die Menschen zogen wieder ein, weil sie keine Alternative hatten, und von den elf Millionen Euro, die unverzüglich für die Sicherung der Hänge zugesagt worden waren, sind ganze 45 000 Euro angekommen.

Die ungebremste Masse an Schwarzbauten sei es, sagt der Chef des italienischen Zivilschutzes, Guido Bertolaso, die das Risiko vergrößerte. Unfug, wehren sich die Bürgermeister, auf ihrem Gebiet habe es keine Schwarzbauten gegeben. Stimmt beides, entgegnen Umweltexperten: Gerade in der Provinz Messina, der „Hauptstadt des Betonwahns“, sei es üblich, dass Gemeinden reguläre Bebauungspläne selbst für hochriskante Hanglagen erließen; die Läufe von Wildbächen, die jahrelang trocken liegen, aber bei Wolkenbrüchen zur tödlichen Falle werden, würden mit Wohnblöcken, Industrieanlagen oder Supermärkten verstellt oder in Straßen umfunktioniert. „Dann sind diese Bauten formell alle legal; das Problem aber sind die Bebauungspläne“, sagt Anna Giordano von der Umweltorganisation WWF in Messina.

Auch die italienischen Geologen geben die Schuld dem „Bauwahn“ der Bürgermeister. Es sei bekannt, dass 70 Prozent aller italienischen Gemeinden einem hohen Risiko an Erdrutschen und Schlammlawinen ausgesetzt seien und dass jeden Monat durchschnittlich vier Menschen dabei ums Leben kämen; eine flächendeckende Kartierung der Risikozonen liege vor, sagt der Präsident der Geologenvereinigung, Pietro Antonio De Paola. Trotzdem unterblieben weitgehend nicht nur die nötigen Schutzmaßnahmen oben am Berg; vielfach werde auch auf hochriskantem Gelände gebaut.

Zur „natürlichen Brüchigkeit“ des Territoriums kommt nach übereinstimmender Ansicht aller Experten gerade in Süditalien und Sizilien die fortschreitende Entwaldung der Hänge. Immer wieder werden Buschwerk und Waldflächen, die als Bremse für Erdrutsche dienen könnten, mit Absicht angezündet, um Bauland zu gewinnen. Zusammen mit der „Versiegelung“ des Bodens an Stellen, die für den Wasserabfluss wichtig wären, könne das – so Geologenpräsident De Paola – zu Schlammlawinen führen, die sich mit bis zu 70 Metern pro Minute fortbewegten: „Wir nennen sie Killerlawinen; innerhalb weniger Minuten sind sie im Tal. Ihre Zerstörungskraft ist immens.“

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