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Die  MITFAHRER: Fünf Minuten und kein Ende

Von: Von Berlin nach Hamburg Dauer: 5 Stunden Auto: VW Transporter Insassen: 7.

Ich bin zu spät, ich hasse das, nehme die Stufen am U-Bahnhof Wedding in großen Sprüngen. Nik, der Fahrer, hatte gerade schon angerufen: wo ich denn stecke. Wie unangenehm, ich ahne nicht, dass ich mich noch über die Verspätung freuen werde.

Fünf Minuten nach der verabredeten Zeit komme ich an der Tankstelle an, entdecke den VW Transporter, schüttele, Entschuldigungen murmelnd, sechs Hände und vergesse alle Namen sofort.

Nur Nik habe ich mir gemerkt: Unser Fahrer trägt enge Jeans, ein weißes Hemd und einen langen Zopf. Ich sitze in der Mittelreihe, neben mir ein Ex-Fußballprofi aus Ghana, der zum Spielen nach Griechenland ging und nach einer Knieverletzung jetzt in Berlin in einem veganen Restaurant arbeitet. Neben ihm eine junge Frau, die sich sofort in ihr Buch vertieft.

Hinter uns fängt nach den ersten Minuten Schweigen ein Langhaariger an, mit den beiden Mädchen neben sich zu reden. So erfährt der Bus, dass der Langhaarige bald 18 wird und eine große Party plant. Die beiden Zuhörerinnen sind sicher schon Anfang 20, aber sie lassen sich geduldig von ihm seine Lebensgeschichte erzählen, angefangen von der Patchworkfamilie mit Pflegekindern bis zur letzten Nacht, in der er hart gefeiert hat, sagt er. Nur vier Stunden Schlaf. Viereinhalb hatte sie, sagt die Zuhörerin mit den lockigen Haaren. Die drei seufzen genüsslich.

Der Langhaarige hat gerade einen gewagten Vorstoß unternommen – wollt ihr heute Abend mit zu einer Party kommen? –, da leuchtet vor uns eine Kolonne Warnblinker. Nik bremst, flucht, dreht das Radio auf. Unfall, nur eine Spur befahrbar, sagt der Sprecher, halt, sagt er, jetzt doch Vollsperrung, bekomme ich gerade rein. Kann also dauern. Nik dreht den Motor ab und sich zu mir um. Das sind deine fünf Minuten, sagt er. Ich bin nicht sicher, ob er es ernst meint, aber entschuldige mich sicherheitshalber und krame meine Zeitung aus dem Rucksack, wegen der ich zu spät gekommen bin.

Nach einer Stunde sagt er es noch mal – wir stehen nach wie vor am selben Fleck, nur inzwischen neben dem Wagen. Mittlerweile bin ich mir sicher, dass er es ernst meint und überlege, ob er mir wohl seine Verdienstausfälle in Rechnung stellen will. Der Langhaarige und die beiden Zuhörerinnen lehnen an der Leitplanke. Eine halbe Stunde später fahren wir an einem zerquetschten Metallklotz vorbei, der mal ein Golf war. Ich glaube, das waren wirklich deine fünf Minuten, sagt Nik.

Ich brumme resigniert. Da legt mir die lockige Zuhörerin die Hand auf die Schulter. Weißt du, sagt sie, fünf Minuten früher, und diesesWrack da wären vielleicht wir gewesen. Nik schaut wieder auf die Straße. Frida Thurm

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