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Architektur im Blickpunkt: „Stararchitekten sind nur der Sahnekringel“

Beim Bauen muss man in großen Zusammenhängen denken, Oslos neue Oper beweist das. In Berlin sieht das Ehepaar Kristin Feireiss und Hans-Jürgen Commerrell viel Filz und Provinzielles

Frau Feireiss, Sie sind die erste Deutsche in der Jury des Pritzker-Preises, der als Nobelpreis für Architektur gilt. Dieses Jahr wird der Stuttgarter Frei Otto damit ausgezeichnet, der vor zwei Wochen mit 89 gestorben ist, kurz vor der offiziellen Bekanntgabe.

Feireiss: Die Entscheidung fiel im Januar, zum Glück hat er es noch erfahren. Frei Otto war Forscher, Erfinder, Visionär und ein begnadeter Lehrer, plante nachhaltig, als noch niemand dieses Wort benutzte. Schon vor einem halben Jahrhundert legte er großen Wert auf die Zusammenarbeit im Team, was heute wichtiger ist denn je, hat mit seinen Innovationen wie beim Leichtbau Generationen junger Architekten beeinflusst. Baumeister wie Richard Rogers, Shigeru Ban oder Zaha Hadid berufen sich auf ihn. Frei Otto war seiner Zeit immer weit voraus – jetzt holt ihn die Zeit ein. Dass seine Bedeutung für die Architektur in Deutschland nicht angemessen anerkannt wurde, hat ihn oft traurig gemacht. Er hat den Preis als Bestätigung seines Lebenswerkes empfunden.

Sie selbst wurden von der niederländischen Königin zur Ritterin geschlagen, das Bundesverdienstkreuz haben Sie bekommen, einen Ehrendoktortitel ...

Feireiss: ... und Mitglied der Pritzker-Preis-Jury zu sein ist für mich eine besondere Auszeichnung: weil ich dort aktiv sein kann. Das ist eine Gruppe sehr kultivierter Menschen, nicht nur aus der Architektur. Stephen Breyer zum Beispiel, Richter am US Supreme Court – ein brillanter Geist! Ich nehme ja an vielen Jurys teil, aber leider geht es oft um Eitelkeiten, da bleiben die Inhalte gern mal auf der Strecke. In der Pritzker-Jury sind alle über dieses Stadium hinaus, das ist sehr angenehm. Am Ende will man zusammen etwas Sinnvolles bewirken, reagieren auf das, was passiert in der Welt.

Und, was ist die Botschaft?

Feireiss: Dass es heute nicht allein um ikonografische Architektur geht, um Leuchtturmprojekte, sondern um gesellschaftliche Verantwortung. Frei Ottos Entwürfe stehen im Einklang mit der Natur und dem Menschen, seine Architektur war immer von einer demokratischen Grundhaltung geprägt. Traumatisiert von der Nazizeit, wollte er Gebäude schaffen, die das Gegenteil von monumental sind. Nicht für die Ewigkeit bauen, sondern leicht, der jeweiligen Zeit entsprechend. Seine Erfindungen hat er nie als sein Eigentum betrachtet, keine Patente angemeldet. Er wollte sie mit allen teilen.

Den Pritzker-Preis gibt es seit gut 30 Jahren ...

Feireiss: ... in denen sich das Bild des Architekten sehr verändert hat. Natürlich wird es immer Stararchitekten geben, sie sind wie der Sahnekringel auf der Torte. Aber die Zukunft gehört der Generation, die im Team, mit unterschiedlichsten Perspektiven und Expertisen, die immer komplexeren Aufgaben in Architektur und Stadtgestaltung angeht.

Commerell: Das erkennt man schon an den Namen der Büros. Früher wurden sie in der Regel nach einem oder zwei Architekten benannt, heute wird der Name mitunter zum Programm: „Feld22“, „Morphosis“, Coop Himmelblau, „Alles wird gut“... Die machen sich einen Spaß aus der Namensgebung und schaffen trotzdem Identität.

Sie setzen sich seit Jahrzehnten für moderne Architektur ein und wohnen in einem Kreuzberger Altbau!

Commerell: Nicht ganz, das hier oben ist ein Dachausbau.

Feireiss: Mir sind die meisten Neubauten zu niedrig, da stellt sich kein Raumgefühl ein. Auch die Ecken und Winkel würde ich vermissen. Außerdem gab’s damals in Kreuzberg keine attraktiven Neubauten. Das ist heute anders.

Commerell: Inzwischen gibt es eine ganze Reihe von guten, auch erschwinglichen Beispielen in Berlin. Häufig sind das Baugruppen, bei denen die beteiligten Architekten mitunter Developer, Bauherr und Nutzer in einem sind.

Bei Aedes haben Frank Gehry, Peter Eisenman, Rem Koolhaas und Daniel Libeskind ausgestellt, lange bevor sie die Stars wurden, die sie heute sind.

Feireiss: Peter Cook meinte einmal: Ihr habt den richtigen Riecher. Unsere Motivation, ein solches Experiment zu wagen, war unser Interesse an Architektur, an der Umwelt, in der wir leben. Und wir wollten eine möglichst große Öffentlichkeit interessieren dafür. Die Basis der Ausstellungsarbeit war von Anfang an eine ganz persönliche Sache, eine partnerschaftliche Zusammenarbeit mit den Architekten, aus der oft lebenslange Freundschaften wurden. Wir waren damals ein ganz kleiner Laden – meine Partnerin Helga Retzer, die 1984 tödlich verunglückt ist, und ich –, jeder musste mit anpacken. Viele Architekten haben bei uns zu Hause gewohnt, um das Hotel zu sparen, aber auch, weil es einfach netter war. Das ist oft heute noch so. Das gegenseitige Vertrauen ist das Wichtigste. Und natürlich die Begeisterung für die Sache.

In einer Galerie wird normalerweise Kunst verkauft.

Feireiss: Uns ging es nie um die Präsentation von Architekturzeichnungen als Kunstobjekte, sondern um den Entwurfsprozess von der Skizze bis zum fertigen Gebäude in seiner Umgebung. Wir wollen deutlich machen, dass die gebaute Umwelt alle angeht. Dass wir mitverantwortlich dafür sind.

Commerell: Inzwischen sind die Themen allerdings viel komplexer und globaler geworden, nicht nur für Architekten. Deswegen haben wir vor sechs Jahren mit dem Aedes Network Campus noch eine breitere Plattform zur Diskussion gegründet.

Was ist gute Architektur?

Feireiss: Schwere Frage! Jedenfalls alles, was eine lebendige Stadt ausmacht: Vielfalt, Offenheit, Dynamik, das Reagieren auf gesellschaftliche Entwicklungen. Wichtig ist, dass Gebäude nicht als Monolithe in der Gegend rumstehen, sondern auf die Umgebung reagieren, zu neuen Aktivitäten anregen.

"Da kommen Leute in Machtpositionen, die völlig unbedarft sind"

Foto: Mike Wolff
Kristin Feireiss, 72, Aedes-Gründerin, und ihr Ehemann Hans-Jürgen Commerrell, Direktor des Aedes-Architekturforums

© Mike Wolff

Ein positives Beispiel?

Feireiss: Die Oper in Oslo. Das norwegische Büro Snøhetta hat es geschafft, einen völlig verlassenen Stadtteil umzudrehen. Da war der Hafen, eine breite Straße, die man wegen des Lastwagenverkehrs nicht überqueren konnte, alte Schuppen, Leere und noch mal Leere. Der Bau war für die Erschließung der ganzen Gegend wie ein Motor, der plötzlich angesprungen ist. Im Sommer wird das begehbare begrünte Dach, das wie eine Rampe von der Straße bis zur Spitze des Gebäudes führt, zur Liegewiese, im Winter zur Rodelpiste. In wenigen Jahren hat sich im Sog der Oper ein unglaublich lebendiges Quartier entwickelt.

Und Berlin?

Feireiss: Vieles, was hier passiert, ist ganz schrecklich, die Stadt ist sehr verfilzt, da kommen Leute in Machtpositionen, die völlig unbedarft sind. Das Tolle ist: dass so vieles aus einer unheimlichen Kraft der Stadt passiert, aus Eigeninitiativen. In den letzten Jahren haben vor allem temporäre Bauten und Zwischennutzungsprojekte die Stadt geprägt, innovative Gruppen wie Raumlabor, ...

... ein Zusammenschluss Berliner Künstler und Architekten ...

Feireiss: ... die durch ihre urbanen Installationen viel bewegt, neue Fragen ausgelöst haben. Neben den Baugruppen sind diese Initiativen immer wieder Motoren der Quartiersentwicklung. Allerdings mit weniger PS als in Oslo, und natürlich hat diese Aufladung der Bezirke zu den üblichen Verdrängungsmechanismen geführt, die das soziale Gefüge und den Charakter der Stadt gefährden.

Und die Politik?

Feireiss: Torpediert Innovatives eher. Aktuellstes Beispiel: das Flussbad-Projekt von Jan und Tim Edler. Ein großer Entwurf für die Mitte Berlins, der jetzt von unterschiedlichen Behörden und Berufsverbänden, die nicht mitreden durften, kleingeredet wird. Oder dieser Kater Holzig, mein Gott, was war das irre an dem alten Ort. Aber das musste verkauft werden! Was aus der Verwaltung kommt in puncto Stadtentwicklung hat meist trauriges Mittelmaß. Der Senat ist durch politisches Gezerre, Profilneurosen und Provinzialität schwer geschwächt, worunter auch die Verwaltung leidet.

Die Heerscharen junger Kreativer aus aller Welt stürmen immer noch in die Stadt.

Feireiss: Die unglaubliche Kreativität und ungebrochene Power Berlins scheint das alles zu überleben. Aber wie lange noch? Angesichts der Goldgräberstimmung im Immobiliensektor, den explodierenden Quadratmeterpreisen und der damit verbundenen Verdrängung gerät das viel beschworene Kreativpotenzial zum Mythos.

Die Gegend um den Hauptbahnhof ...

Feireiss: Eine Katastrophe! Wir wissen doch heute besser, wie ein lebendiges Stadtquartier entsteht.

Warum hat sich dort nicht so etwas entwickelt wie mit der Osloer Oper?

Feireiss: Man kann das in Berlin fast geschichtlich betrachten. Seit der Inselrepublik gab es von der verantwortlichen Politik keine gesellschaftliche Vision zur Zukunft der Stadt. Es ist fast schon eine Tragik, dass eine provinzielle Regierung einer so aktiven, kreativen Stadtgemeinschaft gegenübersteht. Die passen irgendwie nicht zusammen.

Commerell: Das kreative Potenzial von unten hat man in den letzten Jahren nicht gefördert, sondern zu instrumentalisieren versucht. Marketing eben, keine Innovation. In Berlin dealen wir quasi nur mit dem Potenzial der Stadt, aber gleichzeitig fällt uns nichts Besseres ein, als das Meiste zu verhindern. Die kreativen Möglichkeiten werden nicht ausgeschöpft: mit Investoren gemeinsam etwas Neues zu entwickeln, was auch den Anforderungen an Rentabilität und Effizienz entspricht.

Angenommen, Sie wären Königin von Berlin – was wäre die erste Maßnahme?

Feireiss: Ich möchte mich eigentlich nicht in die Reihe der vielen kleinen Berliner Könige einreihen. Wenn doch, würde ich als Erstes eine kleine Denkpause verordnen, eine Wir-müssen-schnell-die-Lücke-füllen-Pause. Das kann ja keiner ertragen, wenn irgendwo was leer ist. Durchatmen! Als nächstes:die Bezirkshoheit abschaffen.

Commerell: Im Grunde gab es in Berlin tatsächlich immer einen König, der gemacht hat, was er wollte, und daneben ziemlich starke Fürstentümer, die einzelnen Bezirke, die auch machen, was sie wollen.

Feireiss: Und ich würde schleunigst mit meinem Volk Kontakt aufnehmen und vor allem kluge Menschen und frische Ideen von außen holen!

Diese klugen Leute wären Architekten?

Feireiss: Nö. Da kann auch ein Architekt oder ein Stadtplaner dabei sein, unbedingt, aber um partizipatorische, ökonomische und gesellschaftliche Prozesse miteinander zu verbinden, braucht es eine Vielfalt von herausragenden Köpfen. Es gab mal eine Zeit nach der Wende, wo man dachte: Hier kommt das Kapital, wir bauen jetzt nur Bürohochhäuser. Doch viele Bauten blieben leer, und die Umnutzung zu Wohnraum war nicht eingeplant. Man muss sich flexibel und gegebenenfalls auch unorthodox für die Zukunft vorbereiten.

Sie wurden 1996 Direktorin des Niederländischen Architekturmuseums in Rotterdam, damals das größte der Welt. Wie kommt es, dass in einem so kleinen Land Architektur eine so gewaltige Rolle spielt?

Feireiss: Architektur ist dort immer Teil der nationalen kulturellen Identität gewesen. Die Niederländer sind im Einklang mit ihrer gebauten Geschichte. Es gab keine Konzentrationslager, man sieht kaum Macht- und Protzbauten und die, die es gibt, sind sehr alt. Die Niederlande wurden jahrzehntelang sozialdemokratisch regiert, bezahlbarer Wohnraum für alle war ein wichtiges Ziel. Das hat Nachteile, wie die Zersiedlung der Städte. Positiv ist: Man glaubt daran, dass Architektur ein gesellschaftliches und soziales Instrument sein kann.

Commerell: Es gibt eine andere Art von kollektivem Bewusstsein. Das Land musste sich immer gegen das Wasser wehren, und das geht nur, wenn man zusammenarbeitet und zusammenhält. Das ist die Grundlage dafür, dass in den Niederlanden der öffentliche Raum gemeinsam verhandelt wird. Anders als in Deutschland, wo jeder schreit: Das ist meins!, und Mauern hochgezogen werden.

Feireiss: Bei Wettbewerben habe ich ein unglaubliches Vertrauen in die junge Generation erlebt. Manchmal gewann ein Architekt, der noch gar kein eigenes Büro hatte! Und er bekam den Auftrag. Ein deutscher Architekt hat sich neulich beklagt: Für einen Wettbewerb hier muss man 40 Mitarbeiter und so und so viele Computer vorweisen und am besten auch noch mehrere Gebäude des vorgegebenen Typus gebaut haben. In den Niederlanden ist Architektur beim Kulturministerium angesiedelt. In Deutschland war bisher das Bauministerium für Verkehr, Bau- und Stadtentwicklung zuständig, heute ist es das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit. Der Begriff Kultur kommt darin nicht vor.

Herr Commerell, Sie haben in dieser Zeit Aedes übernommen.

Commerell: Das war ja gar nicht mein Metier, ich bin als Architekturfotograf immer allein herumgereist, von meinem Beruf und von meiner Art her war ich eher der Zurückgezogene, kein Mann der Öffentlichkeit. Aber es war auch eine spannende Herausforderung. Wir haben den Dialog mit Asien intensiviert, 2001 eine Ausstellung über die erste Generation unabhängig arbeitender Architekten in China gemacht, da haben wir Architekten wie Wang Shu vorgestellt, der später den Pritzker-Preis bekam. Auch Ai Wei Wei war dabei, den kannte damals noch niemand in Deutschland.

Seit der Eröffnung von Aedes haben Sie ein internationales Netzwerk geknüpft.

Commerell: Obwohl es damals noch keine Computer und schon gar kein Internet gab.

Feireiss: Wir haben am Anfang ja jeden einzelnen Brief auf der Schreibmaschine getippt. Die meisten Architekten haben sich damals so gefreut, dass sie einen persönlichen Brief bekamen, wir uns in Berlin für ihre Arbeit interessierten. Ich erinnere mich noch genau an die erste Ausstellung mit Peter und Alison Smithson. Wir waren völlig überrumpelt von dem großen Interesse.

Zwischen Architekten gibt es viel Neid und Konkurrenz. Wie kriegen Sie die an einen Tisch?

Feireiss: Einmal sollte Hans Kollhoff eine Rede halten und dazu auch ein Journalist kommen, der immer gegen ihn geschrieben hat. Kollhoff meinte: Wenn der hier auftaucht, gehe ich. Da habe ich gesagt: Schau mal, wir sind hier ein Forum für alle. Wir haben es geschafft, eine neutrale Plattform für die Kommunikation von Architekturkultur zu sein, ein Ort, an dem sich alle begegnen können. Das war nicht immer ohne Tücken, und es haben sich sicher nicht alle geliebt, die sich bei uns getroffen haben, aber es gab damals eben auch nur diesen einen Ort. Wir haben immer offen diskutiert und keine überflüssigen Stildebatten geführt.

"Der Altersunterschied war für uns kein Thema"

Foto: Mike Wolff
Kristin Feireiss, 72, Aedes-Gründerin, und ihr Ehemann Hans-Jürgen Commerrell, Direktor des Aedes-Architekturforums

© Mike Wolff

Und wie funktioniert das zwischen Ihnen: gemeinsam arbeiten und ein Paar sein?

Feireiss: Nicht immer! Aber erst mal verbindet uns ein großes Maß an Vertrauen und Liebe. Wir leben und arbeiten schon 25 Jahre zusammen. Es gab trotzdem schwierige Situationen ...

Commerell: Oft haben wir abends noch diskutiert, wenn wir schon müde waren. Da sind wir regelmäßig mit Aggressionen ins Bett gegangen. Bis wir eine Lösung gefunden haben, eine pragmatische.

Feireiss: Das war super, aber wir mussten das erst mal lernen: Abends wurde nicht mehr über die Arbeit geredet. Dafür klingelt der Wecker früh. Meistens sitzen wir mit einer Tasse Kaffee im Bett und gehen unsere Listen und Themen zusammen durch.

Ihr Mann ist 19 Jahre jünger als Sie.

Feireiss: Die Liebe hat sich so ergeben, der Altersunterschied war für uns kein Thema.

Commerell: Wenn er auch keine Rolle gespielt hat, so gab es von meiner Seite doch von Beginn an eine Art von Bewunderung für Kristin. Der Erfahrungsvorsprung spielte dabei sicher eine Rolle. Und diese Energie, die sie hat, und was sie dadurch bewegt, das hat mich schon beeindruckt.

Haben Sie mal Lust gehabt, die Seiten zu wechseln und selber zu bauen?

Feireiss: Nein! Mir wäre der Job zu schwer. Früher gab es den Baumeister, der alles bis ins kleinste Detail plante und überwachte. Heute wird dem Architekten oft die gesamte Ausführung entzogen. Ich hätte auch gar keine Geduld, zu warten, bis das Gebäude fertig ist. Nein, ich sehe meine Passion darin, Architektur zu kommunizieren. Aber vielleicht werde ich im nächsten Leben Immobilienmaklerin.

Commerell: Gleichzeitig werden die Architekten für alles in die Verantwortung genommen! Zu Ihrer Frage zum Seitenwechsel: Das ist so, als würden Sie von einem Galeristen wissen wollen, ob er eigentlich lieber Maler wäre. Darum geht es nicht. Wir wollen auch über die Verteilung von Territorium sprechen, darüber, wie Raum gestaltet wird.

Wir haben von Begeisterung gesprochen, aber Sie sind ganz anders erzogen worden. Ihr Pflegevater Josef Neckermann, Chef der Kaufhauskette und ein berühmter Reiter, hat gesagt: Die Niederlage beginnt beim zweiten Platz. Ihre Pflegemutter: Was uns nicht tötet, macht uns härter.

Feireiss: Ja, das hat mich sehr geprägt, und es hat lange gedauert, bis ich es abschütteln konnte.

Josef Neckermann war ein Bruder Ihrer Mutter, Ihre Eltern und Ihr Bruder sind bei einem Autounfall ums Leben gekommen, als Sie fünf Jahre alt waren, die Neckermanns nahmen Sie auf. Warum haben Sie so lange über Ihre Herkunft geschwiegen?

Feireiss: Ich habe mich mühsam von meinem familiären Hintergrund gelöst. Das war ein schmerzhafter, notwendiger, guter Prozess. Aber meine Großmutter Jula Neckermann, bei der ich als Kind viele Jahre lebte, war alles für mich! Ihre Liebe hat mich emotional geprägt, ich rede oft von ihr. Selbst Hans-Jürgen und meine Kinder sagen manchmal: Deine Großmutter hätte das genauso gemacht. Einmal habe ich eine Brosche von ihr verloren und war außer mir! Hans-Jürgen hat Stunden auf der Straße gesucht! Schließlich hat er sie gefunden, neben dem Gully.

Sie haben über Ihre Familie nun ein Buch geschrieben.

Feireiss: Ich hatte mein Leben lang Sehnsucht nach meinen leiblichen Eltern, an die ich keine Erinnerung habe. Da habe ich mich auf die Suche gemacht, mit meiner Großmutter und Zeitzeugen gesprochen, in Akten, Briefen, Fotoalben gestöbert. Mit dem Schreiben habe ich die Vergangenheit zurückgeholt. In den 60er Jahren, als ich nach Berlin kam, bedeutete der Name Neckermann ja noch was. Und mir war klar, wenn ich mir hier etwas aufbaue, dann auch wirklich ganz allein, nicht mit dem Namen im Hintergrund. Heute kann ich gelassen damit umgehen.

Sie selber haben eine Patchworkfamilie.

Feireiss: Ja, ich habe zwei Söhne von zwei Vätern, dann ist da der Sohn meines Exmannes und der Sohn von Hans-Jürgen und drei Enkel. Am Ende ist die Familie für uns das Allerwichtigste. Natürlich gibt’s Höhen und Tiefen. Bei einer Geburtstagsrede hat mein Sohn Lukas einmal gesagt: Bei uns gibt’s immer wieder heftige Reibungen – aber wo Reibung ist, entsteht auch Wärme.

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