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Die Affäre mit zerstörte fast ihre Karriere. Hier eine Szene aus dem Film "Marie Curie", der gerade in den Kinos läuft.

© P’Artisan Filmproduktion

Die erste Nobelpreisträgerin: Eine skandalös kluge Frau

Marie Curie revolutionierte die Physik – dennoch musste sie um Anerkennung kämpfen. Ein experimentelles Leben.

Von Andreas Austilat

Gerade noch war Elektrizität das ganz große Ding gewesen. Nun das: Es gab offenbar eine weitere geheimnisvolle Kraft, die aus dem scheinbar unteilbaren Innersten der Materie zu kommen schien. Und das widersprach den Gesetzen der Physik, wie sie die Welt des 19. Jahrhunderts kannte. Wenn man Holz verbrennt oder Wasser zum Kochen bringt, dann wird Energie frei, natürlich. Aber wie kann Materie Energie hervorbringen, ohne sich dabei zu verändern?

Diese Frage wurde zum großen Thema auf dem Physikalischen Kongress im Rahmen der Pariser Weltausstellung im Jahre 1900. Conrad Röntgen war als erster auf die mysteriösen Strahlen gestoßen. Er konnte sie nicht richtig erklären, nannte sie zunächst x-Strahlen und durchleuchtete die Hand seiner Frau. Henri Becquerel erkannte, dass Uran ähnliche Strahlen erzeugte, die nicht zum Spektrum des sichtbaren Lichts gehörten.

Doch es war das Ehepaar Curie, das an dieser Stelle weiterging und dem Phänomen einen Namen gab, es zu seinem Lebensthema machte – wobei das Leben des einen da schon nicht mehr lange währen sollte. Lange genug immerhin, bis die beiden erkannten, dass ihre Strahlen Produkt eines Zerfallsprozesses im Innersten sind. Sie nannten es Radioaktivität, ein Schlagwort, das im anbrechenden 20. Jahrhundert ein neues physikalisches Zeitalter ankündigte. Denn dass es um nichts weniger ging, würde alle Welt schon noch sehen. Spätestens nach knapp 50 Jahren, als die erste Atombombe explodierte.

Zerstört Radium nicht nur Tumoren, sondern auch Ehen?

Natürlich konnten die Zeitgenossen der Jahrhundertwende solche Nebenwirkungen nicht ahnen. Auch nicht Marie und Pierre Curie, die neben der Radioaktivität zwei neue Elemente entdeckten, Polonium und Radium, die hundert- wenn nicht tausendfach mehr strahlten als Uran. Es gelang ihnen in einem Pariser Hinterhofschuppen, in dem der Regen durch das marode Glasdach tropfte, eine „Kreuzung zwischen einem Stall und einem Kartoffelkeller“ nannte ein deutscher Chemiker das Labor. Schon bald war der Schuppen derart verstrahlt, dass er hätte gesperrt werden müssen, wenn man es nur gewusst hätte.

Die beiden waren also auf einem gefährlichen Weg, der jedoch direkt in die Zukunft führte, während die Öffentlichkeit erst einmal ein altes Thema verdauen musste.

Ein Ehepaar? Mann und Frau? Und sie wusch nicht etwa ihm nur die Wäsche, sie war es, die das Wort „Radioaktivität“ als erste in das gemeinsame Arbeitsbuch schrieb! Das allein ist schon einen Aufruhr wert, in einer Welt, in der ein seinerzeit geschätzter Schriftsteller namens Octave Mirbeau befand, eine Frau habe keinen Verstand, sondern ein Geschlecht. Warum will die auch noch den Doktor machen?

Die Zeitungen fanden schließlich ihre ganz eigene Definition für das, was da strahlte. Die Kraft der Liebe nämlich: „Denn das Feuer des Radiums, das so geheimnisvoll brennt, hat eben ein Feuer im Herzen eines Wissenschaftlers entzündet, der das Radium hingebungsvoll studiert; und die Frau und die Kinder dieses Wissenschaftlers sind in Tränen aufgelöst…“, schrieb 1911 „Le Journal“ als der Skandal seinem Höhepunkt entgegenstrebte. Für das Publikum war nun klar: Radium zerstört nicht nur Krebstumoren, wie man langsam begriff. Es vernichtet auch Ehen.

Maria wuchs in Polen auf, mit 24 ging sie nach Paris

Das ist das Spannungsfeld, in dem sich die Curies und darin vor allem Marie Curie bewegten: zwischen 1897, dem Jahr, in dem das Wort Radioaktivität erstmals niedergeschrieben wurde, und 1911 – als aufgebrachte Pariser der inzwischen als Ehebrecherin gebrandmarkten Marie Steine ins Fenster warfen. Kein Wunder, dass dieses Leben bereits ihre Generation aufregte. Da war genug Achterbahn drin, dass es auch noch für Emotionen bei den Nachgeborenen reicht.

Seit dieser Woche ist dieses Leben wieder im Kino zu besichtigen. Das heißt, eigentlich beschränkt sich die Regisseurin Marie Noëlle, in Deutschland lebende Französin, in ihrem Film „Marie Curie“ auf eben diese wenigen Jahre, die aufregend genug waren. Ohne Probleme wäre noch mehr drin gewesen in dieser unglaublichen Person, einer im wesentlichen alleinerziehenden Mutter, die als erste Frau einen Lehrauftrag an der Sorbonne erhielt, als erste einen Nobelpreis für Physik und als einzige Frau noch einen zweiten dazu, den für Chemie.

Natürlich machte sie ihren Doktor, doch nicht nur den, sondern auch noch einen LKW-Führerschein. Im Film übrigens wird Marie Curie von der polnischen Schauspielerin Karolina Gruszka verkörpert. Das passt. Polen war die erste Heimat der Curie, die als Maria Salomea Skłodowska 1867 in Warschau geboren wurde. Mit 15, ein Jahr früher als damals üblich, legte sie das Abitur ab. Doch damit endete ihre Ausbildung vorerst, mehr war für ein Mädchen im damaligen Europa nicht vorgesehen. Erst recht nicht in Polen, dem zwischen Deutschland, der österreichischen Vielvölkermonarchie und Russland aufgeteilten Land.

Maria lernte in den polnischen „Fliegenden Universitäten“, ein illegales Netzwerk ohne festen Standort, und unterrichtete die Kinder eines Gutsherrn. Erst mit 24 ging sie 1891 nach Paris, begann dort mit dem Studium der Physik. Frankreich zählte zu den wenigen Ländern, in denen das für Frauen möglich war. Doch von den 1800 Studenten der naturwissenschaftlichen Fakultät der Pariser Sorbonne waren damals nur 23 weiblich.

Pierre stellte seine eigene Forschung zurück, um ihr zu helfen

24 war ziemlich alt für einen Studienanfänger. Albert Einstein publizierte mit 26 seinen Aufsatz zur Relativitätstheorie. Doch Marie, wie sie jetzt genannt wurde, schloss ihr Studium nach zwei Jahren als Beste ihres Jahrgangs ab. Und sie lernte einen neun Jahre älteren Doktoranden kennen, der wie sie wenig auf Konventionen gab, sich dafür mehr für Magnetismus interessierte. Zur Hochzeit wünschte sich das Paar nicht den üblichen Hausrat, sondern zwei neue Fahrräder, mit denen sie eine Radtour in die Bretagne unternahmen.

Es war Marie, die die Arbeit an den gerade entdeckten Becquerel-Strahlen aufnahm, und Pierre, der seine eigene Forschung zurückstellte, um ihr zu helfen. Wer dann den größeren Anteil hatte, lässt sich nicht mehr sagen, nur, dass sie ihre Arbeitshefte gemeinsam führten. Marie in ordentlicher Handschrift, Pierre ein wenig krakelig. Beide hatten gegen Widerstände zu kämpfen, mussten den Beweis erbringen, dass es sich bei denen von ihnen entdeckten Elementen Polonium und Radium tatsächlich um neue Substanzen handelte – was in der Wissenschaft ebenso umstritten war wie das Phänomen der Radioaktivität.

Dieser Beweis war nur zu erbringen, wenn es gelänge, reines Radium zu gewinnen. Ein mühsamer Prozess, Marie Curie brauchte vier Jahre, um ein Zehntel Gramm aus einer Tonne Pechblende, dem Abfall eines Uranbergwerks, zu gewinnen.

In welcher Gefahr sie schwebten, ahnte keiner. Marie unterbrach die Arbeit weder während ihrer Schwangerschaft, noch nach der Geburt ihrer Tochter. Neben den Eintragungen ins Arbeitsheft notierte sie ein Rezept für Johannisbeer-Gelee und die Fortschritte ihrer Tochter. So schrieb sie eine Woche nach der Entdeckung des Poloniums, der Name war eine Referenz an die alte Heimat, „Irène geht schon sehr gut auf allen Vieren. Sie sagt Gogli, gogli, go.“

Die wohl ersten Strahlenopfer

Marie Curie im Labor, 1906, dem Todesjahr Pierre Curies.
Marie Curie im Labor, 1906, dem Todesjahr Pierre Curies.

© imago/United Archives Internatio

Pierre fixierte derweil ein Quantum Barium für Stunden auf seinem Arm und beobachtete anschließend eine Rötung, die sich binnen Tagen in eine schwärende Wunde verwandelte. Es dauerte 42 Tage bis die Wunde einigermaßen verheilt war. Beide Curies klagten immer wieder über Abgeschlagenheit und entzündete Fingerspitzen. Sie führten das auf Überarbeitung zurück. Tatsächlich waren sie wohl die ersten Strahlenopfer.

Umso seltsamer, dass Radium schon bald Karriere als Wundermittel machte, von dem man erwartete, es werde Blindheit, Tuberkulose und natürlich Krebs heilen, könnte in Tinkturen gegen Haarausfall ebenso bedenkenlos verwendet werden, wie als special effect auf der Bühne eines nachtdunklen Varietés. Erst in den 1920er Jahren schwante den Zeitgenossen, welche Gefahren von der Radioaktivität ausgehen kann.

Es war nicht so, dass den Curies Anerkennung verwehrt blieb, auch wenn Pierre zunächst die erhoffte Professur ebenso verpasste, wie im ersten Anlauf die Mitgliedschaft in der Französischen Akademie der Wissenschaften, und Marie nichts anderes übrig blieb als Gymnasiasten zu unterrichten. Marie stand immer unter Druck, beweisen zu müssen, dass sie mehr war als Pierres Assistentin.

Entsprechend wütend war sie dann auch, als in der Zeitung „La Patrie“ ein Interview mit ihr erschien, in dem sie auf die Frage, ob sie denn ähnliche Anerkennung wie ihr Mann erwarte, antwortete „Oh nein, ich bin nur eine Frau, eine einfache Frau.“ Maries Ärger war verständlich, denn sie hatte „La Patrie“ nie ein Interview gegeben.

Erneut stand die Frage im Raum, ob sie Pierre nicht bloß geholfen hatte

Rückhalt bekam sie von Pierre. Als er erfuhr, er würde vielleicht für den Nobelpreis nominiert, machte er deutlich, er könne das nur akzeptieren, wenn er gemeinsam mit seiner Frau geehrt würde.

So war es denn auch. Das Ehepaar Curie bekam zusammen mit Henri Becquerel 1903 den Nobelpreis für Physik verliehen und wurde damit auf einen Schlag in Frankreich bekannt. Damit hätte alles gut werden können. Doch Pierre verunglückte tödlich. Der Mann, der am Beginn des Atomzeitalters stand, wurde im Quartier Latin von einem Pferdekarren überfahren.

Erneut stand die Frage im Raum, ob sie Pierre nicht bloß geholfen hatte. Marie forschte von nun an gegen diese Unterstellung an. Mit dem Nobelpreis im Rücken bekam sie schließlich die Professur ihres Mannes und hielt als erste Frau Physik-Vorlesungen an der Sorbonne. Gleichzeitig betätigte sie sich als Schulgründerin, denn ihre inzwischen zwei Töchter wollte sie auf keinen Fall dem öffentlichen Schulwesen überlassen, „es wäre besser sie zu ertränken“. Freunde aus Kunst und Wissenschaft unterrichteten fortan die Curie-Kinder und ihre eigenen.

Doch im Grunde galt immer noch das erst im 19. Jahrhundert erfundene Idealbild der Familie. Und eine Frau, mochte sie auch den Nobelpreis haben, sollte nun einmal nicht berufstätig sein.

Als es darum ging, Marie Curie in die Französische Akademie der Wissenschaften aufzunehmen, wurde die Kampagne gegen sie schmutzig. Zu diesem Zeitpunkt war sie bereits Mitglied in der Schwedischen, der Niederländischen, Tschechischen und Polnischen Akademie, sowie in der Amerikanischen Philosophischen Gesellschaft und der Kaiserlich Russischen Akademie in St. Petersburg. In Frankreichs Hort der Naturwissenschaft saß keine Frau. 28 Stimmen entfielen schließlich auf sie, 30 Stimmen auf den Physiker Edouard Branly, einem Wegbereiter der Funktechnik, dessen größter Erfolg freilich schon 20 Jahre zurücklag.

Die Witwe Marie Curie hatte sich verliebt

Für die nationalkonservative Presse war Marie Curie plötzlich eine dahergelaufene Polin mit mutmaßlich jüdischen Vorfahren. Stimmte zwar nicht, aber so konnte man die Dreyfus-Affäre wieder aufwärmen, bei der ein französischer Offizier von der Presse und dem militärischen Establishment zum jüdischen Verräter gemacht worden war, zu Unrecht übrigens.

Wenn es nur das gewesen wäre. Kurz nach der Abstimmung in der Akademie wurde ein weiterer Skandal ruchbar: Die Witwe Marie Curie hatte sich verliebt. In einen Mann. Physiker natürlich. Der war nicht nur vier Jahre jünger, sondern auch noch verheiratet und Vater von vier Kindern. Die Pressekampagne, die dann einsetzte, hätte Marie Curie leicht unter sich begraben können. Vor allem, als ihre Briefe an Paul Langevin dessen Frau in die Hände fielen. Da ging es nicht nur um Liebe, sondern auch um Eifersucht. Marie schrieb ihm, was sie fürchtete: „Tränenausbrüche, denen du so schlecht widerstehen kannst, Tricks, um sie schwanger zu machen. Du musst alldem misstrauen.“

All das flog auf, auch die heimliche Wohnung, die das Paar gemietet hatte. Und als würde das 19. Jahrhundert ewig währen, forderte ihr Paul den Zeitungsherausgeber Gustave Téry zum Duell. Téry, der Marie Curie in seinem Blatt „eine Fremde, eine Intellektuelle, eine Emanze“ genannt hatte. Der Schusswechsel fiel allerdings aus, weil beide Seiten darauf verzichteten, abzudrücken. Diese Affäre hätte beinahe den zweiten Nobelpreis gekostet. Für das Nobelpreiskomitee kam der öffentlich ausgetragene Streit um Liebe, Scheidung und das Sorgerecht der vier Kinder Langevins aber zu spät, der Brief war schon raus. Trotzdem legte die schwedische Akademie ihr nahe, freiwillig zu verzichten. Oder wenigstens nicht nach Stockholm zu kommen. Marie Curie verzichtete nicht. Und sie fuhr selbstverständlich nach Stockholm, um ihren Preis abzuholen.

Die ältere Tochter Irène trat in ihre Fußstapfen

Ein Paar wurden sie und Paul Langevin allerdings nicht mehr. Und es hätte leicht passieren können, dass die Langevin-Affäre ihre Karriere in Frankreich zerrüttet. Wenn nicht der Erste Weltkrieg ausgebrochen wäre, der nun wirklich und endgültig das 19. Jahrhundert beendete. In den Rüstungsfabriken aller beteiligten Nationen war jedenfalls nicht mehr die Rede davon, dass Frauen doch eigentlich an den Herd gehörten.

Marie Curie entwickelte ein fahrbares Röntgengerät, fuhr selbst in einem entsprechend umgebauten Lastwagen an die Front, assistiert von ihrer älteren Tochter Irène, die nach dem Ersten Weltkrieg eine ihrer wichtigsten Mitarbeiterinnen blieb. Weder Marie Curie noch ihre Tochter Irène Joliot-Curie sollten Mitglied in der Französischen Akademie der Wissenschaften werden. Die wählte 1979 erstmals eine Frau in ihre Reihen.

Marie Curie starb 1934 mit 66 Jahren an einer speziellen Form der Anämie, wahrscheinlich eine Folge langjähriger Strahlenbelastung. Sie erlebte nicht mehr, wie ihre Tochter Irène Juliot-Curie 1935 den Nobelpreis für Chemie für die Entdeckung künstlicher Radioaktivität bekam, als zweite Frau überhaupt und gemeinsam mit ihrem Mann Frédéric.

Ein Foto aus glücklicheren Tagen, als das Paar gemeinsam Fahrrad fuhr.
Ein Foto aus glücklicheren Tagen, als das Paar gemeinsam Fahrrad fuhr.

© imago/Leemage

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