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© dpa

Scientology: Der Aussteiger

Oscar-Preisträger Paul Haggis hat seinen Austritt aus Scientology erklärt. Er beklagt interne "moralisch verwerfliche" Praktiken und die Tatenlosigkeit der Kirche gegenüber Homophobie.

Der Brief war ursprünglich nicht als öffentliche Abrechnung gemeint. Doch nun gibt er einen seltenen Einblick in das interne Leben der umstrittenen Organisation Scientology, die in den USA als „Kirche“ gilt. Paul Haggis, ein prominenter Drehbuchautor in Hollywood und Oscar-Preisträger, erklärt darin dem Sprecher von Scientology, Tommy Davis, warum er der Glaubensgemeinschaft nach 35 Jahren den Rücken kehrt.

Mit zwei Monaten Verzögerung findet der Brief, der das Datum 19. August trägt, nun breite Aufmerksamkeit. Ein ausgewiesener Kritiker von Scientology, Marty Rathbun, hat das Schreiben in seinem Internetblog publiziert. Rathbun galt in den neunziger Jahren als eine mächtige Figur in der Scientology-Führung an der Seite des Vorsitzenden David Miscavige. Vor einigen Jahren stieg er aus und berät seither Menschen, die sich als Opfer der Organisation empfinden. Er lebt in St. Petersburg, Florida. Die Stadt ist zu einem Zentrum der Scientology- Kritiker geworden. Die dortige Zeitung, „St. Petersburg Times“ hat in jüngerer Zeit mehrere Artikel veröffentlicht, in denen ehemalige Mitglieder und Führungskräfte der „Kirche“ belastende Informationen preisgeben.

Haggis beklagt in dem Brief, er habe zu lange die Augen vor Praktiken verschlossen, die er „moralisch verwerflich“ nennt. Er sei „geschockt“, wie leicht Tommy Davis die Öffentlichkeit über die Scientology-Politik „belügt“. Haggis’ Wort hat Gewicht. 2005 gewann er einen Oscar als Koautor des Drehbuchs für „Crash“. Er schrieb auch die Drehbücher für andere große Filmerfolge, darunter „Million Dollar Baby“ (Oscar-nominiert) sowie die James-Bond-Thriller „Casino Royal“ und „Quantum of Solace“.

Deshalb belebt der Streit zwischen Haggis und Scientology auch Gerüchte über Konflikte zwischen anderen Hollywood-Prominenten und der Organisation. Im Juli war, zum Beispiel, spekuliert worden, der Schauspieler John Travolta habe sich nach dem Tod seines 16-jährigen Sohnes Jett mit Scientology überworfen. Doch er traue sich nicht, auszutreten, weil er befürchte, dass die Organisation sich dann mit peinlichen persönlichen Informationen räche, die sie bei internen Beichten gewonnen habe.

Ähnliche Vorwürfe verleihen dem Brief des 56-jährigen Haggis Brisanz. In seinem Fall waren zunächst nicht interne Praktiken der Organisation Auslöser seiner Entfremdung, sondern eine aktuelle politische Frage. Per Volksabstimmung wollten die Gegner der Homo-Ehe den staatlichen Segen für gleichgeschlechtliche Partnerschaften in Kalifornien im Herbst 2008 wieder abschaffen. Haggis gewann den Eindruck, die Scientology- Gemeinde in San Diego unterstütze die sogenannte „Proposition 8“, und verlangte von Tommy Davis, die Führung solle die Mitglieder in San Diego dafür rügen. Schließlich predige Scientology die Achtung individueller Rechte. Haggis schreibt in seinem Brief, Davis habe ihm damals gesagt, auch er sei empört, und habe versprochen, es würden „Köpfe rollen“. Doch dann sei zehn Monate lang nichts geschehen. Die Tatenlosigkeit der Kirche gegenüber „diesen Bigotten und Homophoben ist feige“, schreibt Haggis. „Schweigen bedeutet Einverständnis. Ich verweigere dieses Einverständnis.“

Die übrigen Vorwürfe wirken schwerwiegender, denn sie betreffen den internen Umgang mit und den psychischen Druck auf Mitglieder. Die Enttäuschung über das Verhalten bei „Proposition 8“ habe ihn veranlasst, genauer hinzuschauen, erklärt Haggis. Ein Interview, in dem Davis behaupte, es gebe kein Kontaktverbot für Scientology-Mitglieder gegenüber Abweichlern, habe ihn „geschockt“. Diese Politik sei allgemein bekannt; seine Frau habe es am eigenen Leib erfahren. Die „Kirche“ habe ihr den Kontakt zu ihren Eltern verboten, und das habe „schreckliches persönliches Leid“ ausgelöst.

„Als ich sah, wie leicht du lügst“, schreibt Haggis an Davis, „musste ich mich fragen: Worüber lügst du noch?“ Er sei dann auf eine Artikelserie der „St. Petersburg Times“ mit Vorwürfen von Ex-Mitgliedern gegen Scientology gestoßen. Darunter war Amy Scobee. Demnach habe die „Kirche“ Informationen über deren Sexualleben, die sie in internen Beichten gewonnen hatte, nach deren Austritt veröffentlicht, um sie zu bekämpfen. „Diese Art von Charaktervernichtung ist gewissenlos“, urteilt Haggis. Er müsse wohl fürchten, selbst zum Ziel solcher Angriffe zu werden. Er rechne damit, dass sich Freunde, die der „Kirche“ angehören, von ihm abwenden. Doch beschämt sei er heute nur noch darüber, dass er nicht früher ausgetreten sei.

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