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Saisonarbeiter bei der Spargelernte in Brandenburg. Der AOK wird vorgeworfen, mit solchen Mitgliedern getrickst zu haben.

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Exklusiv

Schwere Vorwürfe der Ersatzkassen: Mogelt die AOK mit Erntehelfern?

Die Versicherungsaufsicht ermittelt gegen die Allgemeinen Ortskrankenkassen. Durch Schein-Mitgliedschaften mit Saisonarbeitern sollen sie sich Millionen aus dem Gesundheitsfonds erschlichen haben

Schwere Vorwürfe gegen die Allgemeinen Ortskrankenkassen: Durch Scheinmitgliedschaften von Saisonarbeitern sollen sie sich Gelder aus dem Gesundheitsfonds erschlichen und dadurch unrechtmäßig Vorteile gegenüber der Konkurrenz verschafft haben. Diese Klage erhebt der Verband der Ersatzkassen in einem Beschwerdebrief an das Bundesversicherungsamt (BVA), der dem Tagesspiegel vorliegt. Dem Vernehmen nach geht es um mehr als 10.000 Versicherte und einen Schaden in zwei- bis dreistelliger Millionenhöhe. Der AOK-Bundesverband wies die Vorwürfe zurück.

Einfach als Mitglieder weitergeführt

Bei den beanstandeten „Scheinmitgliedern“ handelt es sich vorwiegend um Erntehelfer aus Osteuropa, die sich nur bis zum Ende der Spargel- oder Erdbeersaison in Deutschland aufhielten und für diese Zeit bei der AOK pflichtversichert waren. Nach der Rückkehr in ihre Heimatländer seien sie, so der Vorwurf, von den Ortskrankenkassen einfach weiter als Mitglieder geführt worden, obwohl sie weder Beiträge zahlten noch Leistungen erhielten.

Für die Versicherer rechnet sich das doppelt. Sie erhalten für diese Personen weiter Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds. Und bei einer erneuten Beschäftigung in Deutschland können die Saisonarbeiter dann auch in keiner anderen Krankenkasse landen.

Für die Kassen eine interessante Klientel

Saisonarbeiter sind für die Branche ohnehin eine sehr interessante Klientel. Ihre Beiträge sind zwar nicht hoch, doch von Unfällen abgesehen produzieren sie auch so gut wie keine Kosten. Schließlich, so ein Kassenexperte, gehe es dieser Personengruppe darum, in kurzer Zeit möglichst viel zu verdienen. „Da geht man nicht wegen jedem Kopfschmerze oder jeder kleinen Erkältung zum Arzt.“

Formell firmierten die aufrechterhaltenen Mitgliedschaften als „obligatorische Anschlussversicherung“. Diese Möglichkeit wurde Mitte 2013 eingeführt, um zu verhindern, dass Kassenmitglieder bei kurzzeitigem Herausfallen aus Versicherungspflicht oder Familienmitversicherung ohne Versicherungsschutz da stehen. Sie werden dann als freiwillige Mitglieder weitergeführt.

Allerdings geht das nach den Festlegungen des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) nicht bei Personen mit Wohnsitz oder überwiegendem Aufenthalt im Ausland, wenn sie dort auch versichert sind. „Mit Kenntnis dieses Sachverhalts ist die Mitgliedschaft zu beenden und die Versicherungszeit entsprechend auf das Ende des Aufenthalts in Deutschland zu korrigieren“, so Sprecher Florian Lanz.

"Eine bodenlose Unterstellung"

Beim AOK-Bundesverband räumt man ein, dass es „vereinzelt Probleme bei der Abklärung des Status eines Versicherten“ gebe. Mitunter wisse man auch nicht, wer nach der Saisonarbeit im Land geblieben oder nach Hause zurückgekehrt sei. In diesen Fällen sehe das Gesetz, solange es keinen Nachweis über eine anderweitige Absicherung gebe, eine obligatorische Anschlussversicherung vor.

„Hier handelt es sich also um keine Scheinmitgliedschaften, sondern um Einzelfälle, zu denen weitere Klärungsversuche unternommen werden“, sagte Sprecher Kai Behrens. Das sei aber kein AOK-Phänomen, sondern betreffe alle Versicherer gleichermaßen. Entsprechend „bodenlos“ sei die Unterstellung, die Ortskrankenkassen verschafften sich so unrechtmäßig Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds.

Die Ersatzkassen dagegen betonen, dass bei diesen Mitgliedern „weder Beiträge festgesetzt worden oder gar Maßnahmen des Beitragseinzugs eingeleitet worden“ seien. Hervorzuheben seien hierbei insbesondere die AOKen Rheinland/Hamburg und Nordwest. Die geschilderte Vorgehensweise sei „massiv zu beanstanden“, die Bundesaufsicht müsse die „für solche Schein-Mitgliedschaften zu Unrecht ausgeschütteten Zuweisungen“ zurückfordern.

Das Bundesversicherungsamt ermittelt

Ein BVA-Sprecher bestätigte dem Tagesspiegel, dass man in der Sache ermittle. Eine Bewertung könne man zum jetzigen Zeitpunkt aber noch nicht abgeben.

Unter den Versicherern gibt es schon länger Unmut über die AOK. Die Ersatz- und Betriebskrankenkassen fühlen sich beim Risikostrukturausgleich benachteiligt. Zudem finden sie es eigenartig, dass die elf AOKen trotz oft wenig attraktiver Beitragssätze im vergangenen Jahr auf gut 660 000 Neumitglieder kamen, während alle anderen nur etwas mehr als 170.000 verbuchten. Offensichtlich sei auch ein Großteil der inzwischen fast 400.000 anerkannten Flüchtlinge von den Arbeitsagenturen in die AOK „geschoben“ worden.

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