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Amsterdam galt immer als Beispiel für ein friedliches Miteinander der verschiedenen Kulturen und gesellschaftlichen Gruppen. Wer Schwule mobbt, wird künftig in Container umgesiedelt.

© dapd

Schwulenhasser in den Container: Amsterdam: Keine Toleranz den Feinden der Toleranz

Warum Amsterdam Schwulen- und Ausländerhasser mit Umsiedeln in Containerdörfer bestrafen will? Es geht um das Recht, sich wohlfühlen zu dürfen in seiner Stadt. Sind tolerante Milieus so empfindlich, dass sie repressiv werden?

Das Ausland schaut mit einiger Verwunderung nach Amsterdam. Wie kann es sein, dass ausgerechnet eine Stadt, die wie wenige andere für die Wertschätzung persönlicher Freiheiten steht, solche Pläne schmiedet? Wie berichtet will Amsterdam künftig Personen, die fortgesetzt Schwule und Lesben, Migranten oder andere Menschen schikanieren und mobben, zwangsweise in gesonderte Containerdörfer umsiedeln, wo sie von Sozialarbeitern und Polizisten resozialisiert werden sollen. Sechs Monate soll der Aufenthalt dauern, bevor sie in ihre Wohnungen zurückkehren dürfen.

Im neuen Jahr soll das Projekt beginnen. Die Stadtverwaltung, bestehend aus Sozialdemokraten, Marktliberalen und Linksgrünen, sucht derzeit nach Unterbringungsmöglichkeiten in Caravans oder Containern.

Menschen in Containersiedlungen aussondern, ohne dass sie straffällig wurden? Für Sozialdemokraten, Linke und Grüne klingt das ungewöhnlich, solche Konzepte kennt man eher von der politischen Rechten. Nachvollziehbar wird es dadurch, dass sich die Repression vor allem gegen die Feinde der Toleranz richten soll, gegen Schwulenhasser und Ausländerfeinde, die das Klima vergiften.

In der Stadtverwaltung bemüht man sich nach den schlagzeilenträchtigen Medienberichten im Ausland um Nuancen. Tahira Limon, Sprecherin der Stadtverwaltung, betont, das Konzept betreffe nur die allerschwersten Fälle, deren Zahl bei durchschnittlich sieben bis zehn im Jahr liege. „Und einfach nur asoziales Verhalten wie öffentliches Urinieren reicht dafür nicht aus. Es geht um systematische und gezielte Einschüchterung anderer Menschen.“

Beispiele? Ein lesbisches Paar, das über einen langen Zeitraum belästigt wurde. Ein Junge, der vor Gericht gegen einen Nachbarn aussagte, und dessen Familie anschließend einem täglichen Spießrutenlauf ausgesetzt war. Amsterdam, sagt Tahira Limon, will sich vor die Opfer stellen, die in der Vergangenheit oft selbst die Konsequenzen zogen und einen neuen Wohnort suchten. Und das, so Bürgermeister Eberhard van der Laan, ist eine „verkehrte Welt“.

Möglich wird das Projekt, in den Niederlanden umgangssprachlich „Aso-Dörfer“ getauft, durch eine verwaltungsrechtliche Klausel. Zum Erhalt der Öffentlichen Ordnung erlaubt das Verwaltungsrecht dem Bürgermeister, Stadtbewohner umzusiedeln. Landesweite Gesetzgebung muss dafür nicht bemüht werden; der Beschluss liegt bei Kommune sowie den lokalen Leitern von Polizei und Staatsanwaltschaft. Unterstützung bekommen sie in diesem Fall von den Amsterdamer Wohnungsbaugesellschaften. Doch auch im freien Sektor und bei Hauseigentümern soll das Konzept Anwendung finden.

Vielen Niederländern klingt bei diesem Konzept etwas in den Ohren. Es ist nicht lange her, dass der umstrittene rechte Populist Geert Wilders vorschlug, Menschen, die wiederholt ihre Umgebung belästigten, in separaten Siedlungen unterzubringen. „Den Abschaum weg aus dem Kiez“, war seine Devise, und der umgehend erfolgte Aufschrei entsprach Wilders’ drastischer Rhetorik.

Führt also nun ein sozialdemokratischer Bürgermeister durch die Hintertür ein, womit die rechten Populisten mit ihrem Hang zur Selbstjustiz niemals durchgekommen wären? Im Amsterdamer Rathaus versucht man zu beruhigen, dass die Containerwohnungen keineswegs alle räumlich konzentriert sein werden, sondern in kleineren Einheiten verstreut liegen sollen. Aber, so der Einwand, wird es dabei bleiben?

Inhaltlich sei das Konzept – Kampf gegen schwere und fortgesetzte Einschüchterung – klar definiert, sagt die Sprecherin, während die Wilders’sche Zielgruppe mit „asozialen Wiederholungstätern“ nebulös formuliert war.

Was beide Vorschläge verbindet, ist der völlig neue niederländische Sicherheitsdiskurs, in den sie sich trotz aller Unterschiede nahtlos einfügen. Hier fand in den vergangenen Jahren eine deutliche Verschiebung statt, der zufolge die Forderung nach harter Hand von Justiz, Polizei und Kommunen zum Mainstream geworden ist.

Mehr noch als vom Schlagwort Kriminalität ist der Diskurs von dem Begriff „Belästigung“ geprägt. Maßgeblich ist in dieser Debatte oftmals das subjektive Sicherheitsempfinden statt objektiv messbarer Kriterien wie der Kriminalitätsstatistik.

Die tolerante Gesellschaft ist empfindlich geworden. Es geht längst nicht mehr um Kriminalität, die ein Thema der Rechten ist. Es geht um das Recht, sich wohlzufühlen in der eigenen Stadt, um das Recht, nicht von anderen gestört zu werden, nicht belästigt zu werden.

Ein Beispiel der jüngeren Vergangenheit illustriert dies recht treffend. Vor einiger Zeit warb die niederländische Polizei mit einer Plakatkampagne um Auszubildende. Eines der Poster zeigte eine Gruppe männlicher Jugendlicher, in vermeintlich typischer Pose auf einem Spielplatz oder Innenhof auf ihren Mofas kauernd, den Schirm ihrer Baseballcaps ins Gesicht gezogen, so dass sie die Augen verdeckten. Der Schriftzug fasste die neue Gefühlslage der Bürger zusammen: „Können Sie erklären, warum Nichtstun auch Belästigung verursacht?“

Was im Amsterdamer Kontext unter „Belästigung“ fällt, illustrieren zwei Statements, die die hier erscheinende Tageszeitung „Het Parool“ den Lesern ihrer Website zur Abstimmung vorlegte. Im Sommer 2011 sprach sich eine deutliche Mehrheit dafür aus, mit der Grillerei im beliebtesten Park der Stadt müsse endlich Schluss sein. Zuletzt stimmten gar 85 Prozent dafür, dass die Stadtteile gesonderte Listen für „junge Kriminelle“ unterhalten sollten.

Belästigung, das ist in diesem Diskurs folglich alles von den Härtefällen, die der Amsterdamer Bürgermeister anvisiert, bis zu sogenannten hangjongeren, also „herumhängenden Jugendlichen“.

Gegen Belästigung in all ihren Formen, so lautet ein parteiübergreifender Konsens, gilt es einzuschreiten. Als der aktuelle Premierminister Mark Rutte, Mitglied der Liberalen, im September wiedergewählt wurde, ließ er sich von seinen Anhängern auf einer Bühne feiern, auf deren Hintergrund die Losung „Mehr Blau (gemeint ist Polizei) auf der Straße statt hinter dem Schreibtisch“.

Essenziell ist nicht allein die Annahme, die Polizei sei chronisch unterbesetzt, sondern auch die Schlussfolgerung, die Bürger sollten ihr helfend zur Seite stehen. Als Erfolgsgeschichte gilt in diesem Zusammenhang das Projekt „Burgernet“ – „Bürgernetz“ –, bei dem sich die Bewohner eines Viertels bei der entsprechenden Polizeistelle registrieren lassen können. Unmittelbar nach einem Verbrechen oder im Fall einer vermissten Person werden diese dann per Mobiltelefon kontaktiert und erhalten eine Personenbeschreibung. Ihre Beobachtungen sollen sie dann sofort der Polizei mitteilen, bis diese die Suchaktion offiziell beendet.

Die Konjunktur dieses Projekts hat nichts mit der vormaligen indirekten Regierungsbeteiligung der Rechtspopulisten zu tun, wie es bis zum letzten Frühjahr der Fall war. Vielmehr wurde völlig ohne den Einfluss der Wilders-Jünger beschlossen, die lokalen Burgernet-Kooperationen von Bürgern, Polizei und Kommunen möglichst landesweit einzuführen. Auch die aktuelle, sozialliberale Koalition hält an diesem Ansatz fest. Inzwischen sind mehr als 94 Prozent aller niederländischen Gemeinden daran beteiligt.

Es scheint so zu sein, dass ausgerechnet das tolerante Amsterdam, die toleranten Niederlande als Erste eine neue Dimension der Repression anstreben. Die Aussonderung aggressiver Personen, ohne dass es eines strafrechtlichen Rahmens bedarf.

Das wirft eine unangenehme Frage auf. Sind tolerante Milieus, die eine Harmonie in Vielfalt anstreben, so empfindsam, dass sie, die eigentlich Repression ablehnen, neue, „fortschrittliche Formen“ der Repression schaffen?

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