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Panorama: Seit zehn Jahren darf der Harz-Gipfels wieder bestiegen werden - Bei guter Aussicht kommen täglich 20 000 Wanderer

Weiße Rauchwolken steigen über den Baumkronen auf. Zwei ohrenbetäubende Pfiffe mahnen zur Vorsicht - gleich braust die alte schwarze Dampflok aus dem Waldstück.

Weiße Rauchwolken steigen über den Baumkronen auf. Zwei ohrenbetäubende Pfiffe mahnen zur Vorsicht - gleich braust die alte schwarze Dampflok aus dem Waldstück. Nur noch wenige Meter, dann hat die größte Schmalspurbahn Europas ihr Ziel erreicht: Den kleinen Bahnhof oben auf dem Brocken.

Touristenscharen steigen aus. Zunächst spazieren die meisten über die weite, flache Kuppe des höchsten Bergs der neuen Bundesländer (1142 Meter). Auch Edith und Olaf Bardy aus Veckenstedt (Sachsen-Anhalt) genießen die Aussicht. Olaf schaut durch sein Fernglas. Dann zeigt er mit seinem Finger in die Ferne und sagt: "Ich glaube, das dahinten könnte Magdeburg sein."

Auf dem 30 Meter hohen Aussichtsturm kann man das Umland noch besser überblicken. "Heute ist nicht so viel los", meint Hans Steinhof, "aber manchmal stehen die Touristen hier Schlange." Dem "Brockenwirt" gehören die gewerblichen Einrichtungen auf dem Gipfel: Der Aussichtsturm, drei Gaststätten und ein Souvenierladen. An wärmeren Tagen lohnt sich das Geschäft auf jeden Fall. Da kommen bis zu 20 000 Menschen hoch.

Das war nicht immer so: Bis zum 3.12.1989 konnte der Normalbürger vom Aufstieg auf den Brocken nur träumen. Der Berg war Sperrgebiet - Zutritt strengstens verboten. Die Staatssicherheit hatte eine Abhörstation, das sowjetische Militär einen Stützpunkt auf dem Berg. Wer es trotzdem wagte, ihn zu besteigen, scheiterte spätestens an der Ringmauer, die damals um den Gipfel führte. Für Steinhof und seine damaligen Leidensgenossen blieb nicht anderes übrig "als dass wir immer nur sehnsuchtsvoll nach oben blickten. Es war der höchste Berg der Welt, da er der einzig unbesteigbare war." Heute erinnert noch ein riesiger Felsstein auf dem Gipfel an diese Zeit. Er trägt die Aufschrift: "Brocken wieder frei. Maueröffnung nach 28 Jahren. Hier am 3.12.1989."

Seitdem holte der Brocken vieles nach. Die Einrichtungen der Staatssicherheit und der Sowjets wurden abgebaut, der Aufstieg beschildert, die Gaststätten und der Souvenierladen gebaut. Außerdem ist die hundert Jahre alte Schmalspurbahn wieder für Jeden benutzbar. Steinhof sagt: "Der Brocken entwickelte sich in den letzten zehn Jahren zum touristischen Anziehungspunkt Nummer eins in der Region."

Kein Wunder, der Berg hat neben seiner Geschichte und der schönen Aussicht noch mehr zu bieten: Die beschilderten Wege führen vorbei an zahlreichen Mooren und Felswänden und werden gekreuzt von romantisch plätschernden Quellen. Auch Johann Wolfgang Goethe und Heinrich Heine ließen sich von dieser Pracht inspirieren. In Faust widmete Goethe dem Brocken das Kapitel der Walpurgisnacht. Während die Damen in der Nacht vom 30. April zum 1. Mai in Nullkommanix auf ihren Besen hoch und runterdüsen, nehmen die meisten Besucher heute die Bahn nach oben und laufen nach unten. Bis Schierke, dem nächsten Ort, braucht man gut zwei Stunden zu Fuß.

Die ehemalige Grenzstadt der DDR lebt ausschließlich vom Tourismus. Kurdirektor Rüdiger Ganske erklärt: "Insgesamt haben wir eine Bettenkapazität von 1000 Betten." Genauso viele wie Einwohner. Besonders beliebt ist der Ort im Frühling. "Wer zu Walpurgisnacht ein Zimmer haben möchte, sollte schon ein Jahr im Voraus buchen", rät Steinhof, der auch in Schierke drei Hotels besitzt.

Nach der Wende privatisierte die Treuhand die alten Heime des Gewerkschaftsbundes FDGB. Hotels wurden gebaut und auch zahlreiche Ferienwohnungen angeboten. Die Gäste kommen aus der ganzen Bundesrepublik. "Wir hatten sogar schon welche aus Japan und Australien", erzählt Steinhof.

Vor 1989 war Schierke von der Welt eher abgekapselt. Auch für DDR-Bürger. Wer das Städtchen besuchen wollte, benötigte einen Passierschein. Peter Stoeß aus Schierke erinnert sich: "Nur die höchsten Parteibonzen konnten hier in der FDGB-Heimen absteigen." Doch das ist jetzt schon lange Vergangenheit. Schierke feiert heute das zehnjährige Jubiläum des "freien Brocken-Aufstiegs".

Chaban Salih

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