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Leuchtet nicht im Dunkeln: der weiße Hals des Bären.

© Illustration: Andree Volkmann

Berliner Schnauzen (61): Der Kragenbär

Robert Gernhardt dichtete über masturbierende Kragenbären. Wie trist sieht dagegen die Realität aus.

Was würde geschehen, wenn man sich Zutritt verschaffte in dieses Gehege mit seinen meterhohen Sicherheitsglasscheiben? Wenn man da irgendwie reinkäme? „Sie würden nicht mehr im gleichen Aggregatzustand rauskommen“, sagt Säugetierkurator Heiner Klös. „Die würden sofort angreifen, schließlich sind es Raubtiere.“

Kaum zu glauben, wenn man den beiden Kragenbären im Berliner Zoo zusieht. Erst liegen sie als pelzige schwarze Kolosse unbewegt im Gras, fett und schläfrig, dann erhebt sich der eine gemächlich, schlurft auf schweren Sohlen zum gläsernen Zaun, richtet sich ein wenig auf, damit die Leute die große weiße Zeichnung auf seiner Brust sehen. Aber schon sinkt er wieder in sich zusammen und ergibt sich dem Schlaf des Gerechten.

Stinkefaul sind die beiden, sagt Heiner Klös und fügt sogleich eine Entschuldigung hinzu. Die Berliner Kragenbären seien eben schon sehr alt. Plutina feiert nächsten Dezember ihren 30. Geburtstag, ein Methusalem-Alter für so einen Bären. Und Sohn Pluto ist auch schon stattliche 18. Das erklärt, warum es mit dem Nachwuchs nicht klappt und wohl nie klappen wird. Zwar paaren sich die beiden, das Inzesttabu schnöde missachtend, gelegentlich, aber Plutina ist eben eine alte Dame.

Ohnehin stürzt sich der Kragenbär nur einmal im Jahr in sexuelle Aktivitäten, weshalb sich der Dichter Robert Gernhardt eine allzu große dichterische Freiheit herausgenommen hat, als er reimte: „Der Kragenbär, der holt sich munter/einen nach dem andern runter.“ Das ist besonders im Fall Pluto ziemlich übertrieben. Denn auch dazu wäre er vermutlich viel zu faul.

Weit mehr als Sex lockt ihn süßer Honig, den die Pfleger manchmal auf den Kletterbaum im Gehege streichen. Das können sie allerdings nur tun, wenn sich die Bären zum Schlafen in ihre Steinhöhle zurückgezogen haben, deren Tür dann verriegelt ist. Ansonsten wäre das Betreten lebensbedrohlich.

Aber gefährlich muss so ein Kragenbär, der 1,80 Meter groß wird, wenn er sich auf die Hinterbeine stellt, schon sein. Der Mensch ist ihm nämlich ein arger Feind. In Süd- und Ostasien, seinem natürlichen Lebensraum, gilt der Saft seiner Galle in der Volksmedizin seit 3000 Jahren als Wundermittel. Deshalb werden die Bären gejagt, in speziellen Farmen bewegungsunfähig in enge Käfige gesperrt, und mit einem Katheter wird ihnen dann die begehrte Flüssigkeit abgezapft. Eine grausame Prozedur. Etwa 10 000 Tiere sollen so in Gefangenschaft gehalten werden. Deshalb gelten sie in ihrem Bestand als gefährdet.

Da haben es Pluto und Plutina vergleichsweise gut. Niemand will ihnen an die Galle, und in ihren Berliner Jahren haben sie sich einen ordentlichen Wohlstandsbauch angefressen, der schwer zwischen ihren Beinen baumelt. Keine Wampe, sondern eine sogenannte Wamme tragen sie um ihren Hals und das Kinn herum. Einen stark behaarten, auffälligen Fettring. Der dem Kragenbär seinen Namen gab.

KRAGENBÄR IM ZOO

Lebenserwartung: Der weltweit älteste Kragenbär wurde sagenhafte 43 Jahre alt – „Mäuschen“ im Berliner Zoo

Fütterungszeiten:  Nicht festgelegt. Der Kragenbär frisst immer und alles. Er ist ein „Gemischtköstler“

Interessanter Nachbar: Lippenbär, Braunbär, Warzenschwein

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