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Hunderte Menschen stehen vor den Tankstellen in Kathmandu für Benzin an

© dpa

Sechs Monate nach dem Erdbeben: Benzinkrise behindert Helfer in Nepal

In Nepal wird wegen einer politischen Krise Benzin und Gas knapp. Der Wiederaufbau stockt. Hilfsorganisationen sind besorgt, denn bald kommt der Winter.

Berlin - Normalerweise wäre Shiva Tripathi um diese Zeit gar nicht zu Hause in seinem Dorf am Fuße des Annapurnagebiets. Oktober ist Hauptsaison für Trekking-Touristen in Nepal, dann ist er als Bergführer häufig wochenlang mit Kletterern und Wanderern unterwegs. Aber in diesem Jahr ist nichts normal. „Hier gibt es leider immer noch keine Arbeit“, sagt er. Und: „Es ist alles sehr schwierig.“

Am 25. April, ziemlich genau vor einem halben Jahr, hat ein Erdbeben der Stärke 7,8 das Land erschüttert. Kurz danach gab es mehrere heftige Nachbeben mit tausenden Toten und noch mehr Obdachlosen. Davon hat sich Nepal, eines der ärmsten Länder der Welt, noch lange nicht erholt. Im Gegenteil: Politische Unruhen und eine Benzinkrise verschärfen die Situation weiter. Und bald wird es Winter.

Nach dem Erdbeben war die Bereitschaft der Menschen zu helfen groß, aus der ganzen Welt gab es Millionenspenden für Hilfsorganisationen – genug, um Nothilfe mit Zelten, Wellblechhütten und Wasserversorgung zu leisten. Viel mehr konnte man vor der Monsunsaison nicht tun. Doch nun, wo es endlich wieder trocken wird und nur wenig Zeit bis zum Winter für den Wiederaufbau bleibt, passiert nach Ansicht der Helfer viel zu wenig. Schuld ist unter anderem eine politische Krise. Nepal hat zwar am 20. September nach langem Streit eine neue Verfassung beschlossen, und daraufhin hat sich eine neue Regierung gebildet – mit der sind aber nicht alle Nepalesen einverstanden.

An der Grenze zu Indien, im Terai, sind seitdem gewalttätige Proteste und Streiks ausgebrochen, angeführt von einer Minderheit, die ihre Rechte nicht ausreichend berücksichtigt sieht. Dadurch kommt es nun seit fast vier Wochen zu Engpässen bei Gas-, Benzin- und Diesellieferungen, die zum allergrößten Teil aus Indien über die Grenze kommen. Die nepalesische Regierung wirft den Indern vor, mit einer Lieferblockade politischen Druck ausüben zu wollen. Indien bestreitet das. Die Folgen sind so oder so brutal.

„Besonders die Normalbevölkerung in der Hauptstadt und den nördlichen Gebieten leidet“, sagt Jürgen Skambraks, Direktor des Goethe-Zentrums in Kathmandu, der selbst in der nepalesischen Hauptstadt wohnt. „Hier gibt es vor jeder Tankstelle hundert Meter lange Schlangen, die Menschen warten teilweise tagelang auf Treibstoff.“ Auch das Gas zum Kochen und Heizen werde knapp. Erste Restaurants in der Hauptstadt hätten bereits geschlossen. Wer es sich leisten könne, behelfe sich daheim mit einem Elektroheizer und Spiralkochern. Auf dem Schwarzmarkt würden extrem hohe Preise verlangt, und auch Lebensmittel würden teurer.

Besonders dramatisch ist die Situation für Menschen in den von den Erdbeben besonders verwüsteten Bergregionen, die schon unter normalen Umständen für Helfer schwer zu erreichen sind. Christian Schneider, Geschäftsführer von Unicef-Deutschland, ist gerade erst aus Nepal zurückgekehrt und sagt: „Unsere Arbeit wird durch den Treibstoffmangel behindert. Wir müssen Fahrten in die besonders betroffenen Gebiete bereits jetzt rationieren.“ Mitarbeiter anderer Organisationen berichten, wie Lkw am Straßenrand stehengelassen werden und öffentliche Busse nach zwanzig Kilometern Zwangspausen einlegen müssten, bis sie eventuell von anderen Autos Benzin umfüllen könnten. „Dabei müssen die Gebiete in den Bergen besonders schnell winterfest gemacht werden“, sagt Schneider. Viel Zeit bleibe nicht mehr. Er habe Dörfer besucht, in denen kein Haus mehr bewohnbar sei. Schon jetzt aber seien die Nächte in Zelten und Wellblechhütten empfindlich kalt.

Ob und wie schnell der politische Konflikt in Nepal gelöst werden kann, der auch verhindert, dass die Regierung von anderen Staaten bereitgestellte Hilfsmilliarden für den Wohnungsbau abrufen kann, ist völlig unklar. Das Auswärtige Amt schreibt in einer Stellungnahme, eine Zuspitzung des Konflikts und damit der Benzinkrise sei „nicht auszuschließen“. Schon jetzt werden die wirtschaftlichen Folgen – ganze Industrien kommen wegen der Gas- und Benzinknappheit zum erliegen – als gravierend eingeschätzt.

Touristen sind in Nepal von den Auswirkungen der Krise nicht so stark betroffen wie die nepalesische Bevölkerung. Viele Reiseagenturen und die nationalen Fluglinien haben Benzin und Kerosin gebunkert. „Wir führen alle Touren derzeit wie geplant durch“, sagt Elke Schnaus von Hauser Exkursionen, einem Anbieter von Trekking-Reisen. Das Land brauche den Tourismus, deshalb habe man selbst aktiv für Reisen nach Nepal geworben. Doch die neusten Krisenmeldungen werden der angeschlagenen Branche weiter schaden. Rund 800 000 Touristen haben Nepal 2014 besucht, in diesem Jahr werden es wohl weniger als die Hälfte sein. Nur wenige Reiseanbieter haben Nepal seit der schlimmen Erdbeben überhaupt wieder ins Programm genommen.

Für Bergführer wie Shiva Tripathi, die nicht fest bei einer Reiseagentur angestellt sind, wird es damit sehr schwer. Die Berge und der Tourismus ernähren seine ganze Familie. Obwohl die Annapurnaregion vergleichsweise glimpflich davongekommen ist, trifft die wirtschaftliche Unsicherheit sie nun hart. Jetzt, wo der Monsun nachlässt und die Reisezeit eigentlich wieder beginnen müsste, fallen die leeren Hotels und Wanderwege ganz besonders auf.

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