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Panorama: „Sei verdammt nochmal still!“

New Yorks Bürgermeister Michael Bloomberg will die Stadt zur Ruhe bringen – mit einem Bellverbot

Eine ganz normale New Yorker Sommernacht: Die Temperaturen weigern sich, unter die 30-Grad-Marke zu fallen, die feuchte Luft hängt wie eine dicke Wolke im Zimmer. Wer den Lärm und den Zug einer Klimaanlage nicht erträgt, muss das Fenster öffnen. Vom Hof wabert der süßliche Duft unsachgemäß gelagerten Mülls herein. Das Grundrauschen des nahen Expressway wird hin und wieder durch Polizeisirenen aufgelockert. Mindestens dreimal in der Nacht klingelt der Eislaster mit seinem elektronischen Glockenspiel. New York, die Stadt der Schlafgestörten.

„New York ist die Stadt, die niemals schläft“, sagt Bürgermeister Michael Bloomberg, „aber sie braucht ein Nickerchen von Zeit zu Zeit.“ Nach Rauchverbot und Tanzeinschränkung verordnet er nun die „Operation Nachtruhe“. Nach Angaben des hiesigen Umweltamtes beschweren sich im Durchschnitt 1000 New Yorker pro Tag über den Lärm. Im Mai gab es alleine 243 Klagen über die Eislaster. In dem 45-seitigen Katalog, den der Bürgermeister Anfang des Monats vorstellte, befinden sich viele alte Rezepte, die neu umgesetzt werden sollen. Zusätzlich ließ sich die Verwaltung ein paar Dinge einfallen, die wie Streiche der Bürger von Schilda klingen.

Die Eislaster etwa sollen sich ab 2006 mit einem Handglöckchen begnügen statt mit einer Stereoanlage. Vor eine besondere Aufgabe werden Hundebesitzer gestellt. Tagsüber darf Herrchens Liebling nur zehn Minuten am Stück bellen, nachts fünf. Bei Missachtung drohen 75 Dollar Strafe für die Ersttäter. Insgesamt reicht die Palette der Geldbußen von 45 bis 25 000 Dollar. Eigentlich hat Bloomberg sich einer wichtigen Sache verschrieben, doch obwohl er dieses Mal – anders als vor gut einem Jahr, als er das Rauchverbot am Arbeitsplatz urplötzlich aus der Tasche zog – sogar die politischen Gegner vorher konsultierte, ging ein Aufschrei durch die Stadt. Nun steht der spröde Bürgermeister wieder als der große Spaßverderber da.

Genüsslich notierten die Zeitungen den anschwellenden Groll der Bürger über die neuen Verbote. „Der Sozialismus hat in der gesamten Welt versagt“, wetterte etwa Rob Haiber in der „New York Post“, „trotzdem kann Bloomberg nicht davon lassen, seine Nase in anderer Leute Geschäfte zu stecken und ihnen zu sagen, wie sie leben sollen. Er wird das nie lernen.“ Die „New York Times“ wiederum ließ Melanie Camoreale zu Wort kommen, eine Kellnerin aus Brooklyn: „Er kann Brooklyn nicht in einen Kurort verwandeln“, sagt sie. Schließlich kommt in dem Intellektuellen-Blatt auch die Stimme der Wissenschaft nicht zu kurz. David J. Hellerstein, ein Psychiater am St Luke’s-Roosevelt Hospital Center meint: „Was diese Stadt so aufregend macht, ist auch der Lärm, das Unberechenbare, die zusammengepferchten Leute, die auf engstem Raum miteinander auskommen müssen – und die brüllen: Sei verdammt nochmal ruhig!“

Auf der anderen Seite ist zu viel einfach zu viel. Und Untersuchungen belegen, dass unter allen Ursachen, die den Menschen das Leben in New York City verleiden, der Lärm an der Spitze steht. Das Problem ist nur, dass niemand Bloomberg seine hehren Motive abnimmt. Dazu hat er sich schon zu viele Dinge geleistet, die allen auf die Nerven gehen. Zuerst war da das Rauchverbot. Dann kam der Versuch, die alte „Cabaret License“ durch ein aktuelles Gesetz abzulösen – was ihm sogleich als Tanzverbot ausgelegt wurde. Danach folgte die Anweisung an die Polizei, angesichts der leeren Stadtkasse die kreativen Spielräume des Bußgeldkataloges voll zu nutzen. Prompt hagelte es Meldungen, dass Leute für die wildesten Dinge bestraft wurden: Das Einnehmen zweier Sitze in der U-Bahn, beim Radfahren die Füße von den Pedalen zu nehmen, Sitzen auf einem Milchkasten. Das Label vom Killjoy – dem Spaßverderber – war geboren und klebt nun so hartnäckig an Bloomberg wie ein Kaugummi an der Schuhsohle. Seine Beliebtheitswerte segelten in den Keller, doch der Neu-Politiker entgegnete ungerührt: „Es ist nicht mein Job, bei Umfragen zu glänzen, sondern die Sachen richtig zu machen.“ Mittlerweile hat der 62-Jährige jedoch Spaß an seinem Posten gefunden und verkündet, dass er sich 2005 um eine zweite Amtszeit bewerben werde. Seither lässt er sich gelegentlich sogar auf die Vorschläge seiner Berater ein, mehr für sein Image zu tun. Dazu ist es auch bei der „Operation Nachtruhe“ noch nicht zu spät, sie muss vom City Council abgesegnet werden, bevor sie in Kraft tritt. Eine gute Gelegenheit, sich mit der Lockerung des Bellverbotes Sympathiepunkte zurückzuholen.

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