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Ist das noch Freizeit? Tippen in der Horizontalen.

© Mike Wolff

Arbeiten im Bett: Bericht zur Lage der Nation

Immer mehr Menschen arbeiten im Bett oder auf der Couch. Mit dem Laptop auf dem Schoß fühlt sich das eher wie Lümmeln an – und nicht wie harter Broterwerb. Aber ist es auch vernünftig?

Ich brauche keine Schlaftabletten. Ich muss mich nur abends ins Bett legen, das Kissen gemütlich im Rücken, ein Buch in die Hand nehmen und: Nach drei Sätzen klappen mir die Augen zu. Ich will das nicht, ich möchte so gern lesen, jeden Abend versuche ich es von Neuem, jeden Abend scheitere ich. Egal, wie gut das Buch ist. Erst am Wochenende, wenn ich ausgeschlafen aufwache, kann ich das Lesen im Bett als köstlichen Luxus genießen.

Mit dem Fernseher würde es mir genauso gehen, hätte ich ihn nicht sowieso aus dem Schlafzimmer verbannt. Selbst im Wohnzimmer habe ich ihn gut versteckt. Nur auf Reisen im Hotel mag ich das: vom Bett aus fernzusehen. Ein Instant-Urlaubsgefühl. Schreiben dagegen (richtig schreiben, nicht denken und Notizen machen) kann ich nur in aufrechtem Zustand: am Tisch.

Mit meinen Lebens- und Arbeitsgewohnheiten gehöre ich offenbar zu einer antizyklischen Minderheit. 80 Prozent aller jungen New Yorker in guten Berufen, meldete das „Wall Street Journal“ vor zwei Jahren, arbeitet regelmäßig vom Bett aus. In Wien wurde gerade „The Century of the Bed“ ausgerufen, so der Titel eines ganzen Ausstellungsreigens zum Thema. In ihrem Katalogbeitrag zitiert Hauptkuratorin Beatriz Colomina, Architekturprofessorin in Princeton, jene New Yorker Statistik.

Kein Zweifel: Das Leben hat sich in die Horizontale verlagert. Einkaufen, telefonieren, recherchieren, kommunizieren, konsumieren, Freundschaften pflegen, essen, Filme gucken, lesen und schreiben sowieso – für all das muss man den Hintern nicht mehr heben. Früher wurden Leute, die vom Sofa nicht hochkamen, als „Couchpotatoes“ verachtet. Heute macht es sich die hart arbeitende Informationselite auf der Couch bequem.

Sicher hat’s schon früher so was gegeben. Könige empfingen Besucher im Liegen, hohe Herrschaften ließen sich Toast, Tee und die „Times“ ans Bett bringen, Proust schrieb seine große „Suche nach der verlorenen Zeit“ ebendort. Aber das war ein Privileg einiger weniger. Vor 100 Jahren waren nicht wenige Menschen froh, wenn sie überhaupt ein eigenes Bett zum Schlafen hatten. Für eine Couch war in ihren Hütten weder Platz noch Geld.

Heute sagt Stardesigner Erwan Bouroullec: „In ein Büro gehören ein Sofa und ein Bücherregal.“ Und das Bett daheim wird zum Büro. Laptop, Tablet, Smartphone & Co haben das Leben im Liegen zum Massenphänomen gemacht. Ein kurioser Generationenwechsel: Früher waren es die Alten und Siechen, die sich auch jenseits der Schlafenszeit hinlegten – heute machen vor allem die Jungen das. Die Älteren stellen sich zum Arbeiten eher ans Pult, dem Rücken zuliebe. Nicht minder kurios: die Tatsache, dass gerade die Geräte der Mobilität zur Immobilität führten.

Das Schöne am Arbeiten in der Horizontale ist, dass es sich gar nicht wie Arbeit anfühlt. Man lümmelt auf dem Sofa, am besten mit dem oder der Liebsten, und hackt ein bisschen in die Tasten.

Genau das ist auch das Gefährliche daran: dass es sich gar nicht wie Arbeit anfühlt. Die Industrialisierung, so Kuratorin Beatriz Colomina, führte einst zur radikalen Trennung von Heim und Büro beziehungsweise Fabrik, von Freizeit und Arbeit. Inzwischen sind sie wieder eins. Auch wenn es noch nicht jeder bemerkt habe: „Wir befinden uns in einer ähnlich dramatischen Transformation.“ Mit Auswirkungen nicht zuletzt auf die Architektur.

Colomina, zurzeit Stipendiatin in Berlins American Academy, verweist auf das gerade erschienene Buch „24/7“, in dem der linke Intellektuelle Jonathan Crary die Rund-um-die-Uhr-Sieben-Tage-Woche des Spätkapitalismus geißelt, die uns zum permanenten Konsumieren und Produzieren zwingt. Ein Leben in Gefangenschaft. Immer im Dienst. Der Professor der Columbia University plädiert dafür, ins Bett zu gehen: um zu schlafen.

Wer alles im Liegen arbeitete: Proust, Capote und Freud

Aber was, wenn man gar nicht mehr einschlafen kann? Allen, die an entsprechenden Störungen leiden, rät der Psychologe Rolf Merkle dringend davon ab, im Bett fernzusehen, am Computer zu arbeiten, zu telefonieren. „Wenn Ihr Körper gelernt hat, das Bett mit anderen Tätigkeiten als dem Schlafen in Verbindung zu bringen, dann hat er möglicherweise verlernt, das Bett mit Schlaf in Verbindung zu bringen, und ist auf Aktivität eingestellt – ohne dass Ihnen das bewusst sein muss.“

So weit zur dunklen Seite des Lebens in der Horizontalen. Aber für Beatriz Colomina gibt es auch die helle: „Dass wir alle zu Künstlern werden.“ Proust war ja längst nicht der einzige Schriftsteller, der im Bett am besten schreiben konnte. Truman Capote meinte gar: „Ich kann nicht denken, wenn ich mich nicht hinlege.“ Nicht zufällig legte Sigmund Freud seine Patienten zur Seelenarbeit auf die Couch. Im entspannten Liegen fließen die Gedanken besser, lässt man leichter los, findet Zugang zum Unbewussten.

Als Synonym für kreatives Denken, „für das Spielerische, Absurde, Seltsame, für die Fähigkeit, das Träumerische und Verquere zuzulassen, den Ideen Raum zu geben“, wird das Bett in der Ausstellung „The Century of the Bed“ denn auch beschrieben. Seit ihrer Ankunft in Berlin vor knapp zwei Monaten, erzählt Beatriz Colomina und lacht, liegt ihr eigener Mann praktisch den ganzen Tag im Bett: Dort schreibt der Architekt und schreibt und schreibt. Sie selber setzt sich zum Arbeiten an den Tisch. „Die Schreibtischplatte gibt uns Halt“, glaubt der Münchener Wohnpsychologe Uwe Linke, in aufrechter Haltung sortieren sich seiner Meinung nach besser die Gedanken.

Ob man nun den Warnungen glaubt, dass Männer vom Laptop im Schoß impotent werden, die Eierstöcke der Frauen angegriffen werden können – man muss kein Mediziner sein, um zu begreifen, dass das Leben im Liegen für den Körper nicht wirklich gesund sein kann. „Der Mensch ist ein Lauftier und kein Faultier“, sagt der Orthopäde Bernd Kladny. Wie schnell Muskeln erschlaffen, weiß jeder, der mal eine Weile krank war. Für die Knochen gilt das Gleiche: „Wenn sie nicht benutzt werden, bauen sie ab“, so der Chefarzt der Fachklinik Herzogenaurach. „Wir brauchen Bewegung.“ Beim Arbeiten im Sitzen rutscht man wenigstens mal ein bisschen herum, ändert die Po-Position, läuft zum Papierkorb – der Mediziner empfiehlt, ihn möglichst weit wegzustellen. Wer rafft sich schon dazu auf, wenn er gemütlich auf der Couch liegt? Kladny empfiehlt Kopfarbeitern den beständigen Wechsel zwischen Stehen, Gehen und Sitzen.

Wenn man sich in Internetforen umschaut, scheinen sich allerdings mehr Leute Sorgen um ihr kostbares Gerät als ihren Körper zu machen. Der Laptop läuft nämlich heiß auf Stoff, fängt womöglich an zu brennen.

Aber natürlich gibt’s auch dafür die richtige Medizin. Man bestellt sich einfach – auf der Couch liegend, im Internet – Notebook-Ablagen mit Überhitzungsschutz. Oder das „Laptop-Schoßtablett“, ähnlich jenen, auf denen unsere Omas früher Teetasse und Kreuzworträtsel ablegten, nur in modernerem Design. Oder ein extra für den Computer entworfenes Klapptischchen. Der große Schreibtisch hat ausgedient.

Fragt sich, was Freud wohl zum Laptop im Schoß gesagt hätte, dieser innigen Beziehung zwischen Mensch und Maschine.

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