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Architekt Volkwin Marg: Stadien: Kathedralen des Fußballs

Er baute in Durban, Warschau, Manaus, Berlin – Volkwin Marg hat es als Architekt von Stadien zu weltweitem Ruhm gebracht. Ein Gespräch zur EM.

Herr Marg, die EM in Frankreich ist das erste Fußballturnier seit Jahren, das ohne ein Stadion von Ihnen stattfindet. Interessieren Sie die Spiele dann überhaupt?

Oja. Genau so wie unsere Architekten es tun – ich bin quasi deren Trainer. Ich finde es absolut faszinierend, wie Massen in einem Stadion bewegt werden. Wie sie sich motivieren lassen. Und na klar, es ist auch ein Vergnügen zu sehen, wie zwei Horden auf dem Spielfeld versuchen, jeweils den Hauseingang des anderen zu stürmen.

Kennen Sie die französischen Stadien ein bisschen?
Die in Nîmes und Arles kenne ich natürlich, ...

Wir meinten eigentlich nicht die antiken Arenen.
… gut, das hat mit meinem gesellschaftspolitischen Interesse zu tun. Ich stelle mir vor: Was ist dort damals passiert? Bei den alten Griechen fanden in Stadien paramilitärische Vergleichskämpfe statt, von denen unsere olympischen Sportarten stammen. Bei den Römern, auch in Südfrankreich, war das anders. Das waren Showveranstaltungen für den Plebs: grausame Tierhatzen oder Gladiatorenspiele auf Leben und Tod, zur kollektiven Triebabfuhr und Ruhigstellung der Massen. Auch in modernen Stadien ist das Wichtigste das Spektakel. Das Bewusstsein des Einzelnen verschwimmt in kollektiven Emotionen.

Volkwin Marg, 79, zählt zu den wichtigsten deutschen Architekten: Seit 1965 betreibt er mit Meinhard von Gerkan das Büro GMP in Hamburg.
Volkwin Marg, 79, zählt zu den wichtigsten deutschen Architekten: Seit 1965 betreibt er mit Meinhard von Gerkan das Büro GMP in Hamburg.

© Mike Wolff

Sie klingen, als wären Sie Soziologe, nicht Architekt.
Architektonische Erfahrungen aus den alten Stadien sind wichtig. Das Kolosseum in Rom konnten sie in fünf Minuten vom Publikum leeren. Das ist doch perfekt.

Wenn Sie mal an die Gegenwart denken: Beeindruckt Sie eines der EM-Stadien besonders?
Das Stade de France in Paris, ein ganz starker Bau. Das Faszinierende sind die mobilen Untertribünen. Herausgefahren erlauben sie die Einengung auf das Fußball-Spielfeld, oder eingefahren die Veranstaltung von Leichtathletik. Die Quadratur des Kreises ist da gelungen.

Die „FAZ“ nennt Sie den „Champion der Stadionarchitektur“. Sie haben das Berliner Olympiastadion modernisiert, in Köln und Frankfurt gebaut, in Südafrika, Brasilien, China, Polen, Ukraine und Russland. Gehört es zu Ihrem Berufsethos, jede dieser Arenen einmal vollbesetzt zu besuchen?
Ja. Aber Stadien müssen entweder ganz voll sein – oder ganz leer.

Bitte?
Natürlich! Ich bin doch auch tief berührt, wenn ich in eine leere Kathedrale trete. Von Menschen gebaute Weite und Höhe ist imposant, der Mensch ist winzig, der Raum riesig, dies Pathos erzeugt Demut.

Was braucht es architektonisch, damit in einem Stadion Stimmung aufkommt?
Da sind wir wieder bei Kathedralen. Eine Predigt soll auch ohne Mikrofon verstanden werden. Und was hat man deshalb über der Kanzel gebaut? Einen Schalldeckel. Im Stadion bauen wir dafür ein Dach. Das gibt diesen Badezimmereffekt, der viele Leute dazu bringt zu singen. Es kommt allerdings aufs Maßhalten an. Im Münchner Stadion ist der Schallpegel so knallig, dass man Probleme hat, Lautsprecherdurchsagen zu verstehen. Sowas lässt sich akustisch verbessern. Die zweite Netz-Membran unter dem Dach des Berliner Olympiastadions wirkt dämpfend, anders als das Blechdach in Dortmund, das reflektiert knallhart.

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Dortmund ist bekannt für die einzigartige Atmosphäre in der Südtribüne. Auch, weil die so steil ist?
Je steiler man es macht, desto intensiver wird die Atmosphäre. Mit 36, 37 Grad sind dort, wie auch von uns in Köln gebaut, die zulässigen Steigungen ausgereizt. Wenn eine Masse am Steilhang in Bewegung kommt, droht eine Lawine. Ab einer bestimmten Steilheit müssen Sie deshalb Wellenbrecher einbauen. Lieber versuchen wir, ohne diese Bügel vor jeder Sitzreihe auszukommen, also das Optimum auszuloten zwischen Steilheit und größtmöglicher Sicherheit.

In der Halbzeitpause drängen dann alle nach draußen, wollen sich ein Würstchen holen oder schnell auf die Toilette. Gibt’s eine Faustregel, wie viele Pinkelbecken auf 100 Zuschauer kommen müssen?
Nicht so sehr die Anzahl der WCs oder der Würstchenbuden ist entscheidend, sondern vor allem deren Nähe. Je zentraler sie an den Ein- und Ausgängen liegen, desto besser. Es gibt Empfehlungen der Fifa, die wir – aufgrund unserer Erfahrungen beim Olympiastadion – entwickelt haben. Berlin hatte eine Pilotfunktion. Wir haben auch Paniksimulationen getestet und in Entfluchtungskonzepte umgesetzt, obwohl der historische Bau schon ziemlich sicher war. Ältere Stadien sind ziemlich beengt. Im Olympiastadion mussten wir teilweise mit 75 Zentimeter Sitztiefe auskommen, in unserem Neubau für Warschau sind es dagegen 85 bis 90 Zentimeter. Die Ausrichtung des Berliner Stadions stimmt übrigens auch nicht.

Was meinen Sie?
Heute baut man in Nord-Süd-Richtung: Also Tore im Norden und Süden, Haupttribüne im Westen. So werden Spieler, Fernsehkameras und Presse am wenigstens von der Sonne geblendet. Das Berliner Stadion hat noch die alte Ost-West-Ausrichtung. Immerhin gibt das beim Abschluss der Pokal-Endspiele schöne Bilder, wenn die untergehende Sonne durch das Marathon-Tor leuchtet.

"Länder, Städte und Vereine wollen heute Zeichen setzen"

Bei Spielen von Hertha BSC wird oft Kritik laut. Wegen der Tartanbahn komme keine Stimmung auf, heißt es.
Unsere Aufgabe beim Umbau für die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 war, dieses Baudenkmal für alle Sportarten zu erhalten, aber für den Profi-Fußball zu ertüchtigen. Es soll ja kein Vereins-, sondern ein nationales Universalstadion sein. In der von uns entworfenen rot-weißen Nationalarena in Warschau spielt übrigens kein spezieller Verein exklusiv, stattdessen machen sie dort alle Arten von Spielen, von Motocross bis Surfmeisterschaften oder sogar einen Weltklimagipfel. Bei allen Stadien, die wir als reine Fußballarenen entwerfen, sind die Zuschauer natürlich dicht am Spielfeldrand, ohne Leichtathletikbahnen dazwischen.

In manchen Stadien haben Sie die Farbe der Sitzplätze benutzt, um selbst bei wenigen Besuchern einen Eindruck von Fülle zu erzeugen. Wie funktioniert das?
Durch optische Täuschungen. Einzelne dunkle Sitze wirken bei uns so, als sitze dort jemand. In Südafrika mussten wir das anders machen, denn die Leute sind da sehr bunt angezogen. Also haben wir die Sitze mit verschiedenen Farben gepixelt.

Der Manager der Münchner Arena hat uns erklärt, dass der Fußballrasen heutzutage nicht mehr unbedingt Sonne braucht – denn man bestrahlt ihn mit Wachstumslampen. Eine Sorge weniger für Sie?
Ja, das gibt eine Erleichterung. Ich weiß nicht, wie oft man zum Beispiel in Amsterdam früher den verschatteten Rollrasen teuer wechseln musste – trotz Drainage und Beheizung, damit der Rasen nicht zu Morast oder Steppe wurde. Später kam man, wie bei Schalke 04, auf die Idee, den Rasen samt Spielfeld wie ein Tablett nach draußen in die Sonne zu schieben. Diese Riesenkonstruktion zu bauen und zu betreiben, kostet ein viehisches Geld.

Das Münchner Olympiastadion, geplant vom Büro Behnisch & Partner, gehört zu Volkwin Margs absoluten Favoriten.
Das Münchner Olympiastadion, geplant vom Büro Behnisch & Partner, gehört zu Volkwin Margs absoluten Favoriten.

© Dom Publishers/Wilfried Mählmann

Sie haben Bürohäuser, Messehallen, Flughäfen geplant. Was ist die besondere Herausforderung beim Entwurf eines Stadions?
Die Dachkonstruktion. Die Herausforderung sind unglaubliche Spannweiten: in Berlin 50 Meter Auskragung nach innen – bei Vollüberdachungen wie in Frankfurt 220 Meter oder in Warschau 300 Meter. Unser Anspruch ist, eine Konstruktion zu finden, die leicht ist, minimal Material verbraucht und ästhetisch elegant sich selbst erklärt.

Die Fachzeitschrift „Forum Stadt“ schreibt, bei modernen Stadien gebe es einen Trend zu ikonografischen Gestalten. Mit Bauten wie dem Vogelnest in Peking oder Ihrem rot-weißen Stadion in Warschau. Wer will da angeben, der Auftraggeber oder die Architekten?
Ländern, Städten und Vereinen geht es darum, ein markantes Zeichen zu setzen, weil sie im Wettbewerb sind. In Südafrika hat uns der Auftraggeber der Stadt Durban gesagt: „Please, put Durban on the map.“ Das hieß: Mache einen Entwurf, der eine Ikone für Durban wird.

Innen wirken Stadien heute austauschbar.
Genau – was die Tribünen betrifft. Aber wir haben Spielraum bei der Hülle und der Dachstruktur. Das lässt sich unterschiedlich inszenieren, und das wird auch erwartet. Nicht nur rot-weiß steht in Polen für nationale Identität, sondern auch die äußere Struktur in Gestalt eines zugedeckten Weidenkorbes. Wir fanden das auch ästhetisch reizvoll: Das Rot ist unten, das weiße Dach lässt diese große Masse Stadion gen Himmel leichter werden. In Durban haben wir das Stadiondach mit einem über 100 Meter hohen Bogen überwölbt, also mit dem populären Symbol des Regenbogens für die Vielfarbigkeit von schwarzen, weißen und gelben Stadtbürgern.

Heute spielt der FC Bayern nicht mehr im Münchner Olympiastadion, sondern in der neugebauten Allianz Arena, errichtet nach den Entwürfen von Herzog de Meuron.
Heute spielt der FC Bayern nicht mehr im Münchner Olympiastadion, sondern in der neugebauten Allianz Arena, errichtet nach den Entwürfen von Herzog de Meuron.

© dpa

Ihr Stadion in Kapstadt, ebenfalls errichtet für die WM vor sechs Jahren, soll vielleicht wieder abgerissen werden. Es steht schlecht genutzt herum. Soziale Verantwortung sieht anders aus.
Wenn Sie einen perfekten Ferrari an falsche Fahrer geben, fahren die damit Mist oder gegen die Wand. Man muss ein Stadion auch betreiben können. Es gab für das Stadion die politische Vorgabe für die Schwarzen Fußball und für die Weißen Rugby an einem Ort zusammenzubringen, damit sie aufeinander zugehen. Im Moment klappt diese Integration nicht mehr. Außerdem brauchen Sie Shows und Events, ein Stadion muss leben, Sie müssen Nutzung reinkriegen. Das Stadion an der Waterfront bildet mit dem berühmten Tafelberg und dem Signal Hill eine Postkarten-Ikone. Die Immobilienpreise rundherum sind gestiegen. Hoffentlich steigt der politische Wille beider Seiten zur Überwindung verbliebener Apartheid auch, damit es bessere Presse gibt.

Welche Stadien anderer Architekten finden Sie sehr gelungen?
Das Münchner Olympiastadion von 1972: eine fantastische Inszenierung von Architektur und Stadtlandschaft, damals das Gesellschaftsbild eines neuen Deutschlands – die Vision einer neuen Gesellschaft. Die Gleichschaltung der Massen, das wollte man nach dem Kriegstrauma bei Olympischen Spielen in Deutschland nicht wieder erleben. Sondern jugendliche Beschwingtheit, Transparenz, Leichtigkeit.

"St. Pauli hat eine Klitsche, aber da herrscht Bombenstimmung"

Vor den Toren der Stadt: das neue Stadion von Mönchengladbach.
Vor den Toren der Stadt: das neue Stadion von Mönchengladbach.

© Imago/Hans Blossey

Eine andere aktuelle Entwicklung sind Stadien außerhalb der Städte, wie in Hoffenheim oder Mönchengladbach. Soziologen sprechen von „autistischen Großkomplexen“.
So neu ist das nicht. Schon die Römer haben die Stadien nach außen gelegt, schon damals aus Verkehrsgründen: Verkehr ist einfacher zu organisieren, wenn die Massen nicht in die Innenstadt strömen. Solange Stadien nur sporadischen Massenversammlungen dienen, aber zwischendurch leer stehen, ist das logisch. Wenn man das so signifikant hinkriegt, wie die Allianz Arena in München, ist das schon faszinierend.

Die Fans des TSV 1860 München wollten nichts von der neuen Arena wissen. Die hängen an ihrem ranzigen Stadion in der Stadt. Es ist Teil des Viertels, von den Balkonen der Nachbarhäuser kann man die Spiele verfolgen.
Da brauchen Sie gar nicht nach München zu gehen. Bei uns in Hamburg steht mitten in St. Pauli die zusammengebastelte Klitsche des Kultvereins, und da herrscht eine Bombenstimmung.

Was halten Sie von der Idee eines Stadions wie eine Ziehharmonika: Das böte mal Platz für 50 000 und mal für 20 000?
Das kostet viel Geld. Wir haben für Klagenfurt ein flexibles Stadion entworfen, dessen Dach man hydraulisch hochfahren kann, darunter Platz für den Auf- und Abbau mobiler Tribünen. Aber solche Mobilität und Flexibilität ist teuer.

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Mancher vermisst in den modernen Stadien die Flutlichtmasten, die Patina, die Atmosphäre. Bei Mode und Möbeln gibt es Vintage-Entwürfe. Lässt sich die Sehnsucht nach dem Alten auf die Architektur übertragen?
Architektur hat die schöne und fatale Eigenschaft, sehr lange zu stehen. Da wirken retrospektive Designmoden peinlich. Aber solche Fragen sind Luxus, das ist sehr eurozentrisch gedacht. In China zieht es gerade Millionen Menschen, genau wie bei uns in der Gründerzeit, in die großen Städte. Für die müssen Arbeitsplätze und Wohnungen gebaut werden – und grüne Lungen. Da setzen die Chinesen natürlich auch riesige Sportkomplexe hin, mit mehreren Stadien und Schwimmhallen.

Wagen Sie eine Prognose: Wie werden Stadien hierzulande in 30 Jahren aussehen?
Ich muss wieder an die alten Römer erinnern: Deren Stadien und die von heute haben viele Ähnlichkeiten. Wenn eine Menge Menschen zusammenkommen, um gemeinsam gut schauen zu können, werden sie sich aufgetreppt hintereinander stellen, das wird so bleiben. Aber Stadien könnten größeren Anteil am städtischen Leben gewinnen, indem man sie nicht nur für seltene Massenveranstaltungen alle ein oder zwei Wochen nutzt – draußen vor den Toren der Stadt –, sondern indem man in ihnen und um sie herum permanent städtisches Leben inszeniert.

Der Manager der Münchner Arena sagt, eine Mehrfachnutzung sei nicht gut möglich. Es gibt zu viele Spiele, und die Termine entscheiden sich oft erst kurzfristig...
… richtig, der Innenraum der Stadien wird bislang kaum für eine andere Nutzung ausgelegt. Wenn eine fortgeschrittene Kunst-Naturrasentechnik wechselnde Nutzungen erleichtert und es drinnen und drumherum inmitten der Stadt Geschäfte, Restaurants, Konferenzen, Hotels, Arztpraxen, oder eine Sportakademie gibt, dann entsteht ein urbaner Stadiontyp. In Madrid planen wir gerade in diesem Sinne das Bernabéu-Stadium um. Stellen Sie sich zukünftig einen großen Wohnblock vor, oben wohnen Sie, unten haben Sie Kneipen, Geschäfte, und der Hof in der Mitte bildet das Stadion – das wäre das zukünftige Stadtstadion. Ein bisschen wie die Piazza Navona in Rom, da gab es bei den Römern eine Rennbahn, die ist weggefallen, aber der Platz ist geblieben.

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