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Panorama: Schnee auf Eukalyptus

Warum Australier lieber jetzt Weihnachten feiern

Sanft klingt das bekannte Lied über die dunkle Strasse: „Silent night, holy night.“ Es ist kalt, ein eisiger Wind pfeift die Begleitung zu dem Weihnachtsklassiker und transportiert Düfte von Braten und Glühwein – ein ganz normaler Winterabend in den Blue Mountains unweit von Sydney. Seit einem Vierteljahrhundert wird dort im australischen Winter das „Yulefest“ gefeiert, die Beliebtheit wächst von Jahr zu Jahr.

1980 war es, als mehrere irischstämmige Geschäftsleute am brennenden Kamin im „Mountain Country House Heritage Retreat“ begannen, sich sentimentale Geschichten vom Weihnachten in der alten Heimat zu erzählen. Wie schön es doch gewesen sei, im Winter zu feiern und nicht in der glühenden Hitze eines australischen Hochsommers, der die Kerzen schmelzen lässt, bevor sie überhaupt angezündet sind und dafür sorgt, dass dem Weihnachtsmann der Schweiß in Strömen in den Rauschebart tropft. Der geschäftstüchtige Hotelier witterte eine Marktlücke, machte sich auf die schwierige aber letztendlich erfolgreiche Suche nach einem Weihnachtsbaum und servierte den begeisterten Gästen am nächsten Abend ein gewaltiges Weihnachtsmahl mit Schinken, Truthahn, dem unglaublich kalorienreichen Plumpudding und allem, was sonst noch dazugehört. Das essen zwar viele Australier auch immer noch zum „richtigen“ Fest am ersten Weihnachtsfeiertag, bereuen dies aber oft bitter beim anschliessenden Strandbesuch bei Temperaturen von weit über 30 Grad. Und Glühwein ist selbst bei bestem Willen an Weihnachten nicht zu verkraften.

Deshalb speisen immer mehr Bewohner der Vier-Millionen-Stadt Sydney inzwischen im Dezember lieber leicht und holen das füllende Weihnachtsmahl im australischen Winter in den Blue Mountains nach. Unter ihnen sind besonders viele europäische Einwanderer, denen die Weihnachtsstimmung abgeht, die sie aus ihrer Kinderzeit kennen. So wie Hans Heidrich, der vor über 30 Jahren aus Deutschland eingewandert ist und schon lange die australische Staatsbürgerschaft angenommen hat. „Die dunklen Abende mit den Kerzen und der ganzen Atmosphäre gehören doch irgendwie dazu“, sagt der Kameramann, bevor er sich zum großen Mal niedersetzt. Genau wie er nehmen die meisten Menschen das Ersatzfest aber nicht so richtig ernst. Selbst die Kirchen haben nie gegen das Weihnachten ohne religiösen Hintergrund protestiert.

Inzwischen kann man in den Blue Mountains zwischen Dutzenden von Angeboten wählen. Meist sind es komplette Wochenendpakete, die in den drei Yulefestmonate Juni, Juli und August auf den Markt kommen und oft mehr als 500 australische Dollar (300 Euro) kosten, Santa Claus’ Auftritt ist eingeschlossen. Die ganz Glücklichen erleben sogar das ultimative Weihnachtsgefühl, wenn nämlich ein paar Schneeflocken auf die Gipfel der kaum über 1000 Meter aufragenden Berge nur 70 Kilometer Luftlinie vom Pazifik niedersegeln.

Wenn der Schnee auf den obersten Blättern der Eukalyptusbäume liegenbleibt, ist es mit der Ruhe aber bald vorbei. Das Ereignis gilt in der subtropischen Region als so bedeutend, dass es nur eine Frage der Zeit ist, wann der erste Hubschrauber der privaten Fernsehsender herandonnert, um das erstaunliche Naturphänomen zu dokumentieren. Und am Abend können dann die Daheimgebliebenen in Sydney den Schnee bewundern, nachdem sie von ihrem Spaziergang am Strand zurückgekommen sind. Gestern war es in Sydney 20 Grad warm, auch das ist Winter in Australien.

Alexander Hofmann[Sydney]

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