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Schweinegrippe in Italien: Schutz vorm Patron

Italiens Angst vor der Schweinegrippe: Gläubige sollen Reliquien nicht berühren, Busfahrer wollen nicht mehr fahren, Schüler dürfen einander nicht herzen. Bald wird geimpft.

In Italien macht sich Panik breit. Grund ist der H1N1-Virus, die Schweinegrippe. Jetzt steht auch noch das populärste Massenereignis Neapels vor der Tür, bei dem tausende Gläubige zu der heiligen Reliquie des Stadtpatrons pilgern, die geküsst großes Glück verheißt. Hohe Ansteckungsgefahr. Und am heutigen Montag enden die Sommerferien.

Schon vergangenen Donnerstag zeigte sich das Ausmaß der Panik: der öffentliche Nahverkehr in Neapel ist wieder einmal zusammengebrochen. Aus der größten Remise der Stadt fuhr kein einziger Bus. Die Fahrer streikten, sie wollten sich so lange nicht hinters Lenkrad setzen, bis ihre Gefährte nicht von oben bis unten desinfiziert wurden. Es könnte sich ja ein H1N1-Virus zwischen die Sitze geschmuggelt haben. Die Erreger der Schweinegrippe kursieren in Neapel, vor einer Woche haben sie bereits einen Mann umgebracht. Dass dieser 51-Jährige schon zuvor ein todkranker Herz- und Nierenpatient war, das ist in der immer leicht entflammbaren neapolitanischen Aufgeregtheit völlig untergegangen. Seinem Sarg folgte niemand, die Träger hatten Gesichtsmasken angelegt, alles aus Angst vor Ansteckung, und der Pfarrer gab zu Protokoll, ein derart gespenstisches Begräbnis habe er in seinen vierzig Berufsjahren noch nie erlebt.

Und nun das: Jedes Jahr am 19. September verflüssigt sich das Blut des antiken Märtyrerbischofs und Stadtpatrons San Gennaro. Jedenfalls warten regelmäßig Tausende von Neapolitanern in der Kathedrale auf dieses Wunder. Tritt es ein, bringt es Glück; bleibt die rätselhafte rostbraune Masse in ihrer Glasampulle fest, dann – ja dann gnade uns Gott. Besonders viel Glück bringt San Gennaros Blut angeblich demjenigen, dem es im Durcheinander gelingt, die Reliquie zu küssen. Wollte der Erzbischof diese Annäherung erst verbieten, dürfen Gläubige trotz Schweinegrippe-Angst jetzt doch ihrem Schutzheiligen einen Kuss aufdrücken. Experten streiten aber weiter über die Infektionsgefahr.

„Küssen verboten!“ Zu dieser Entscheidung ist jetzt auch ein römisches Gymnasium gekommen. Am Montag beginnt in den meisten Regionen Italiens wieder die Schule. Nach Landesbrauch begrüßt man sich dabei mit vielen Umarmungen, mit Küsschen links und Küsschen rechts. „Das geht dieses Jahr auf keinen Fall“, sagt Schuldirektor Mario Rusconi, „weder bei den Schülern noch beim Personal.“Auch wenn andere Direktoren das Verbot für überzogen halten, das Ministerium keine Richtlinien erteilen will und erste Schüler ankündigen, sich dann eben außerhalb des Gebäudes um den Hals fallen zu wollen: Rusconi bleibt bei seiner Strenge. Er hat auch angeordnet, die Schüler dürften nicht aus gemeinsamen Bechern trinken oder ihre Zigaretten von Mund zu Mund weitergeben.

Dann weist der Direktor auf ein Problem hin, das auch Bürgerinitiativen immer lauter kritisieren: In den Toiletten von zwei Dritteln der italienischen Schulen fehlen Seife und Papierhandtücher. Die hygienischen Zustände seien „sehr schlimm“, sagt der Bürgerrechtsverband Cittadinanzattiva. Und Schuldirektor Rusconi fragt sich: „Wenn wir selbst schon kein Geld für solche Sachen haben – warum stattet nicht die Pharmaindustrie die Schulen mit Desinfektionsmitteln aus?“

Die Impfungen in Italien sollen laut Regierung Mitte November starten. 8,5 Millionen Menschen aus „Risikogruppen“ kommen zuerst: Krankenhauspersonal, Ärzte, Taxifahrer, dazu Angehörige „strategisch wichtiger“ öffentlicher Betriebe. Im Februar sollen weitere 16 Millionen Menschen geimpft werden, junge vor allem, beginnend bei den Zwei- bis hin zu den 27-Jährigen.

Die Spitze der Epidemie wird für Weihnachten erwartet. Dann könnten die Schüler doch noch erreichen, was ihnen angesichts des unerwartet leichten Verlaufs der Schweinegrippe im Augenblick versagt bleibt: die Ausweitung der Ferien.

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