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Panorama: Skrupellos - gerissene Unwesen werden Tamagochi-Nachfolger

Neuentwicklung löst Diskussionen aus / Gefahr für die Psyche?VON KRISTIN PALITZADer japanische Spielzeughersteller Bandai hat zwei neue virtuelle Wesen geschaffen.

Neuentwicklung löst Diskussionen aus / Gefahr für die Psyche?VON KRISTIN PALITZADer japanische Spielzeughersteller Bandai hat zwei neue virtuelle Wesen geschaffen.Ein Monster und ein Dionsaurier erobern seit zehn Wochen die Herzen der Japaner.Bittere Konkurrenz für das Computer-Küken Tamagotchi (zu deutsch: liebliches Ei), das seit Ende vergangenen Jahres allein in Japan über zehn Millionen Mal verkauft wurde.Anfang 1998 sollen die neuen virtuellen Haustiere auch in Deutschland auf den Markt kommen.Preis: etwa 30 Mark.Deutsche Händler bestellten bereits eine Million Exemplare.Der deutsche Name der Cybertiere ist noch geheim.Ziel des neuen Spiels ist, die virtuellen Unwesen zu Bösartigkeit zu erziehen.Mußte das Tamagotchi noch gefüttert und gehätschelt werden, um ein guterzogenes "Haustier" heranzuziehen, gilt für die neueste Bandai-Kreation das Gegenteil: je gerissener und skrupelloser, desto besser."Verstand soll über Kraft siegen", beschreibt Marcus Abt, Bandai-Vertreter in Deutschland, das Konzept. Die Unwesen, diesmal auf rechteckigem Bildschirm, können außerdem in Kontakt treten.Steckt man zwei verschiedenfarbige Spielzeuge aneinander, führen Monster und Dino Krieg.Sie kämpfen und bewerfen sich mit Steinen bis der Verlierer aufgibt oder stirbt.Dann wird entweder ein neues Digitaltier aufgezogen oder das verletzte Wesen geheilt und für die Revanche trainiert. Das neue Spiel hat in Japan noch größere Hysterie ausgelöst als sein Vorgänger."Sogar ältere Damen prügeln sich um das letzte Spiel", weiß Abt.Dino, Monster und Küken sind fast immer ausverkauft.In der Hoffnung, ein virtuelles Haustier zu ergattern, brechen Tamagotchi-Liebhaber in Geschäfte ein.Auch in Deutschland spielen sich ähnliche Szenen ab: Bandai-Mitarbeiter mußten Firmenschilder von ihren Autos entfernen.Die Wagen wurden sonst aufgebrochen."Die Diebe waren nur am Tamagotchi interessiert.Handy und Laptop blieben liegen", sagt Abt. Der aggressive Nachfolger des Digital-Eis reagiert offenbar auf Tendenzen des Marktes.Besitzer fanden Spaß daran, ihre Küken nicht mehr zu pflegen, sondern verenden zu lassen.Daraufhin entbrannten heftige Diskussionen über mögliche schädliche Einflüsse auf die Kinder-Psyche.Die Jungen und Mädchen könnten eine falsche Einstellung zu Leben und Sterben bekommen, hieß es. "Es gibt keinen Grund zur Panik", schwächt Dr.Wolfgang Droll, Obmann der Berliner Kinder- und Jugendpsychiater, die Vorwürfe ab.Höchstens auf Kinder mit bereits vorhandenen emotionalen Störungen könne sich das digitale Spielzeug negativ auswirken."Das Tamagotchi ist ein Lernspiel.Es verdeutlicht Erziehung auf einfachster Ebene" erklärt er.Kinder würden die Konsequenzen ihres Umgangs mit dem virtuellen Wesen vereinfacht und zeitlich verdichtet sehen und lernten durch das Piepsen des Eis - Signale für Hunger oder Langeweile -, kontinuierliche Pflichten in ihren Alltag einzubauen."Kinder können sehr wohl zwischen realem Tier und Computer unterscheiden", sagt Droll.Nur im Alter von bis zu drei Jahren sei eine solche Differenzierung noch nicht möglich.Eltern müßten auch nicht besorgt sein, wenn ihr Kind sein Küken absichtlich verenden lasse: "Das ist kein Zeichen von Grausamkeit.Die Kinder verdrehen nur die Regeln eines Spiels." Extreme Tamagotchi-Fürsorge, wie die Einrichtung von Krankenstationen oder Anstellung von Babysittern, seien hingegen bedenklich.

KRISTIN PALITZA

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