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2005 kam Angela Merkel in Bayreuth ins Schwitzen. Der Bayrische Rundfunk retuschierte das Foto später.

© picture alliance / AP Photo

Das Problem aluminiumfreier Deos: Salz auf unserer Haut

Er galt als ausgerottet: der Schwitzfleck! In diesem Sommer kehrt er zurück. Eine Expedition in die Epidermis.

Termin, U-Bahn, Besprechung, Mittagessen, Telefonat, Besprechung ... Irgendwann am Nachmittag dann ist klar, dass etwas nicht funktioniert.

Man riecht es, oder?, sagt sie. Der Blick geht ängstlich in Richtung Armbeuge.

Jepp, sagt er.

Wie peinlich, sagt sie. Ich muss doch gleich nochmal in eine Besprechung.

Wechselst du halt die Bluse, sagt er.

Schrott-Deo!, sagt sie. Ich geh mich mal umziehen.

Berlin. Großraumbüro. Sommer 2016. Einer der heißeren Tage. Draußen 30 Grad, drinnen gefühlt 40. Die Hitze mag alle die erfreuen, die im Freibad planschen dürfen. Viele Menschen jedoch, die stattdessen in unklimatisierten Agenturen oder überfüllten Bussen sitzen, machen in diesen Tagen erstmals die Erfahrung, dass ihre neuen, aluminiumsalzfreien Deos unter Einsatzbedingungen ihren Dienst versagen.

Seit zwei Jahren wird offiziell vor Aludeos gewarnt

Nachdem das Bundesinstitut für Risikobewertung 2014 empfohlen hat, die Finger von Aludeos zu lassen, weil der Stoff im Verdacht steht, Brustkrebs oder Alzheimer zu fördern, wechselten immer mehr Menschen ihr Deodorant. Nun ist der Absatz von alufreien Produkten erstmals mit dem von aluhaltigen gleichgezogen – und damit kehrt ein Problem zurück, das lange als besiegt galt. Plötzlich wird wieder sicht- und riechbar geschwitzt.

Den Winter über und im milden Frühling merkten die meisten keinen Unterschied. Doch mit den schwülen Temperaturen beweist sich in vielen überfüllten Kantinen wieder die zeitlose Gültigkeit des Bibelspruches „Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen“. Nur warum funktionieren die neuen Deos nicht richtig?

Zuerst die Grundlagen. Warum schwitzt der Mensch überhaupt? Die kurze Antwort: damit wir keinen Hitzekoller bekommen. Die ausführlichere gibt der Berliner Dermatologe Martin Miehe: „Der menschliche Körper arbeitet mit einer Durchschnittsbetriebstemperatur von 37 Grad“, sagt er. Heißt: Egal wie warm es draußen ist, innen bleibt die Temperatur konstant. „Durch Schwitzen gibt der Körper Hitze ab, die durch Anstrengung oder Sonnenstrahlen im Körper entsteht.“ Die meisten Säugetiere machen das so. Gleichwarm nennt man dieses Modell in der Biologie.

Schwitzen ist ein evolutionärer Vorteil

Evolutionär ist das von Vorteil. Organismen, deren Körper auf diese Weise arbeiten, sind ständig einsatzbereit. Wechselwarme Tiere, wie beispielsweise Eidechsen, die ihre Körpertemperatur der Umgebung anpassen, verlieren bei Kälte plötzlich rapide an Agilität. Der Frühmensch, der auch im Winter Mammuts jagen musste, wäre so wohl verhungert.

Was evolutionär sinnvoll ist, muss aber noch lange nicht gesellschaftlich unproblematisch sein. Auch wenn jeder schwitzt, sehen darf es keiner. Wer außerhalb klar definierter Grenzen (Sauna, Strand, Fitnessstudio) gegen die Regel verstößt, wird gemobbt wie Jogi Löw, der nach dem EM-Spiel gegen die Ukraine mit schweißnassen Achseln die erste Seite der „Bild“ schmückte. Jenseits von Sex oder mit Sex assoziierten Orten wie Diskotheken (man denke an „Gonna make you sweat“ von C+C Music Factory oder Inner Circles „Sweat (A La La La La Long)“) symbolisiert Schweiß Stress und Unsouveränität, wie einem jeder Karriereberater bescheinigt. Wundert es da tatsächlich, dass sich die halbe Bevölkerung aus Angst vor Schmach potenziell giftige Wirkstoffe unter die Arme schmiert?

Technisch, beziehungsweise physiologisch, funktioniert Schwitzen so, dass die Durchblutung der Haut verstärkt wird, erklärt Miehe. Dadurch gelangt die Hitze an die Körperoberfläche. Das vegetative Nervensystem sorgt dafür, dass Flüssigkeit austritt, diese verdunstet, das führt zu einem Kühleffekt.

Wie bewertet der Experte die Risiken, und was für Alternativen gibt es?

Sportler auf dem Platz dürfen schwitzen, wenn die Trainer am Spielfeldrand es tun, landen sie am Tag danach auf der Titelseite der "Bild-Zeitung".
Sportler auf dem Platz dürfen schwitzen, wenn die Trainer am Spielfeldrand es tun, landen sie am Tag danach auf der Titelseite der "Bild-Zeitung".

© picture alliance / dpa

Insgesamt besitzt der Mensch mehr als drei Millionen Schweißdrüsen, die nochmal zwischen ekkrinen und apokrinen unterschieden werden. Ekkrine geben nur Schweiß ab, apokrine auch noch Pheromone – Botenstoffe, die Informationen über ein Individuum transportieren. Tiere kommunizieren darüber Paarungsbereitschaft oder signalisieren Gefahren. Wie wichtig Pheromone beim Menschen sind, ist allerdings umstritten, sagt Miehe.

Hier aber geht es um den normalen Schweiß, und der besteht fast vollständig aus Wasser. Darin gelöst sind winzige Anteile von Elektrolyten, Aminosäuren oder auch Zucker. Frischer Schweiß ist damit geruchlos. Zu müffeln beginnt es, wenn auf der Haut lebende Bakterien beginnen, lange Fettketten in kurze wie Buttersäure aufzuspalten. Die stinken – und das ist gesellschaftlich noch schlimmer, als beim Schwitzen erwischt zu werden. Stinken, das ist gleichbedeutend mit sozialer Isolation.

Der Kuli war die Inspiration für den Deoroller

Gegen den Schweißgeruch vorzugehen ist deshalb keine Erscheinung der Neuzeit. Lange bevor der Bayerische Rundfunk im Jahr 2005 die Schweißflecken von Angela Merkel beim Besuch der Bayreuther Festspiele in vorauseilendem Gehorsam retuschierte, verwendeten die alten Ägypter Alaune, kristallisierte wasserhaltige Salze aus Kalium und Aluminium. Griechen und Römer rieben sich mit Duftölen ein. Im 19. Jahrhundert kam Ammoniak zum Einsatz. Ab 1931 vermarktete die Firma Bristol Myers ein Deo auf der Basis von Zinksalbe. Nach dem Zweiten Weltkrieg dann erfand die amerikanische Chemikerin Helen Barnett Diserens den Deoroller. Inspiration fand sie angeblich beim Kugelschreiber. Bereits damals arbeiteten die Hersteller mit Aluminiumchlorid, und das bringt uns nun zurück ins überhitzte Großraumbüro.

Deo ist nämlich nicht gleich Deo. Deos mit Aluminiumchlorid (eigentlich Aluminiumchlorid-Hexhydrat, kurz ACH) funktionieren anders. Deshalb haben sie auch einen besonderen Namen. Aludeos heißen Antitranspirantien. Der Hauptwirkstoff in alufreien Deos ist Alkohol. Dieser tötet Bakterien, was eine Zersetzung der Fette erschwert. Deos verhindern also nicht das Schwitzen, sondern nur die Geruchsbildung – für eine Weile. Denn alle Bakterien erwischt der Alkohol nicht.

Wie Stöpsel für die Schweißporen

Antitranspirantien hingegen reagieren mit den Eiweißen in der Haut, und verhindern, dass der Schweiß überhaupt an die Oberfläche dringt. „Das kann man sich vorstellen, als würden lauter kleine Stöpsel in die Schweißporen gestopft“, sagt Miehe. Dass der Schweiß in der Haut bleibt, sei nicht gefährlich, weil die Deos ja nur lokal eingesetzt würden.

Als das Bundesinstitut für Risikobewertung im Unwettersommer 2014 seine Empfehlung aussprach, verfasste eine Autorin vom „Zeit Magazin“ noch eine Kolumne darüber, wie frustrierend es war, ein Deo ohne Alusalze zu finden. Diese Zeiten sind definitiv vorbei.

Besuch in einer dm-Filiale in Berlin-Mitte. Fünf Regalmeter mit Deos sind im Angebot. Roller, Sprays, Cremes ... An jedem zweiten Preis prangt ein gelb hinterlegter Hinweis: „Aluminiumfrei“.

Tatsächlich gibt es eine verstärkte Nachfrage, bestätigt Stephan-Thomas Klose, Sprecher der Drogeriekette Rossmann. Ab Herbst 2014 war fast jede Marke mit mindestens einer alufreien Variante auf dem Markt. Heute enthalte so gut wie jede Neuvorstellung kein ACH mehr. Dafür fliege ein Produkt mit Aluminium aus dem Regal. Was den Verkauf angeht, lägen Deos und Antitranspirantien inzwischen annähernd gleichauf.

Sind sie jetzt gefährlich? Oder nicht?

Bleibt die Frage, ob die Alusalze jetzt gefährlich sind oder nicht. Kurze Antwort: „Man weiß es nicht“, sagt der Dermatologe Miehe. Auch wenn so manche Seite im Internet etwas anderes behauptet, ob Aluminium wirklich Nervensystem, Knochenbau und Fortpflanzungsfähigkeit beeinträchtigt, ist nicht langfristig erforscht. „Es gibt keine Studie, die das erwiesen hat.“

Das Bundesinstitut für Risikobewertung empfiehlt, pro Woche nicht mehr als ein Milligramm Aluminium pro Kilogramm Körpergewicht aufzunehmen. Weil Alu allerdings nicht nur in Deorollern steckt, dürften die meisten Menschen diese Schwelle bereits dank Trinkwasser, Zahnpasta, Lippenstiften oder Konservierungsstoffen überschreiten. Nur, wer misst das schon?

Im Zweifelsfall also sei die Empfehlung, zu sparen, wo es geht, natürlich richtig, sagt Miehe. Genau wie der Hinweis, sich nicht direkt nach dem Rasieren mit Aludeos zu behandeln. Durch kleine Verletzungen könnte das ACH schneller in den Körper gelangen. Könnte. Auch ob und wie das Salz eingelagert wird, ist nicht abschließend erforscht.

Der Fachmann rät zu Pragmatismus

Und jetzt? Der Experte rät zu Pragmatismus. Bevor die Lebensqualität durch starkes Schwitzen leide, sollten die Leute ruhig ein Deo mit Aluminiumchlorid benutzen. „Sie schmeißen ja jetzt auch nicht ihre Alutöpfe weg.“

Alternativen gibt es einige. Ganz Hartgesottene können sich die Schweißdrüsen operativ entfernen lassen. Wem das zu radikal ist, der findet im Internet zahlreiche Rezepte für hausgemachte Deos. Eins lautet so: drei Teelöffel Kokosöl mit zwei Teelöffeln Natron und zwei Teelöffeln Kartoffelstärke zu einer Creme verarbeiten. Andere mischen Kokosöl und Backpulver. Wieder andere schwören auf verdünnten Apfelessig ... Das kann funktionieren, muss aber nicht.

Die einfachste Lösung bleibt damit wohl die naheliegendste: waschen – und Wechselklamotten einstecken.

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