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Der Grüne Finanzexperte Gerhard Schick: „Mein Team und ich, wir sind unser Geld wert“

Er ist katholisch, er glaubt an den Markt und nennt sich selbst einen Ordoliberalen. Trotzdem wurde Gerhard Schick zum linken Störenfried. Wie kam das denn?

Der Co-Chef der Deutschen Bank, Jürgen Fitschen, hat Sie mal in der Aufregung bei einer Debatte zu einer Vorstandssitzung eingeladen, damit Sie lernen, wie’s da zugeht. Waren Sie von dem Gremium sehr beeindruckt?

Ich war gar nicht dort, die Einladung wurde nie eingelöst. Herr Fitschen wollte damit ja nur unterstellen, dass Kritiker wie ich keine Ahnung haben.

Immerhin sieht er Sie als kompetenten Gesprächspartner. Das muss Ihnen doch schmeicheln.

Ich werde ernst genommen, weil meine Vorschläge machbar und plausibel sind, auch wenn sie Herrn Fitschen oder anderen Bankern nicht passen.

Da gelten Sie als Ausnahme im Bundestag. Kaum ein Abgeordneter verstehe so viel von Finanzen wie Sie, lobte die „Frankfurter Allgemeine“, und das „manager-magazin“ schrieb, Sie würden sich in komplexen Themen auskennen wie kein anderer. Für einen Politiker, der gegen die „Machtwirtschaft“ kämpft, sind das überraschende Komplimente .

Vielleicht wird honoriert, dass ich nicht billiges Banker-Bashing betreibe, sondern mich in die Materie einarbeite, um auf die Missstände hinzuweisen und dann praktikable Reformen voranzubringen.

Ihre Texte lesen sich eher nüchtern, Worte wie „Raubtierkapitalismus“ oder „Spekulanten“ kommen da nicht vor.

Ich will nicht nur die erreichen, die sowieso protestieren. Die viel gefährlichere Kritik ist es doch, nachzuweisen, wie die Finanzindustrie uns über den Tisch zieht oder die Agrarbranche so läuft, dass es gar nichts mehr mit Marktwirtschaft zu tun hat. Den Menschen wird vorgegaukelt, die Wirtschaft folge den Regeln des Marktes, während gleichzeitig Milliardensubventionen an die Großbanken fließen und Großunternehmen wie etwa der Allianz-Konzern direkten Zugriff auf die Politik haben. Meine Kritik zwingt die Verantwortlichen, sich damit auseinanderzusetzen, die Fakten sind meine Freunde.

Zum Beispiel?

Die Sache mit den Bewertungsreserven bei den Lebensversicherungen. Ende 2012 sollte die Beteiligung der Kunden an diesen Reserven abgeschafft werden. Da ging es insgesamt um mehrere Milliarden Euro und für viele Kunden um vier- bis fünfstellige Beträge. Aber das wurde gar nicht öffentlich erklärt. Ich habe nachgefragt. Und als die Fakten bekannt wurden, kam eine große Debatte in Gang, die sogar den CDU-Parteitag erreichte. Das Gesetz wurde gestoppt. Da braucht’s keine Kraftausdrücke, Lautstärke allein ist kein Argument.

Sie bezeichnen sich selbst als Freund der Marktwirtschaft und „linken Ordoliberalen“. Das klingt so stimmig wie „protestantischer Atheist“.

Der Ordoliberalismus sagt nur, wir überlassen die Wirtschaft nicht sich selbst, wir machen auch keinen Sozialismus, wo der Staat alles macht, sondern es gibt eine Arbeitsteilung. Die Unternehmen produzieren im Wettbewerb, und der Staat setzt die Regeln dafür. Das heißt: Er muss mit starker Hand dafür sorgen, dass der Wettbewerb nicht durch Marktmacht von Großkonzernen außer Kraft gesetzt wird.

Sagen das nicht alle Parteien im Bundestag?

Aber nur in der Theorie. Praktisch tun sie nichts dagegen, dass Staat und Wirtschaft viel zu eng verflochten sind und die Macht den Markt aushebelt. Für diese Kritik kriege ich eher Applaus von links, zumal ich auch sage, dass diese Machtkonzentration natürlich die ungerechte Verteilung von Einkommen und Vermögen verstärkt.

Das klingt nach linker Verschwörungstheorie.

Ach was. Wenn etwa Großbanken de facto einen Bestandsschutz genießen, also vom Staat gerettet werden, nachdem das Management sie an die Wand gefahren hat, dann nützt das Bankaktionären und Anlegern in Bankanleihen, während die übrige Bevölkerung die Lasten trägt. Da findet Verteilung von unten nach oben statt. Darum bieten Ordoliberale wie Walter Eucken, der geistige Begründer der sozialen Marktwirtschaft, nützliche Analyseansätze auch für Linke.

Da sind Sie aber auch nicht auf geradem Weg hingekommen. Nach Ihrer Promotion haben Sie für die Stiftung Marktwirtschaft gearbeitet, eine Denkfabrik der Neoliberalen. Viele werden mit dem Alter konservativ. Warum ist es bei Ihnen umgekehrt?

Ich habe viel dazugelernt. Die Macht der Finanzindustrie wird im Studium nicht gelehrt. Das habe ich erst in der politischen Praxis erfahren. Aber ich habe mich auch während meiner Zeit bei der Stiftung Marktwirtschaft schon für mehr Steuergerechtigkeit engagiert.

"Wo der Kunde nicht verhandeln kann, müssen Fachleute das aushandeln"

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Gerhard Schick, Grüner Finanzexperte

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Ihre Parteifreunde in Ihrem Landesverband Baden-Württemberg haben kein Problem mit mächtigen Konzernen. Die kungeln gern mit Daimler, Bosch und Porsche.

Auf Landesebene geht es um andere Ansätze. Bei der Agrarbranche und im Finanzsektor sind wir uns einig, dass die Macht der Unternehmen zurückgedrängt werden muss. Und das gilt auch für die Informationswirtschaft. Google, Facebook und andere sammeln persönliche Daten ohne Kontrolle, dagegen wollen wir vorgehen.

Man muss ja nicht zu Google gehen oder Gammelfleisch kaufen. Würde der Ordoliberale nicht sagen, das sei Sache der Verbraucher?

Ja, ja, die Sache mit dem mündigen Verbraucher. So wenig, wie ich am Dönerstand erkennen kann, ob es Gammelfleisch ist, so wenig können die meisten erkennen, ob sie mit einem Finanzprodukt geleimt werden, oder ob Internetfirmen Daten missbrauchen. Darum ist es Aufgabe des Staates, die Regeln so zu setzen, dass alle Verbraucher auch informierte Entscheidungen treffen können.

Die Informationen gibt es doch längst.

Ach ja? Und Sie lesen bei jedem Einkauf im Internet die allgemeinen Geschäftsbedingungen, die oft viele Seiten lang sind? Das macht doch fast niemand, auch ich nicht. Wenn ich Produkte bestellen will, setze ich halt meinen Haken bei „stimme zu“. Ich bin sicher, Sie machen es genauso. Da, wo der Kunde gar nicht verhandeln kann, wie bei den AGB, da müssen Fachleute das aushandeln, die das Interesse der Verbraucher vertreten.

Hat dann Google nicht im Zweifel einen getarnten Lobbyisten im Ministerium oder im Parlament, der die Regeln selbst schreibt?

Eben, der Staat ist keineswegs per se gut, sondern muss auch grundlegend anders organisiert werden. Der Einfluss großer Unternehmen ist viel zu stark. Eine Maßnahme dagegen wäre die Einführung des juristischen Fußabdrucks.

Bitte was?

Bei Gesetzesvorschlägen sollte klar gekennzeichnet sein, welche Passagen von wem formuliert wurden.

Die größte nicht staatliche Macht übt die Finanzbranche aus. Haben Sie nach dem Crash von 2008 nicht auch erwartet, dass deren ungeheurer Einfluss gebrochen wird?

Es hat einige Reformen gegeben. Die großen Banken müssen heute doppelt so viel Eigenkapital haben, sind also sicherer, und die Aufseher machen ihren Job besser, schon weil sie jetzt endlich europaweit organisiert sind. Doch gleichzeitig sind der Finanzmarkt und Großbanken wie JP Morgan oder Société Générale heute noch größer als 2008. Auch die Deutsche Bank durfte sich die Postbank mit Millionen von Kunden einverleiben.

2009 sagte sogar Kanzlerin Merkel, „der wichtigste Punkt“ sei, dass „Banken nie mehr so groß sein sollen, dass sie Staaten erpressen können“. Warum hat das nicht mal die mächtigste Frau Europas erreicht?

Angela Merkel sagt immer das, was die Menschen gerade hören wollen. Während sie zum G-20-Gipfel solche Sätze verbreitete, haben ihre Leute im EU-Ministerrat das Gegenteil betrieben und sich gegen eine klare Untergrenze beim Eigenkapital der Banken ausgesprochen. Mit solch einer verbindlichen Schuldenbremse für Großbanken etwa in Höhe von zehn Prozent aller Anlagen hätte man das Geschäftsmodell des „too big to fail“ beenden können, weil die Banken ihre Risiken dann nicht mehr auf die Gesellschaft abwälzen könnten.

Wie erklären Sie sich den Widerspruch?

Beide großen Parteien folgen immer noch der Devise, was gut ist für die Deutsche Bank, ist gut für Deutschland. Und es fehlt auch eine kritische Gegenöffentlichkeit. Bei Anhörungen im Finanzausschuss haben wir oft nur Branchenvertreter dort sitzen, es braucht mehr kritische Expertise.

In Ihrem Buch ziehen Sie folgende Bilanz: „Der Staat ist gegenüber Unternehmen zu schwach und das Parlament gegenüber der Regierung.“ Darum hätten große Konzerne die besten Chancen, sich durchzusetzen. Lässt sich das überhaupt ändern?

Sicher. Zuerst brauchen wir eine wirklich unabhängige Kartellbehörde in Europa, die das Recht hat, große Unternehmen kleiner zu machen, zu entflechten, und das ohne jahrelange Prozesse gegen ein Heer von Anwälten. Wenn Amazon seine Übermacht nutzt, um andere Anbieter mit Dumpingpreisen zu verdrängen, dann muss das unterbunden werden. Sonst ist fairer Wettbewerb unmöglich. Gleichzeitig muss das Parlament die Regierung besser kontrollieren können.

Können Sie doch …

Eben nicht. Ich sag’s nicht gern, aber ich kann manche Steuergesetze nicht wirklich beurteilen. Da kommen aus dem Ministerium irgendwelche Änderungsanträge in letzter Minute, und es gibt niemanden, den ich fragen kann, weil da keine parteiunabhängigen Experten bereitstehen, so wie etwa im US-Kongress. Die Kollegen dort haben sogar eine Abteilung zur Haushaltskontrolle, das „budget office“, das brauchen wir auch.

"Die Wall-Street-Banken bestreiten einen großen Teil der Wahlkampfkosten"

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Gerhard Schick, Grüner Finanzexperte

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Die Macht der Konzerne hat auch der US-Kongress nicht im Griff.

Ja, weil die Politik dort viel zu abhängig von deren Spenden ist. Allein die Wall-Street-Banken bestreiten einen großen Teil der Wahlkampfkosten. Darum sind wir Grünen ja auch für ein Verbot von Unternehmensspenden an Parteien.

Wie passt das zusammen mit der 100 000- Euro-Spende des Arbeitgeberverbandes Südwestmetall für Ihren Landesverband? Da sind sogar Rüstungshersteller Mitglied.

Wir haben das Verbot nicht durchsetzen können.

Sie hätten das Geld ja nicht nehmen müssen.

Das ist umstritten, stimmt. Die Politik ändert sich allerdings erst, wenn eine solche Regel für alle Parteien gilt. Und dazu brauchen wir drittens unbedingt ein verpflichtendes Lobbyregister, wo alle Agenturen, Kanzleien und Verbände nennen müssen, für wen und mit welchem Budget sie im Bundestag und den Ministerien werben. Leider verweigert die Union das rigoros.

Sie haben geschrieben, „die Glaubwürdigkeit der Politiker und Parteien liegt noch unter der von Bankern“. Erfahren Sie diese Verachtung auch selbst?

Das ist oft sehr diffus. Manchmal sagen Bekannte, Politiker seien doch alle faule Säcke, und drei Sätze später heißt es dann, Mensch, du bist ja dauernd unterwegs, gönn’ dir doch mal eine Pause.

Obwohl Sie gesund leben, hatten Sie vergangenes Jahr einen Herzinfarkt. Viele ändern nach so einem Warnschuss ihr Leben, Sie machen weiter. Ist die politische Mission einen frühen Tod wert?

Ich habe da eine erbliche Belastung unterschätzt. Aber machen Sie sich keine Sorgen, ich bin auch bei meiner Gesundheit konsequent.

Sie sind in Schwaben katholisch aufgewachsen und haben sogar eine Ausbildung als Kirchenmusiker. Hat Ihnen die Religion in dieser existenziellen Krise nach dem Infarkt geholfen?

Das ist meine Privatsache. Aber mein politisches Engagement wäre ohne meinen Glauben nicht denkbar.

An einem wichtigen Punkt wird wirtschaftliche Macht jetzt zurückgedrängt: Die Industrieländer schaffen das Bankgeheimnis ab, und die Steuerflucht der Reichen soll ein Ende haben. Wird da jetzt für Gerechtigkeit gesorgt?

Zumindest gibt es Fortschritte. Entscheidend war, dass es gelungen ist, das Steuerabkommen mit der Schweiz zu verhindern. Minister Schäuble wollte dort den Steuerbetrügern im Tausch für anonyme Nachzahlungen Amnestie gewähren und das Bankgeheimnis damit erhalten. Das haben wir mit den rot-grünen Stimmen im Bundesrat gestoppt. Sonst wäre zum Beispiel Uli Hoeneß nie aufgeflogen.

Bei den Konzernen geht die Steuerflucht aber munter weiter. Apple zahlt auf seine Gewinne in Europa von rund zehn Milliarden Euro pro Jahr nicht mal zwei Prozent Steuern, und Starbucks erfreut sich in Deutschland an einem Steuersatz von null Prozent, weil alle Gewinne in Holland versteckt werden. Jeder brave Steuerzahler empfindet das als unerträglich. Wer hat Schuld daran?

Das ist schlechte europäische Politik. Die EU-Regierungen wissen schon lange, was da in Luxemburg, Irland und Niederlande passiert. Nur will da kein Minister dem anderen in die Suppe spucken.

Die OECD stellte fest, Deutschland entgehen durch die Steuerflucht 160 Milliarden Euro im Jahr, und stets jammern die Finanzminister über die Verschuldung. Warum können sie sich dann nicht einigen?

Das ist immer dasselbe Problem. Die kleinen Staaten verdienen ja daran, dass sie den Konzernen Steuerflucht bieten. Das abzuschaffen, würde zwar dem europäischen Gemeinwohl dienen, aber die Minderheit kann das verhindern, weil jeder EU-Staat in Steuerfragen ein Vetorecht hat. Das Gleiche erleben wir mit den Bundesländern, die zum Teil bei der Steuerprüfung Personal sparen, um damit die Wirtschaft zu fördern, obwohl das dem Staat insgesamt schadet.

Sie haben geschrieben, „ich erfahre tagein, tagaus, dass die Sachkenntnis nie weitreichend genug sein kann und auch nicht zu mehr Einfluss führt. Ich spüre tagtäglich meine Ohnmacht angesichts der Machtstrukturen“. Das klingt gar nicht gut.

Das ist als Signal gemeint: Glaubt nicht, dass ein paar Leute im Bundestag eure Probleme allein lösen können. Das sieht man doch an vielen Punkten. Wenn nicht mutige Leute die Dokumente zu Lux-Leaks über die Steuerflucht den Medien gegeben hätten, dann wäre da nie was passiert. Auch ich bin auf die Hilfe der Bürger angewiesen.

Wofür zum Beispiel?

Ich habe einen Vorschlag gemacht, wie man bei der Abwicklung der Pleitebank Hypo Real Estate viel Geld sparen kann. Davon hat die Regierung einen Teil umgesetzt und so knapp 300 Millionen Euro eingespart. Das heißt, mein Team und ich sind unser Geld wert. Das ging aber nur, weil ein fachkundiger Bürger mir gesagt hat, Herr Schick, da ist ein Thema. Solche Leute, die sich mit ihrer Sachkunde fürs Gemeinwohl engagieren, braucht es. Allein ist das im Bundestag nicht zu schaffen.

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