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Dürfen wir Handel treiben mit Saudi Arabien?: Die große „Freiheit“

Saudi Arabien interessiert sich nicht für offene Gesellschaften und Freiheit. Aber für Solaranlagen und Fußbodenbeläge. Warum machen wir da mit?

Im Mai 2012 zitierte der saudische Blogger Raif Badawi einen französischen Schriftsteller: „Trotz seiner vielfältigen Bedeutungen ... lässt sich der Liberalismus als folgende Schlüsselidee herunterbrechen: Die Menschheit hat ihr Erwachsenenalter erreicht und kann sich nun allein um ihre Angelegenheiten kümmern, ohne fremde Vormundschaft.“ Der Liberalismus habe die Überzeugung, dass Freiheit an sich gut ist, dass Wahrheit im Dialog entsteht.

Unter anderem auch für diese fast bräsig klingende Selbstverständlichkeit wurde Raif Badawi im Juni 2014 in Saudi-Arabien zu zehn Jahren Haft, einer hohen Geldstrafe und 1000 Peitschenhieben bestraft. 50 dieser Hiebe hat er bereits wie durch ein Wunder überlebt, als er am 9. Januar auf dem Vorplatz der Al-Dschafali-Moschee in Dschidda unter dem Beifall der Gläubigen und „Allahu Akbar“-Rufen gefoltert wurde.

In der Begründung des Urteils hieß es, der Internetaktivist sei „vom Glauben abgefallen“, außerdem zeige er „Ungehorsam“. Bemühungen um seine Begnadigung blieben bislang erfolglos, seine Frau und Kinder mussten das Land verlassen.

Einige Monate vor den Attentaten in Paris reiste Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel nach Saudi-Arabien, in dieses irrsinnige Land aus einerseits milliardenschwerem Machtausbau und Hightech und einem andererseits sunnitischen Islam, der genau den Wahhabismus in seinem Sozialleben verankerte, der jetzt im Zusammenhang mit der Radikalisierung und dem Salafitentum junger IS-Attentäter genannt wird.

Der Minister führte eine 90-köpfige Delegation aus deutschen Wirtschaftsbossen an. Gasturbinen, Solaranlagen, Medizingeräte und, wie man lesen konnte, sogar Fußbodenbeläge hatten die Manager in Werbebroschüren im Gepäck; der Minister vorrangig seine Petition für Raif Badawi. Nachdem ihn König Salman ibn Abd al-Aziz abblitzen ließ, präsentierten die deutschen Manager Medizingeräte oder Gasturbinen.

Kurz nach den Anschlägen vom 13. November sah ich den Minister beim Besuch in Paris, wo er am Platz der Republik der Opfer gedachte. Es waren hochemotionale Bilder. Der Minister umarmte die Menschen, eine muslimische Frau umarmte den Minister und sogar dessen Sicherheitsleute. Danach sprach der Minister vor den Medienvertretern, immer noch sichtlich ergriffen, über Freiheit und offene Gesellschaften.

Von Freiheit will er nichts wissen, aber alles über Solaranlagen

Mir fielen die Bilder aus Saudi-Arabien wieder ein: der Minister beim saudischen König, der nichts von offenen Gesellschaften und Freiheit wissen wollte, stattdessen alles über Solaranlagen, Rüstungsgüter und Fußbodenbeläge.

Was ist das nun für eine schöne Freiheit, von der wir in diesen Tagen ständig sprechen? Wie viel ist uns unsere Freiheit wert, wenn wir in reiche, aber freiheitsverachtende Länder reisen? Wie viel ist uns unsere Freiheit wert, die wir zwar alle in und für Paris beschwören, mit der wir es aber für unsere Umsätze und unseren Wohlstand in Riad, neuerdings Ankara und anderswo nicht zu weit treiben dürfen? Wie viel ist unsere Freiheit wert, wenn wir uns islamisch-konservativ-korrupten Präsidenten ausliefern, nur um weniger Flüchtlinge und hiesigen Wohlstand zu garantieren? Und wie viel ist uns unsere Freiheit wert, wenn wir uns bei saudischen Islamistenkönigen zwar mit Menschenrechten zu Wort melden, aber hinter uns schon die 90 Wirtschaftsvertreter stehen?

Wäre es nicht so, dass wir, wenn wir es im Gegensatz zu anderen islamistischen Königen und Präsidenten wirklich ernst meinten mit der Freiheit, sofort wieder im Flugzeug nach Hause säßen – ohne dass wir auch nur eine unserer Broschüren hätten präsentieren dürfen?

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