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Schweden: Die Royalitätsfrage

Schwedens Kronprinzessin Victoria heiratet einen Mann aus dem Volk. Darf sie das wirklich? Vom Dünkel im Land der Du-Sager.

Therese Anderson sitzt auf ihrem Balkon, in der Hand einen Drink. Es ist spät am Abend, aber noch hell, denn in Stockholm sind die Tage derzeit lang. Unter dem Balkon führt die Nybrogatan entlang, eine feine Wohn- und Ausgehstraße. Jenseits des Balkons schimmern Häuserzeilen und Wasser. Und das königliche Schloss.

So vornehm wohnt Therese Anderson, die aus der Provinz stammt, deren Eltern weder Akademiker sind noch reich, sondern Handwerker. Die erst Anzeigenverkäuferin war und sich dann mit einer Werbefirma selbstständig machte, gerade eine Filiale in Los Angeles eröffnete. Die deshalb irgendwie ein bisschen ist wie Daniel Westling, der Kleine-Leute-Sohn aus Ockelbo, verhinderter Student und späterer Fitnessstudiobesitzer, der am Sonnabend gegen 15.30 Uhr zum Prinzen werden soll, zum Mitglied der Königlichen Familie, Herzog von Västergotland, durch ein Ja von Prinzessin Victoria, Bewohnerin des Schlosses, Tochter eines Königs.

Aufsteiger sind häufig in Schweden. Dem Wohlfahrtsstaat ist Chancengleichheit seit jeher ein wichtiges Anliegen. „Alla ska med“, Alle sollen mit, lautete ein Slogan der sozialdemokratischen Partei. Und doch ist das, was Daniel Westling widerfährt, mehr als nur eine märchenhafte Karriere. Er ist eine Etage weiter gestiegen, noch über die der Oberschicht hinaus, und dort ganz oben hat sich eine Tür geöffnet, die sich nach Meinung vieler nicht hätte öffnen sollen. Denn nicht mal für schwedische Großunternehmerfamilien ist es einfach, Freundschaften mit dem Hof zu schließen. Sie also beäugen den Aufsteiger neidisch.

Das Land der Chancengleichen ist auch das Land der Du-Sager. In Schweden redet man so sogar den Premierminister mit Vornamen an. Und doch hat man sich darauf eingelassen, dass weiter oben ein König thront. Ein netter König, der gerne angelt, den man aber zu siezen hat. Wie auch die Königin und die Kronprinzessin. Aber womit begründet man in einem hierarchiearmen Land diese besondere Herausgehobenheit, wenn Hinz und Kunz dort eingelassen und sogar geheiratet werden? Soll der König thronen. Aber doch bitte über allen Schweden.

Es ist nicht das erste Mal, dass so diskutiert wird. Am heutigen Sonnabend ist es genau 34 Jahre her, dass eine Bürgerliche in den Palast einheiratete. Die Bürgerliche damals war Silvia Sommerlath, Dolmetscherin aus Heidelberg. Sie wurde die Frau von König Carl Gustaf und damit Königin von Schweden. Und schon dem Gründungsmoment der schwedischen Dynastie wohnt das Bürgerliche inne: Der Gründer des schwedischen Königsgeschlechts, der Franzose Jean Baptiste Bernadotte (1763–1844), nämlich war ein Anwaltssohn, der als Soldat Karriere machte und sich so für höhere Posten empfahl. Schweden hatte zu Beginn des 19. Jahrhunderts einen kinderlosen König. Carl XIII. starb bei einem Truppenrückzug 1810, das Land stand oben ohne da. Ein Abgesandter reiste nach Paris. Napoleon Bonaparte war damals äußerst populär. Er empfahl seinen bekanntesten Feldmarschall Jean Baptiste Bernadotte als Thronfolger – ausgerechnet diesen überzeugten Republikaner, der sich die Worte „Tod den Königen“ in den Arm tätowiert haben soll. Doch Bernadotte nahm an. Er war in Schweden auf Anhieb beliebt und betrieb geschickte Politik nach außen wie nach innen. Systematisch sorgte er dafür, dass seine Nachkommen sich mit dem Hochadel verbanden. Alle Kinder heirateten Aristokraten, oft aus Deutschland. 1976 kam dann die Bürgerliche aus deutschen Landen. Und jetzt der gewöhnliche Schwede. Ist das die Beschleunigung des Abstiegs?

„Die königliche Familie ist wichtig für uns Schweden“, sinniert auf ihrem Aufsteigerbalkon Therese Anderson über die tiefere Bedeutung von Glanz und Gloria. „Die Königsfamilie integriert uns, ist eine mit Gefühlen erfassbare Klammer um die schwedische Gesellschaft.“ Und die sieht heute anders aus als noch vor einer Generation. Rund 13,7 Prozent der Bevölkerung sind im Ausland geboren, oft in den Nachbarländern, aber es gibt auch Flüchtlinge aus der Ferne, aus Somalia oder dem Irak.

Jabar Karim ist vor 20 Jahren aus dem Nordirak nach Schweden gekommen. Sein Handgelenk ist verstümmelt, Spuren von Folterungen. „Die königliche Familie“, sagt er, „strahlt etwas Schönes aus, sie beruhigt, sie spricht von Frieden. Das brauchen wir Menschen.“ Der Blick, den Karim beim Einkaufen in der Drottninggatan Richtung Schloss wirft, könnte nicht zufriedener sein als der von Therese Anderson.

Sie erzählt von den Vorteilen der Monarchie. Den ganz handfesten. „Wenn ich in Los Angeles ‚I am from Sweden’ sage, sind die entzückt, das hat mit dem romantischen Bild vom Königshaus zu tun, und das hilft, Aufträge abzuschließen.“ So spricht sie und lacht und wird am Sonnabend zum Schloss gehen, damit sie später ihren Kinder davon erzählen kann.

Die Werbung durch die Hochzeit soll unbezahlbar sein, rechnen Zeitungen vor. 2300 Journalisten kommen, wenn der Hochzeitszug mit einem Geleit aus 5000 Soldaten durch die Stadt zieht. Eine Million Touristen soll die Hochzeit in die schwedische Hauptstadt bringen.

Anna Lindberg ist im feinen Stockholmer Stadtteil Östermalm aufgewachsen, die Königskinder waren in ihrer Schule, ihre Freunde fuhren mit den Royals in den Urlaub. „Bei uns an der Schule waren die meisten aus sehr reichen Familien, trotzdem wollten alle unbedingt mit Prinzessin und Prinz befreundet sein. Da war stets ein richtiger Kult um sie herum“, erinnert sie sich. So sei es in Östermalm auch im Erwachsenenleben. Wer einmal jemanden aus der Königsfamilie zu Besuch hatte, erzähle ein Leben lang davon. „Das ist auch PR für einen selbst“, sagt Anna Lindberg. Für die Königskinder sei es hingegen schwer einzuschätzen, wer falsch spielt, wer berechnend ihre Nähe sucht.

Kronprinzessin Victoria jedenfalls entwickelte eine Essstörung, Bulimie. Sie magerte ab, und das ganze Land sah zu. Dann fing sie sich, ging ins Fitnessstudio, wo ihre Liebesgeschichte begann, die neue Doppelzüngigkeiten produzierte – was ihr aber diesmal nichts anzuhaben vermochte. Sie hielt, dem Neid aller zum Trotze, an ihrer Liebe fest, auch umgekehrt ertrug Daniel Westling den Stress, die Urteile und dazu noch gesundheitliche Probleme. Seit der Verlobung ist es einfacher geworden. Wenige wagen es seither noch, die nach siebenjährigem Zögern vom informell immer noch sehr mächtigen König endlich genehmigte Beziehung infrage zu stellen.

Einer der wenigen unerschütterlichen Kritiker ist der konservative Royalist Henrik Järrel. „Wenn sich jetzt königliches Blut mit bürgerlichem mischt, wird das natürlich langfristig das Überleben der Monarchie gefährden“, sagte er einem Fernsehsender. Ein anderer Royalist drückte sich so aus: „Wenn jetzt jeder mit noch so gewöhnlicher Herkunft Prinz werden kann, verliert die Monarchie an Symbolkraft. Daniels Herkunft spielt da eine große und negative Rolle.“

Die Republikaner im Lande werden wieder stärker. Innerhalb weniger Jahre sank die Zustimmung zur Erbmonarchie von 85 auf 56 Prozent. Schon orakelte die Chefin der Republikaner, dass in 15 Jahren eine Mehrheit der Bevölkerung für die Abschaffung der Monarchie stimmen werde, wenn deren Beliebtheit weiter sinke. Ja, wenn.

Es stand schon einmal schlecht um das Ansehen der Monarchie. Mitte der 70er Jahre ärgerte das ausschweifende Junggesellenleben des Königs die Untertanen. Die Monarchie stehe nur „eine Unterschrift“ vor der Abschaffung, wurde damals gewarnt. Als Silvia dann an den Hof kam, änderte sich das schlagartig, ihr erster Satz auf Schwedisch, den sie vor der Presse sprach, lautete: „Es ist hier so gemütlich.“ Das Volk war begeistert.

An Tochter Victoria schätzt es vor allem deren bescheidene Art. Als sie 2002 ein Praktikum beim schwedischen Außenwirtschaftsrat in Berlin machte, stellte sie sich mit „Hallo, ich bin Victoria“ vor, auf Deutsch. Und auch mit Anfang 30 noch kommt sie daher wie das nette Mädchen von nebenan. Bei den ersten Presseterminen nach Genehmigung ihrer Hochzeit schien sie schier zu platzen vor Glück. Das war schön, lieb und nah. Und diese Nähe strahlt hinein in die Gesellschaft.

Im Süßigkeitenfachgeschäft Karamellaffären in einer Touristenstraße stehen die „Victoria & Daniel“-Pralinen, ein Verkaufsschlager. „Am Anfang hatten wir nur ein paar, aber die gingen so gut weg, auch bei Schweden“, sagt Verkäuferin Elwianne Westergren, die sich die Hochzeit im Fernsehen ansehen will. „Ich war 20, als der König Silvia heiratete, und habe fast zeitgleich zu den beiden meine erste Tochter bekommen. Irgendwie identifiziert man sich mit der königlichen Familie, es ist ein geborgenes Gefühl“, sagt sie. Aber ein bedrohtes. Denn bei den heutigen Teenagern sei doch wachsendes Desinteresse zu beklagen.

Desinteresse an royalem Pomp. Aber nicht an Fragen zu Gleichheit und Gerechtigkeit. Linnea Sundström ist 17 Jahre alt, eine Schülerin mit sehr entschiedenen Ansichten. „Eine Königsfamilie ist Ausdruck dafür, dass man einen blutsmäßigen Unterschied zwischen Untertanen und ihrem Hochwohlgeborenen, einen biologischen Klassenunterschied grundsätzlich akzeptiert“, sagt sie. „Das ist das falsche Signal, wenn wir Chancengleichheit wollen.“ Dass die Sozialdemokraten trotz jahrzehntelanger absoluter Mehrheit und ihrem Grundsatzurteil zur Abschaffung der Monarchie nie gehandelt haben, versteht sie nicht. „Es bleibt falsch.“

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