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Panorama: Schock aus Paris: Mode wird tragbar

Jahrelang produzierten Designer wie John Galliano pompöse Inszenierungen – jetzt zeigen sie, was in die Läden kommt

„Tragbar“ – das ist eigentlich ein Schimpfwort in der Mode. Genau das aber zeichnet jetzt die Pariser Modeschauen aus. Es ist eine Sensation: Paris zeigt erstmals seit vielen Jahren tragbare und langweilige Mode. Ging es bisher doch immer darum, möglichst ein überhöhtes Image, eine Kleid gewordene Traumwelt zu zeigen. Die überladenen Inszenierungen mit pompösen Kleidern sollten gar nicht tragbar sein, sie sollten nur Aufmerksamkeit erregen, damit sich das Publikum an die Marke erinnerte und fleißig ihre Parfums, Lippenstifte oder Jeans kaufte. „Schock, Horror, Horror“ – so titelte die britische „Vogue“ zur Dior-Schau – „John Galliano zeigt Tragbares“.

Der britische Designer war in der Vergangenheit der Verrückteste und Bombastischste. Und wahrlich sorgte er auch diesmal für eine Sensation, die wohl vor allem er zustande bringen kann: Alles ist ganz harmlos. Taillierte Schneiderjäckchen mit Schößen, Jeans-Miniröcke, Hosenanzüge und weite Pullover mit Logo-Druck – etwas in der Art bekommt man jederzeit auch bei Zara.

Die bunten Comic-T-Shirts mit dem plakativen Aufdruck: „Dior not war“ und „Dior for peace“, passten da ganz gut als Allgemeinplatz. Auf die Frage, ob diese Stücke auch für den Verkauf gedacht seien, antwortete Gallianos oberster Chef, der Präsident des weltweit größten Luxuskonzerns LVMH, Bernard Arnault: „Dafür wurden sie gemacht.“

So ausgehungert nach Sensationen waren die Fotografen am Rande des Catwalks, dass sie sich vor der Chanel-Show auf die Schauspielerin Nicole Kidman stürzten – die nicht einfach als Gast, sondern zu Werbezwecken in Begleitung des Designers Karl Lagerfeld erschienen war: Sie ist die neue Werbefigur für den Parfüm-Klassiker Chanel No. 5 und spielt in dem Werbespot genau das, was sie am Rande des roten Teppichs auch war – einen Filmstar, der von Paparazzi verfolgt wird. Mode gab es auch noch: Wieder zeigte Karl Lagerfeld, dass er seine Arbeit immer mit der größten Perfektion ausübt, egal ob er Billigmode für H & M oder Luxus für Chanel und Fendi präsentiert. Der exaltierte Designer lobte nach dem Defilee für seine eigene Linie „Gallery Lagerfeld“ seine fantastischen Teams, die überall bereit stünden. „Ohne gute Mitarbeiter kannst du es vergessen.“ Auch wenn Karl Lagerfeld all den Produkten, die unter seiner Anleitung entstehen, ein Gesicht und Stimme verleiht, weist er weit von sich, dass man heute nur noch mit überbordender Kreativität in der Modewelt überleben kann: „Man muss halt das Beste aus dem Kapitalismus machen.“

Ganz konsequent ist der zweite große Luxuskonzern, PPR, nach dem Weggang von Superstar Tom Ford seinen Wechsel angegangen. Das Unternehmen, das die Marken Gucci und Yves Saint Laurent vertreibt, versucht es ohne markantes Gesicht. Zwei Nachwuchskräfte aus dem Team sollen den Marken nun ihre Handschrift verleihen, Alessandra Facchinetti für Gucci und Stefano Pilati für YSL. Das hat den Vorteil, dass in diesen Tagen niemand ernsthaft eine Überraschung erwartet. Es geht also ums Verkaufen und das gelingt den börsennotierten Luxuskonzernen zur Zeit so gut wie schon lange nicht mehr: LVMH meldete für das erste Halbjahr 2004 einen fast doppelt so hohen Reingewinn wie im Krisenjahr 2003, als Irakkrieg und Sars die Branche schwer gebeutelt hatten. Bei PPR waren es sogar 61,5 Prozent mehr Gewinn.

Es ist eine riskante Vereinfachung, wenn die Häuser auf dem Laufsteg genau das zeigen, was der Kunde später im Laden kaufen kann. Es fehlt die Übersteigerung, der Thrill – und die Kreativität, die Kunst, die die Kundin und den Kunden locken soll. Außerdem müssen die namhaften Designer auf ihr übersteuertes Selbstdarstellungsbedürfnis verzichten – was ihnen möglicherweise nicht leicht fällt. So ist es nur konsequent, wenn große Namen abtreten und namenlose Handwerker das Heft in die Hand nehmen.

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