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Ramones live 1978 in Hamburg

© picture-alliance / jazzarchiv

Die Ramones und ihr erstes Album: Das Ende der Weicheier

Andere Bands setzten 1976 auf Glitzerlook – sie trugen zerrissene Jeans, und Tonarten waren ihnen egal. Hauptsache es war laut. Über die Ramones aus New York staunten sogar Englands Punks.

An einem frostigen Februarmorgen des Jahres 1976 betreten in Manhattan vier Männer in zerrissenen Hosen einen gewaltigen, zehn Meter hohen, holzgetäfelten Art-déco-Saal. Der Toningenieur Rob Freeman, der hier in den Plaza Sound Studios im ehemaligen Übungsraum des Stardirigenten Arturo Toscanini arbeitet, blickt skeptisch auf. „Sie sahen nicht aus wie irgendeine Band, mit der ich je gearbeitet hatte“, wird er später erzählen.

Die Männer tragen neben löchrigen Hosen allesamt weiße T-Shirts, ausgelatschte Turnschuhe, schwarze Lederjacken und schwarze Pilzfrisuren. Eine ungewöhnliche Uniform. Nicht nur wegen der Minusgrade und des Schnees, sondern auch weil Mitte der 1970er Jahre, der Hochphase des Glam-Rocks, Künstler wie David Bowie, T. Rex oder Sweet gerne auf Plateausohlen und in Paillettenjacken unterwegs sind. Und die Kleidung ist nicht die einzige Absonderlichkeit.

„Sie kommunizierten auch nicht wie andere Bands“, stellt Freeman schnell fest. Mehr noch. Sie reden fast gar nicht. Auf Fragen wie „In welcher Tonart ist das denn geschrieben?“ oder „Geht das auch eine Oktave höher?“ antworten die Bandmitglieder lediglich mit apathischem Grunzen und Schulterzucken. Freeman ist irritiert. „Mir war klar, ich hatte einen interessanten Ritt vor mir“, schreibt er in seinen Erinnerungen.

Ein Stück Musikgeschichte

Dass im Dachgeschoss der Radio City Music Hall in den kommenden Tagen Musikgeschichte geschrieben wird, ahnt er nicht.

Bei den Männern, die in Freemans Studio gekommen sind, um ihr Debütalbum einzuspielen, handelt es sich um die Ramones. Zwischen dem 2. und 19. Februar 1976 nehmen sie mit ihm für weniger als 7000 Dollar 14 Lieder auf. Am 23. April 1976 erscheint die Platte unter ihrem Bandnamen. Der „Rolling Stone“ wird sie zum zweitbesten Debüt aller Zeiten wählen, nach „Licensed to ill“ von den Beastie Boys. Und der Musikhistoriker Jon Savage nennt das Ergebnis „eine der wenigen Platten, die Pop für immer verändert haben“. Rockbands von Soundgarden bis Metallica berufen sich auf die Ramones. Als diese 2002 in die Rock ’n’ Roll Hall of Fame aufgenommen werden, hält Eddie Vedder von Pearl Jam die Laudatio. Heute hängen die T-Shirts mit ihrem Bandlogo, dem Adler mit Baseballschläger und Olivenzweig in den Fängen, bei H&M.

Als sie damals ins Studio gehen, sind die Ramones jedoch wenig mehr als eine Amateurband, die zwei Jahre zuvor von Jugendfreunden im New Yorker Stadtteil Queens gegründet wurde. Inzwischen haben sie es mit ihrem heruntergeprügelten Minimalrock zu lokaler Berühmtheit geschafft und zählen zu den regelmäßigen Gästen auf der Bühne des Clubs CBGB an der Bowery in Manhattan, in dem auch Bands wie Blondie oder die Talking Heads auftreten und Künstler wie Andy Warhol verkehren.

Wie ein Motorrad ohne Chrom

Die Band besteht aus dem Gitarristen John „Johnny Ramone“ Cummings, einem Ronald Reagan verehrenden arbeitslosen Bauarbeiter, seinem Schulfreund, dem arbeitswütigen Schlagzeuger Tamás „Tommy Ramone“ Erdélyi, dem Sänger Jeffrey „Joey Ramone“ Hyman, einem mittelschweren Zwangsneurotiker, sowie dem Bassisten und Songschreiber Douglas „Dee Dee Ramone“ Colvin, der ein gehöriges Drogenproblem hat.

Die Musik, die sie spielen, beschreibt eine Rezension im Magazin „Sounds“ so: „Die Ramones-Songs lassen sich am ehesten mit der Maschine eines Rockers vergleichen. Nimmt man eine 750er BMW und stript sie, d.h. entfernt man diesen ganzen Chrom-Plunder und belässt nur noch die essentiellen Teile mit Motor, Rahmen, Lenker, Räder, Sattel, dann hat man nicht nur ein Gefährt, bei dessen Anblick jeder Maul und Nase aufreißt, sondern auch ein Ding, gegen das ein serienmäßiger verchromter BMW-Mülleimer nicht anstinken kann.“

Doch so chaotisch und dilettantisch die Truppe auch wirkt, so weitsichtig sind die Musiker als Geschäftsleute. Auch Punkrock, das zeigt die Geschichte der Ramones exemplarisch, funktioniert am besten nach einem Businessplan.

Die Ramones wollen nicht die beste Band auf dem Planeten werden. „Ihr Ziel war, das fünf Jahre zu machen, einen Hit zu haben, um sich dann zur Ruhe setzen zu können“, sagt Florian Hayler, Gründer, Kurator und Betreiber des Ramones-Museums in Berlin-Mitte. Ein Plan, der von Anfang an generalstabsmäßig angegangen wird, wie der 42-Jährige im Café vor dem Ausstellungsbereich erzählt, in dem er Fotos, Instrumente, Kleidungsstücke und andere Memorabilia zeigt.

Den Namen hatten sie von Paul McCartney

Die Ramones: Johnny, Tommy, Joey und [DeeDee (v. links) im Dokumentarfilm „End of the Century“.
Die Ramones: Johnny, Tommy, Joey und [DeeDee (v. links) im Dokumentarfilm „End of the Century“.

© picture-alliance / Mary Evans Picture Library

Initiiert wird die Gründung der Band von Tommy Ramone, der Johnny so lange bequatscht, bis dieser sich eine Gitarre kauft. An Selbstvertrauen mangelt es nicht. Nachdem Johnny die New York Dolls, eine damals bekannte GlamRock-Band, gesehen hat, sagt er: „Das kann ich auch. Genauso gut.“ So schreibt er in seiner Autobiografie „Commando“.

Tommy erweist sich als umtriebiger Vermarkter. „Er schrieb Dutzende Briefe und nötigte Plattenmanager am Telefon, sich die Band anzuschauen“, erzählt Hayler, der seit Teenagerjahren Fan der Band ist und später sogar einige Zeit mit den Ramones auf Tour unterwegs war.

Ihren Band- und ihre Künstlernamen entlehnen die Ramones einem Alias Paul McCartneys, der auf einer frühen Tour der Beatles angeblich unter dem Namen Paul Ramon im Hotel abstieg. Hommage? Vielleicht. Aber auch Kalkül: „Das gab uns das Gefühl der Geschlossenheit, und wir hofften, wir würden dadurch bekannter “, gibt Johnny Ramone unumwunden zu.

Die Auftritte werden ähnlich organisiert angegangen: „Ich hatte in der Musikszene keine Freunde. Wir arbeiteten. Das CBGB war unser Arbeitsplatz. Unsere Baustelle“, schreibt er. Deshalb geht er mitunter auch sehr konkurrenzorientiert mit seinen Kollegen um, was ihm schnell den Ruf eines Arschlochs einbringt: „Am 3., 4., und 5. Oktober spielten wir drei Abende zusammen mit Blondie im Mother’s, wo ich mit Debbie Harry Streit wegen der Eintrittsgelder bekam. Sie dachte, wir würden 50/50 machen, aber ich sagte: Niemand kommt euretwegen. Alle wollen nur uns sehen. Wir teilten 70/30, und sie war sauer. Ich habe mich nie gut mir ihr verstanden.“

"Wir brauchten einen uniformierten Look"

Auch die zerrissenen Jeans und Lederjacken sind mitnichten Ausdruck von Authentizität, sondern das Ergebnis der Videoanalyse ihrer Auftritte. „Sobald wir das erste Tape gesehen hatten, war uns klar, dass wir einen uniformierten Look brauchten“, erinnert sich der Gitarrist. „Es war ein langsamer Prozess, der sich über ein halbes Jahr hinzog. Wir überlegten uns schließlich, dass Jeans, T-Shirt, Perfecto-Lederjacken, wie ich eine hatte, und Tennisschuhe am besten wären. Wir wollten, dass jeder Junge und jedes Mädchen da draußen sich mit unserem Image identifizieren konnte.“

Im Februar 1975 nimmt die Band ihre ersten Demos auf, die von allen angefragten Plattenfirmen abgelehnt werden. Warner Bros liefert auf Nachfrage die Begründung: Die Ramones klängen wie Led Zeppelin in schlecht – „bad Zeppelin“.

Tommy gibt nicht auf, und im Januar 1976 schließlich unterschreiben die Ramones einen Vertrag mit Seymour Stein vom Label Sire. „Ich fand bei den Ramones das, was ich erst mal bei jedem Künstler suche, mit dem ich arbeite – große Songs. Das ist für mich das Wichtigste“, erzählt Stein in der Filmdokumentation „End of the Century“. Was er meint: Man kann über die musikalischen Qualitäten ihrer Musik streiten, aber die Melodien bekommt man nicht mehr so schnell aus dem Kopf.

Dann geht es ins Studio.

"Die Arbeit im Studio war wie eine Schicht auf dem Bau"

„Mit gefiel es, tagsüber im Studio zu arbeiten. Es war praktisch eine normale Schicht wie auf dem Bau, als ich noch Rohre verlegt und Heizungen montiert hatte“, schreibt Johnny Ramone.

Eine Schicht, die ohrenbetäubend laut ist, wie Rob Freeman in seinen Erinnerungen „Recording Ramones“ berichtet. „Der Schlüssel zum Gitarren- und Bass-Sound war die Art, wie Johnny und Dee Dee ihre Amps aufbauten. Da gab es nichts Raffiniertes, sie rissen einfach die Lautstärke auf, bis zum Anschlag.“

Wer also im Februar 1976 die Radio City Music Hall durch den Bühneneingang betritt, den Aufzug in den sechsten Stock nimmt, dann weitere anderthalb Treppenabsätze hinauf in den siebten Stock steigt, das Labyrinth aus grauen Korridoren entlangläuft, durch die Wolke aus Parfüm und Schweiß taucht, die neben dem Trappeln von 200 Füßen dem Proberaum des Show-Balletts „The Rockettes“ entströmt, und schließlich die schwarze Tür zum Studio öffnet, hat gute Chancen, von einem gewaltigen Feedback erschlagen zu werden.

Nach wenigen Tagen sind die Stücke eingespielt. Auch eine Kostenfrage. „Wir beeilten uns ziemlich, denn mir war schon klar, dass das Geld, das wir verschleuderten, aus unserer Tasche kam, und wir es ihnen zurückzahlen mussten“, erzählt Johnny Ramone. „Deshalb sagte ich immer, wenn der Toningenieur mich fragte, wie ich den Take fand: Oh, so gut habe ich ihn noch nie gespielt.“

14 Lieder in 29 Minuten

Das Ergebnis: 14 Lieder, die in 29,04 Minuten heruntergerissen werden. Vielen gilt das als sportliche, nicht so sehr als musikalische Leistung. Das britische Magazin „NME“ urteilt etwa, die Ramones seien „eher ein Witz als eine Rockband“.

Eine Assoziation, die so abwegig nicht ist, wenn man sich die Texte des Albums anhört: Joey Ramone, selbst Jude, nölt darauf Zeilen wie „I’m a Nazi schatze, y’know I fight for the Fatherland“ („Ich bin ein Nazi, Schatzi. Du weißt, ich kämpfe für das Vaterland“), „Hey Ho, let’s go, shoot him in the back now“ („Hey Ho, schieß ihm in den Rücken“) oder dass er jetzt gerne Klebstoff schnüffeln möchte.

Dass diese „Infantilismus-Manifeste“, wie sie der Popkritiker Diedrich Diederichsen später nennt, verstören, wundert Museums-Direktor Florian Hayler nicht: „Vier Typen mit kaputten Hosen, die davon singen, mit Baseballschlägern auf nervige kleine Kinder zu hauen, das würde auch heute noch komisch wirken.“ Über Platz 111 der US-Hitparade kommt das Album dann auch nicht hinaus.

"Das fantastischste Stück Musik", schwärmte Lou Reed

NDie Ramones im Club C.B.G.B. in New York, 1977
NDie Ramones im Club C.B.G.B. in New York, 1977

© mauritius images

Bei anderen Musikern aber fällt das auf fruchtbaren Boden. Lou Reed schwärmt kurz nach Veröffentlichung gegenüber dem Ramones-Manager Danny Fields: „Ohne Zweifel das fantastischste Stück Musik, das du mir je vorgespielt hast. Ich meine, dagegen wirkt jeder wie ein Weichei – Patti Smith und ich eingeschlossen. Das ist Rock ’n’ Roll.“ Henry Rollins, Sänger der später selbst einflussreichen Band Black Flag, erzählt bei seinen Spoken-Word-Auftritten gerne eine Anekdote vom ersten Ramones-Konzert in Washington, D.C. „In jener Nacht flogen überall in der Gegend Steve-Miller-Platten aus den Fenstern. ,Fly like an Eagle‘ bedeutete mit einem Schlag nichts mehr.“

Mit 40 Jahren Abstand mag das erste Album heute vergleichsweise zahm klingen. „Aber damals war das radikal, was die Ramones gemacht haben“, sagt Hayler. Denn sie brechen tatsächlich mit Konventionen und tun zwei Dinge, die vor ihnen so keiner gemacht hat. Sie spielen rasend schnell, auf der Bühne noch mehr als auf der Platte, und sie simplifizieren. Handwerkliches Können ist plötzlich kein Kriterium mehr, das für eine Musikkarriere ausschlaggebend ist.

Aus der Tradition reinsten Rocks

Johnny erklärt das so: „Wir eliminierten alles, was uns am Rock ’n’ Roll nicht gefiel, und nutzen den Rest. Bei uns gab es keine Blues-Einflüsse, keine Gitarrensoli, nichts, was einem Song im Weg stand. Unsere Songs entstanden aus der Tradition reinsten Rocks. Sie mussten schlicht sein. Weil unsere Fähigkeiten begrenzt waren, waren wir gezwungen, so einfach zu spielen.“

Eine ihrer ersten Tourneen führt die Ramones Mitte der 70er nach England. Im Publikum stehen Mitglieder von Bands wie The Damned, The Clash, den Sex Pistols, die versammelten Protagonisten der sich gerade formierenden ersten britischen Punk-Generation, die damals noch stark im behäbigen Pub-Rock verhaftet war. Nachdem sie die Ramones gesehen haben, wechseln auch die Briten vom Moderato ins Presto. Die Folgen für die Musikindustrie sind Geschichte.

Den Erfolg verdankten sie ihrer Zähigkeit

Ihr Ziel, ausgesorgt zu haben, erreichen die Ramones, obwohl sie in ihrer Karriere nie einen Top-10-Hit landen, dank Nonstop-Touren schließlich doch noch. Wenn auch mit reichlich Verspätung. Am 6. August 1996 treten sie das letzte Mal von der Bühne – da schon nicht mehr in Urbesetzung. 14 Studio- und drei Livealben haben sie bis dahin veröffentlicht, 2263 Konzerte gespielt, mit Produzentenlegenden wie Phil Spector gearbeitet – und sich musikalisch kaum weiterentwickelt.

Den Erfolg verdanken sie schließlich nicht einem Hit, sondern allein der Zähigkeit, ihren Status vor allem der Huldigung, die ihnen die Nachfolger, die wesentlich erfolgreicher wurden, bis heute entgegenbringen.

Zeit, den Ruhestand zu genießen, bleibt dem Quartett nicht. Joey stirbt 2001 an Krebs, Dee Dee ein Jahr später an einer Überdosis Heroin. Johnny erliegt 2004 dem Krebs, Tommy im Sommer 2014.

Er war das einzige Gründungsmitglied der Ramones, das noch erlebte, dass ihr erstes Album 2013 in das Nationale Musikarchiv der Bibliothek des US-Kongresses aufgenommen wurde und nur wenige Tage vor seinem Tod Goldstatus erreichte – nach 38 Jahren.

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