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Pistenvergnügen. Die Schneeverhältnisse immerhin stimmen derzeit in den Alpen, wie hier im Silvretta-Skigebiet. Die werden ja schließlich aktuell gemessen. Foto: dpa

© dpa

Panorama: Schummel-Pisten

Viele Skigebiete in den Alpen werben offenbar mit falschen Angaben über ihre Skistrecken.

Söll/Berlin - „Ski Foarn“, die Skifahrerhymne, allzeit fröhlich-furchtbar, dröhnt aus dem Lautsprecher über den verschneiten Parkplatz vor der Talstation. In Gruppen stapfen Wintersportler, die unhandlichen Skier auf der Schulter, die schweren Skistiefel noch offen, über die Straße zur Gondelbahn von Söll in Tirol. Allmorgendlicher Aufbruch auf die Hohe Salve in der Skiwelt Wilder Kaiser/Brixental. „Irrsinnig groß“, wirbt an der Station ein Großplakat für die Pistenwelt. Der Schriftzug prangt hier auf allem, was bedruckbar ist: Skigebietskarte, Werbeplakat, Pistenplan. Schon nach dem ersten Tag mag man es eigentlich nicht mehr sehen, dieses „Irrsinnig groß“.

Seit kurzem aber kann man dem doch etwas Gutes abgewinnen. Denn die wenig dezente Werbung stimmt immerhin. Das können in Tirol wohl nicht alle Skigebiete von sich behaupten. Auch in der Schweiz und in Frankreich wird bei der Angabe der Größe eines Wintersportgebiets offenbar geschummelt. Zum Teil sogar massiv. Bisher hatte das kaum jemand hinterfragt, obwohl die Pistenlänge die zentrale Vermarktungsgröße im Skitourismus ist. Mit Hilfe von Geodaten hat jetzt aber der Kölner Kölner Ski-Journalist Christoph Schrahe nachgerechnet, wie viele Pistenkilometer die einzelnen Gebiete tatsächlich aufweisen. Im digitalen Zeitalter ist dabei aufgeflogen, dass die offiziellen Zahlen erheblich von der Realität abweichen. „Im Schnitt“, sagt Schrahe, „liegen die angebenen Pistenkilometer bei 140 Prozent der tatsächlichen Kilometer.“ Mit deutlichen Ausreißern nach oben.

Statt die direkte Fahrlinie als Grundlage für die Messung heranzuziehen, würden teilweise Querschwünge als Berechnungsgrundlage genutzt. Die Pistenkilometer in den Werbeprospekten ergeben sich dann allenfalls aus Zickzack-Linien über den Berg.

Die „Skiwelt“ am Wilden Kaiser hat eine geringe Abweichung von 16 Prozent, erzählt Schrahe. Bis zu 30 Prozent hält er für völlig vertretbar, absolut exakt ließen sich Pistenkilometer angesichts von oftmals mehreren möglichen Streckenführungen ohnehin nicht festlegen. Andere Skigebiete liegen seinen Berechnungen zufolge allerdings weit außerhalb des Toleranzbereichs. Für einen Report über die 50 Top-Skigebiete in den Alpen hat Schrahe unter anderem „4 Vallées“ im Schweizer Wallis untersucht. Statt der beworbenen 412 biete das Gebiet in Wahrheit nur 164 Pistenkilometer. Auch das schweizerische St. Moritz meint er beim Schummeln erwischt zu haben: Dort kommt Schrahe nur auf 64 Kilometer. In Tirol schneidet zum Beispiel das Gebiet Hochzillertal-Hochfügen nicht gut ab. Schrahe ermittelt 75 Kilometer, während mit 181 Kilometern Piste geworben wird. Ebenso großzügig gehen mit den Berechnungen, folgt man Schrahe, die Vermarkter des Stubaier Gletschers und der Verbund „Skijuwel“ um.

In der Schweiz macht man sich nun Sorgen um den guten Ruf. Die Boulevardzeitung „Blick“ zitiert die Geschäftsleiterin der Stiftung für Konsumentenschutz, die die Vorwürfe untersuchen will. In Tirol hat das Thema inzwischen auch eine politische Dimension angenommen. Und möglicherweise bekommt es eine juristische, wie die österreichische Zeitung „Der Standard“ berichtet. Erwin Zangerl, Chef der Tiroler Arbeiterkammer, mahnt die Seilbahnbetreiber. Der Schwindel um die Pistenkilometer sei angesichts der Liftpreise schlicht eine Unverschämtheit. Die Tiroler Werbung fürchte um ihre Glaubwürdigkeit. Franz Hörl, Obmann der Seilbahner in der Tiroler Wirtschaftskammer, hat nun angekündigt, die Seilbahner würden sich zusammensetzen und eine einheitliche Messregelung erarbeiten.

Dennoch hat der österreichische Umweltdachverband angekündigt, die Staatsanwaltschaft einschalten zu wollen. Wegen Verdachts auf schweren Betrug. Die „Profitgier“ der Seilbahnwirtschaft sei grenzenlos. „Wenn es um die Natur geht und darum, neue Seilbahnen zu erschließen, dann werden Skigebiete minimiert. Geht es darum, Gäste anzulocken, dann werden Skigebiete maximiert“, zitiert ihn der „Standard“.

Die Tiroler Regierung gibt sich noch zurückhaltend. „Wir warten auf konkrete Modelle der Seilbahner. Wir wollen keine abstrakte Regelung einführen“, sagte Gerhard Föger von der Tourismusabteilung. Erste Sitzungen der Liftbetreiber habe es bereits gegeben: „Niemand sträubt sich gegen eine Vereinheitlichung. Es ist ja im Interesse aller, dass keine Glaubwürdigkeit verlorengeht“, sagte Hörl. Er hofft, dass bereits in der kommenden Wintersaison vergleichbare Pistenkilometer ausgewiesen werden. mit dpa

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