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Panorama: Schnell ins Netz

Der Angriff auf London wurde zur Stunde der Blogger. Schon kurz danach standen Handy-Fotos von den Tatorten im Internet

Ein kleines Mädchen, das im Wasser taucht und die Zunge herausstreckt, ein Muskelprotz, der Feuer spuckt, ein grimmig dreinschauender Mann, der den Mittelfinger zeigt. Und die vielen Haustiere, die treu in die Fotokamera gucken. Sie alle verkünden die gleiche Botschaft: „We are not afraid“ – „Wir haben keine Angst“. Adressiert werden soll die Botschaft an die Terroristen von Al Qaida.

Ihren Slogan verkünden sie nicht im Fernsehen, dem Radio oder der Zeitung, sondern im Internet. Die Internetseite der Web-Aktion www.werenotafraid.com wird so oft geklickt, dass eine Verbindung zur Seite zeitweise nicht möglich ist. Surfer aus aller Welt wollen ihr Bild auf die Seite laden, um den Terroristen ihre Verachtung zum Ausdruck zu bringen. Oder einfach nur, um sich im Internet zu verewigen und Teil der hippen Aktion zu sein.

Die Anschläge in London wurden zur Stunde der Blogger und der Internetforen. Während die Londoner Behörden nur sehr zögerlich mit Informationen herausrückten, das Mobilfunknetz für Stunden überlastet war, tippten viele Londoner bereits ihre Erlebnisse in ihre Web-Tagebücher und veröffentlichten ihre Fotos – Fotos, die sie mit ihrem Handy von dem Ereignis gemacht hatten, oder Fotos von sich, mit denen sie gegen den Terror Stellung nehmen.

Vor allem stadtbezogene Internetforen zogen die Blogger an: Während noch Unklarheit darüber herrschte, was überhaupt passiert war, spekulierten Surfer bereits über Terror-Akte, schilderten, was sich vor ihren Augen abspielte, oder versuchten, über das Internet ihren Angehörigen mitzuteilen, dass sie wohlauf seien. Auf der Seite london.metblogs.com berichtete die Bloggerin Beth Ballingall, die sich zur Zeit der Anschläge in der Innenstadt von London befand: „Ich hoffe, dass bald gesagt wird, ob wir irgendwas tun können – Blut spenden oder irgendwo helfen.“ Und ein Blogger, der sich „Bignoseduglyguy“ nennt, schrieb erleichtert, dass er gerade erfahren habe, dass seine Tochter und seine Frau wohlauf seien.

Auf der privaten Homepage www.londonblog.com trudelten nach den Anschlägen Botschaften aus der ganzen Welt ein. „Hängt sie hoch!“, forderte ein Surfer aus den USA als Strafe für die Terroristen. „Ihr habt das bekommen, was ihr verdient habt“, meint ein anderer, der den Einsatz britischer Truppen im Irak verurteilt.

Bloggen – das ist der Dialog über Internetseiten mit der Öffentlichkeit. Jeder kann online ohne großes technisches Wissen sein Leben und seine Gedanken zugänglich machen und andere einladen, ihre Kommentare dazu abzugeben. Und die Internetgemeinde liebt diese Form, die sich abseits der klassischen Medien befindet. Die Internetseite www.wikinews.org ist ein direkter Gegenentwurf zum professionellen Journalismus: Nachrichten werden hier nicht von Journalisten recherchiert, sondern von der Internetgemeinde, zu der sich jeder hinzuzählen kann.

Von ethischen journalistischen Standards ist die schnelle Welt des Internets aber weit entfernt. Niemand kann Angaben und Behauptungen überprüfen. Es ist auch der Voyeurismus nach authentischen Bildern von den Anschlägen, der hier noch schneller und besser bedient werden kann als durch die herkömmlichen Medien. Die sind langsamer und halten eher ethische Grenzen ein. Handy-Fotos und Handy-Videosequenzen aus der U-Bahn befanden sich schon kurz nach den Terror-Akten im Internet.

Volker ter Haseborg

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