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Sigmar Gabriels Familiengeschichte: Mein Vater, der Nazi

Es war ein furchtbares Erbe, das Walter Gabriel seinem Sohn Sigmar hinterließ, als er im vergangenen Sommer im Alter von 91 Jahren starb: tausende von Karteikarten mit revisionistischen Stichwörtern, Vertriebenenpostillen, rechtsextreme Zeitschriften und Dokumente einer erbitterten Familienfehde. Über dieses Erbe und über sein eigenes Leiden unter dem Vater, der nicht nur ein überzeugter Nationalsozialist, sondern auch ein grausam-kaltherziger Erzieher war, hat der SPD-Chef nun zum ersten Mal öffentlich Auskunft gegeben.

Von Hans Monath

Es war ein furchtbares Erbe, das Walter Gabriel seinem Sohn Sigmar hinterließ, als er im vergangenen Sommer im Alter von 91 Jahren starb: tausende von Karteikarten mit revisionistischen Stichwörtern, Vertriebenenpostillen, rechtsextreme Zeitschriften und Dokumente einer erbitterten Familienfehde. Über dieses Erbe und über sein eigenes Leiden unter dem Vater, der nicht nur ein überzeugter Nationalsozialist, sondern auch ein grausam-kaltherziger Erzieher war, hat der SPD-Chef nun zum ersten Mal öffentlich Auskunft gegeben.

Zwar war die Familiengeschichte Sigmar Gabriels in groben Zügen bekannt: Seine Eltern trennten sich, als er drei war. Sieben Jahre blieb der Junge gegen seinen Willen beim Vater, einem Kommunalbeamten, bis die Mutter das Sorgerecht erstritt. Bekannt war auch, dass rechtsradikale Medien Walter Gabriel zum Kronzeugen gegen dessen Sohn gemacht hatten. Doch erst „Zeit“-Journalist Bernd Ulrich brachte den 53-Jährigen dazu, in vielen Gesprächen über mehrere Monate hinweg zu offenbaren, wie der Vater ihn behandelt hatte, wie diese Geschichte ihn prägte und wie er heute zu ihr und zu sich selbst steht.

In dem außergewöhnlichen Porträt eines außergewöhnlich offenen Politikers schildert der Journalist, wie das Kind unter dem Vater leidet, es aber nicht schafft, vor dem Familienrichter seinen Herzenswunsch auszusprechen, zur Mutter zu kommen. Der Junge bekommt oft Prügel. Als er mit schlechten Noten nach Hause kommt, sammelt der Vater sein Spielzeug ein und verschenkt es an einen Kindergarten. Nur einen Teddy übersieht er. Wenn Sigmar seine neue Stiefmutter nicht „Mutti“ nennt, wird ihm das Taschengeld gekürzt. An Berührungen, außer beim Strafen, kann sich der SPD-Chef nicht erinnern.

Gerettet fühlt sich Sigmar Gabriel durch seine leibliche Mutter, zu der er 1969 endlich zog. Doch er machte der Krankenschwester das Leben schwer, klaute, zerstach Reifen. „Sie hatte lange um mich gekämpft“, sagt der Politiker heute: „Bis heute empfinde ich dafür so etwas wie eine Schuld ihr gegenüber.“

Erst mit 18 Jahren erfuhr Gabriel, dass sein Vater Nazi war, kein Gespräch änderte das. Ein „unbändiger Zorn“ ist ihm aus der Kindheit geblieben, sagt er nun. Doch habe er „keinen Groll mehr gegen meinen Vater, ich bin nicht zornig, ich bin nicht wütend, und ich fühle mich nicht einmal mehr verletzt“.

Trotzdem: Es ist eine Geschichte der Verletzungen und Brüche, die Gabriel erzählt. Bislang galt er als eine Art Zampano des politischen Betriebs. Mit diesem Urteil wird man in Zukunft wohl etwas vorsichtiger umgehen.Hans Monath

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