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Action: Der Dogwalker und seine Freunde.

© Sven Darmer/Davids

Dogwalker Georg Schellheimer in Berlin: Des Rudels Kerl

Er war Techno-DJ und ziemlich mies drauf. Seit zwei Jahren führt Georg Schellheimer die Hunde anderer Leute aus – das bekommt allen gut. Mit einem Dogwalker unterwegs im Norden Berlins.

Von Julia Prosinger

Morgens um neun unternimmt Georg Schellheimer, tätowiert, rasierte Glatze, Jogginghose, Ausflüge in die Welt des Berliner Bürgertums. Ein paar wiegende Schritte über feinen Kies mitten aufs Lübarser Privateigentum, an Himbeersträuchern und Teichlandschaften vorbei – trotz Warnschildes schlägt kein Hund an.

Schellheimer, 43, hessischer Akzent, guter Appetit, ist Dogwalker. „Gassifuzzi“, sagt er. Er sittet Hunde, während ihre Besitzer Klienten beraten, Kinder unterrichten, dienstlich verreisen. Sie haben ihm die Schlüssel zu ihrem Leben gegeben. Für 18 Euro pro Hund pro Tag nimmt er ihnen die Zwänge der Stadt.

Hinter der schweren Tür blinzelt Luca aus blauen Augen. Australian Shepherd, Schatzilein. Konnte früher schlecht allein sein. Hat er inzwischen gelernt. Schellheimer führt ihn über den Kies. Rocky und Lotte warten im Kofferraum. Daneben Charly, den Schellheimer Karl-Heinz nennt. Echter Hesse, wie er, aber leider ohne Kontakt zu Gleichaltrigen aufgewachsen, depriviert. Nicht so einfach. Der Rest des Rudels schnauft aus dem Anhänger, den Schellheimer beim THW gekauft hat.

„Wir sind heute zehn Hunde“, sagt Schellheimer, und es ist nicht klar, ob er sich miteinrechnet. Skye, die weiße Retriever-Schäferhündin, hat er eben schon an der S-Bahn-Haltestelle abgeholt. Reibungslose Übergabe, die Besitzer fahren direkt weiter zur Arbeit. Annie, polizeilich ausgebildete Schäferhündin mit Knacks, bellt durch die Belüftungsschlitze. An einem Sommertag wie heute ist die Hitze Schellheimers größte Sorge. Alle paar Minuten schielt er auf das Thermometer in der Beifahrertür, das ihm die Grade im Anhänger zeigt. 20, noch zumutbar. Er hat schließlich die Verantwortung. Per Vertrag.

Über der Couch hängt ein großes Porträt von einer verrückten Schäferhündin

Schellheimer lebt ein paar Straßen weiter. Drei Zimmer im Hochhaus. Da liegen Körbchen unterm Esstisch, Körbchen vor der Badewanne, immer im Weg. Natürlich dürfen Hunde ins Bett. Die Decke hat die Schwiegermutter eigens genäht. Schellheimer ist mit Tieren aufgewachsen, der Vater war Metzger. 70 Leinen hängen im Flur, über der Couch ein großes Porträt von Annie, der verrückten Schäferhündin. Eigentlich hat sie einer Freundin gehört, die kam nicht klar mit ihr.

Da tauschte Schellheimer seinen folgsamen Jack Russell Terrier gegen die Schwererziehbare. Immer wieder handelt er sich Härtefälle ein. Schellheimer schwärmt für Problemhunde. Deshalb lässt er sich gerade bei der IHK zum Hundetrainer ausbilden. „Mein Jodeldiplom.“ In den Wohnungen seiner Klienten installiert er Kameras, spioniert Hunden nach. In seinem Arbeitszimmer steht ein Laufband vor einem Fernseher. Kein Heimtrainer für ihn. Hier gewöhnen sich Stadthunde mit Videos ans Silvesterknallen.

Jetzt fehlt nur noch Buddy, Rhodesian Ridgeback. Seine Mama, so nennt Schellheimer normalerweise Frauchen, erzählt am hohen Gartenzaun noch kurz vom Sonnenstich des Sohnes, von Buddys pöbeligem Verhalten am Morgen. Auch von Ehekrach und Firmeninterna erfährt Schellheimer auf seinen täglichen Ausflügen.

Der 60 Grad heiße Asphalt ist nix für samtene Pfoten

Schellheimer lässt die Hunde erst zehn Kilometer weiter auf einer Wiese aussteigen. Der Asphalt, schätzt er, hat 60 Grad heute, nix für samtene Pfoten. Die Tiere stieben auseinander, hechten über FKKler hinweg, pesen wie Kanonenkugeln durch grillende Hippiefamilien, planschen in den See, waten nach Morast stinkend wieder hinaus. Schellheimer steht am Wasser und wirft mit Leuchttürmen. Aus Gummi. Lotte und Rocky rollen zum Knäuel verkeilt einen Hügel hinab. Schellheimer steigt den Trampelpfad bergan. Er schaut die Hunde selten an, streichelt nie. Macht sich unsichtbar. Es geht hier nicht um ihn. Durchs hohe Gras strömt der Geruch von Scheiße.

"Ich habe keinen, der beißt"

Georg Schellheimer und seine Pappanheimer.
Georg Schellheimer und seine Pappanheimer.

© Sven Darmer/Davids

Am Horizont taucht ein anderes Rudel auf. Dogwalker. Mit Leine, stellt Schellheimer fest. Nicht sein Stil. Gassi gehen ist eine Wissenschaft. Und Schellheimers Methode ist artgerecht, sagt er. Nur Skye zieht eine meterlange neongrüne Schleppleine hinter sich her. Sie ist jung. Freiheit bekommt ihr noch nicht. Schellheimer hat wenig mit seinen Konkurrenten zu tun. Der Markt ist klein, und um sich ein Auslaufgebiet zu sichern, greife manch einer schon mal zu einer Lüge. Da seien Giftköder versteckt, warne man sich scheinheilig.

Es gibt in Berlin nicht mehr viele Orte, an denen Schellheimer ein ganzes Rudel frei laufen lassen kann. In Brandenburg darf ein Einzelner maximal drei Hunde Gassi führen. In der ganzen Hauptstadt sind nur gut 100 000 Hunde offiziell registriert. „Wenn das stimmen würde, hätten ausgerechnet die hundefreundlichen Berliner weniger Hunde als der deutsche Durchschnitt.“ Er schätzt, dass es eher 280 000 sind. Letzten März meldete er eine Demonstration gegen die schrumpfenden Auslaufgebiete an. Keiner kam. Er schrieb Briefe an den Senat. Keine Antwort. Hier an diesem See im Norden Berlins – besser nicht genau benennen – wird Schellheimer geduldet.

Zwei von Schellheimers Hunden Maulkörbe

„Laaaaangsam“, schnalzt er nun. Das ganze Rudel versammelt sich hinter ihm. „Habt ihr einen mit Problemen dabei?“, ruft er den Konkurrenten zu, während er sich mit seinen Tieren ins Gras legt. „Platz“ für alle. „Ich habe keinen, der beißt.“ Dabei tragen zwei von Schellheimers Hunden Maulkörbe. „Das macht einen schlechten Eindruck, ich weiß“, sagt er. Schäferhündin Annie schnappt nach Menschenhänden, wenn man ihr ein Stöckchen wegnimmt – das soll sie sich abtrainieren. Und Hugo, der mit Elektroschocks fehlerzogen wurde, fordert fremde Hunde gern heraus. Erst neulich wurde er dafür zusammengebissen.

Schellheimer musste seine scheußliche Wunde am Kopf versorgen, mitten beim Spaziergang. Mit den Operationsinstrumenten aus seinem Reiseset hat er die Hautlappen zusammengetackert. Pfotenverband und Kochsalzlösung hat er immer dabei. Auch Schellheimer bekommt alle paar Wochen etwas ab. Zuletzt zerfetzte ihm ein Hund die Nase, als er sich in einen Streit unter Artgenossen einmischte.

Schellheimer, Blitzableiter. Er ist es gewohnt, schuld zu sein. „An allem Leid der Welt“, sagt er. Rentner halten ihn an und beschimpfen ihn. Für die Hundehaufen in der Stadt. Für die letzte Beißstatistik aus dem „Kurier“. Auch die Herrchen wollen seine Kritik nicht hören. „Ihr müsst mit ihm arbeiten“, sagt Schellheimer über manche Hunde. Er könne schließlich die anderen nicht allein lassen, wenn ihm einer ausbüchst und zwischen den Leitplanken der A114 in Panik gerät.

Als Schellheimer Drogen genommen hat, war er ein Vulkan

Früher, als Schellheimer noch Techno-DJ war, Drogen genommen hat, da ist er leicht ausgerastet. Hat zugeschlagen, wenn ihm einer dumm kam. Ein Vulkan, kurz vor dem Ausbruch. Heute geht das nicht. Hunde spüren menschlichen Stress. Und wenn zehn Hunde Stress spüren, möchte man ihnen nicht entgegenkommen. Lernen wegzulaufen, wenn es brenzlig wird, bringt Schellheimer nicht nur Hugo bei. Sondern auch sich selbst.

Viele Jahre war Schellheimer Vertreter im Außendienst, hat Software an große Firmen verkauft. Dann wurde er depressiv. „Der Mensch kann Gefühle spielen, der Hund nicht.“ Seit zwei Jahren führt Schellheimer Hunde aus, seit zwei Jahren geht es ihm besser.

Showdown am See: Die beiden Rudel riechen einander, sehen einander, Annies Brust bebt, Rocky atmet schnappend, Luca springt auf, schielt nach Schellheimer, legt sich wieder hin. Schellheimer bleibt hocken. Er sagt nichts. Prüfende blaue Augen. Als das fremde Rudel um die Kurve verschwindet, zieht er ein Art Deoroller aus der Tasche. Eine Runde Hefeextraktschlecken für alle. Schellheimer pflückt gedankenverloren eine Zecke aus Annies Fell und zerquetscht sie.

Im Hänger sind es inzwischen 28 Grad. Noch bevor Schellheimer die Tür schließt, fallen Luca die Augen zu. Nicht einmal Techno weckt ihn auf. Kein Bellen, nur Schnarchen dringt aus den Schlitzen. Den Rest des Tages werden die Hunde schlafend auf ihre Besitzer warten.

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