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Jella Haase, Schauspielerin aus Berlin.

© Mike Wolff

"Fack ju Göhte"- Star Jella Haase: „Ich fand Spießigkeit toll“

Ihre Eltern schleppten sie auf Punk-Konzerte und setzten ihr kaum Grenzen. Jella Haase über Tussi-Klischees, Hassan, den Hässlichen und politisches Engagement.

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Jella Haase, 22, aufgewachsen in Kreuzberg, wurde durch ihre Rolle in "Fack ju Göhte" bekannt. Diese Woche kommt der zweite Teil des Blockbusters in die deutschen Kinos. 2011 erhielt Haase den Bayrischen Filmpreis als "Beste Nachwuchsdarstellerin". Die Zahnarzttochter lebt heute in Berlin-Neukölln.

Frau Haase, die aktuelle Lage in Deutschland macht Sie politisch. Warum?

Ich finde es furchtbar, dass Leute aus Kriegsgebieten kommen, durch die Hölle gegangen sind und hier auf Abwehr stoßen. Ich höre immer, dass das mit Angst zu tun hat, aber wovor eigentlich?

Dass der Lebensstandard eingeschränkt wird?

Und wenn schon! Wir geben jeder ein bisschen was ab, dann geht es allen besser. So denke ich. Ich mache zum Beispiel in einer Berliner Schule Deutsch- Hausaufgaben mit 18-jährigen Flüchtlingen. Viele meiner Freunde wollen sich engagieren, wissen aber nicht, wo sie sich hinwenden können.

Elyas M’Barek, mit dem Sie in „Fack ju Göhte“ spielen, hat sich beschwert, dass so wenig Schauspieler ihre Stimme gegen Pegida erheben.

Ich finde es wichtig, Position zu beziehen und mutig zu sein. Ich äußere mich ja auch, wenn ich gefragt werde. Ich würde immer auf den Demos gegen Pegida mitlaufen.

Sie werden eine von drei Ermittlerinnen im neuen „Tatort“-Team Dresdens darstellen. Fühlt sich das angesichts der Stimmung in der Stadt komisch an?

Ich kenne das Drehbuch noch nicht, aber ich fände es toll, wenn wir da sozialkritisch wären. Wenn man die Chance hat, in so einem Teil von Deutschland einen „Tatort“ auf die Beine zu stellen, ist es unumgänglich, dass man sich mit dem Thema beschäftigt.

Til Schweiger sagt, er habe immer mit seiner Rolle als Schauspieler gehadert: „Jeder Polizist, jeder Soldat, jede Krankenschwester tut mehr für die Gesellschaft … Ich vermiete nur mein Gesicht.“ Kennen Sie solche Gewissensbisse?

Als Gedanken, ja. In letzter Zeit will ich mich stärker gesellschaftlich engagieren. Was ich bislang tue, ist nicht wirklich nennenswert. Man kann immerhin politische Filme machen, das ist ein Sprachrohr. „Die Kriegerin“ …

… einer Ihrer ersten Filme, der in der ostdeutschen rechten Szene spielt …

… war eine Sozialstudie. Die war bedeutend für den Moment. Ich fände die Flüchtlingsthematik superwichtig für einen Film. Wie kann es sein, dass Europa seine Außengrenzen derart aufrüstet?! Es wühlt mich total auf, wenn wir darüber reden.

Nächste Woche kommt Teil zwei von „Fack ju Göhte“ in die Kinos. Ist der politisch?

Nein.

Sie klingen entschieden. Haben Sie viele Prinzipien?

Ich esse zum Beispiel kein Fleisch, kein Tier soll für mich sterben. Sollte es irgendwann keine Massentierhaltung mehr geben, kann sich das wieder ändern. Aber so, wie die Situation momentan ist, finde ich es einfach nicht tragbar, Fleisch zu essen.

Man sieht Sie auf roten Teppichen in MiuMiu und Prada. Würden Sie sich in ein Kleid hineinhungern?

Mir wurde früher häufig gesagt, ich solle abnehmen. Ich habe ja mehr Kurven als die meisten. Das hat nur Rebellion ausgelöst: Jetzt erst recht nicht. Es muss doch auch Leute geben, die normal sind. Ich habe letztens gelesen, dass Frauen Komplexe und weniger Sex haben, weil ihnen vorgelebt wird, wie sie sich zu bewegen haben, wie sie aussehen sollen. Wie porno sie sein sollen. Ich will vermitteln, dass man abends auch mal 'ne Lasagne essen kann. Vegetarisch. Mit doppelt Käse.

Sie spielen Fußball. Wahrscheinlich foulen Sie nie.

Stimmt. Ich bin kein guter Schütze, eher eine Mannschaftsspielerin. Ich liefere lieber die Vorlage als den Torschuss. Letzte Saison habe ich allerdings oft gefehlt, weil ich viel gedreht habe. Das Schöne ist: Es geht darum, wie man spielt, es ist egal, woher man kommt, was man sonst so tut.

Sie wurden mit „Der letzte Rest“ bekannt – da geht es um eine Gangbang-Party: Ein Mädchen lädt 13 Jungs zum Sex zu sich ein. Sie waren beim Dreh erst 15 Jahre alt. Ihre Eltern haben das erlaubt?

Meine Mama ist ganz naiv ins Gespräch mit dem Produzenten gegangen: „Was ist eigentlich ein Gangbang?“ Mein Vater sagte nur „oh nee“. Dann haben wir ihr das halt erklärt. Und sie hat schwer geschluckt, aber sich am Ende zu mir gesetzt und gesagt: „Ich würde es nicht tun, doch wenn du willst, mach es. Ich vertrau dir da.“

"Privat bin ich eher hippiemäßig"

Jella Haase, Schauspielerin aus Berlin.
Jella Haase, Schauspielerin aus Berlin.

© Mike Wolff

Sie wollten.

Meine Mutter hat mir erzählt, dass ich damals wohl gesagt haben soll: Wenn ich das kann, kann ich alles. Wenn meine erste Rolle so eine Rolle ist, kann mir nicht mehr viel passieren.

Wie hat es sich angefühlt, diese Szenen auf der Leinwand zu sehen?

Ich fand mich total hässlich in dem Film. Dann sagte ein Kumpel: Wenn es dir gelingt, richtig hässlich auszusehen, hast du was Tolles geschafft! Heute ist dieser Kumpel mein Freund.

In „Fack ju Göhte“ spielen Sie Chantal Hackermann, eine Prollgöre mit grellen Leggings, Kreolen, Basecap. Finden Sie sich als Chantal schön?

Nee. Ich muss echt sagen, ich konnte den blauen Lidschatten schnell nicht mehr sehen. Privat bin ich eher hippiemäßig.

Warum tragen Mädchen so viel Schminke?

Sie fühlen sich anders nicht schön, sie denken, sie brauchen das. Ein Schutzschild. Ich beobachte, dass gerade sehr geschminkte Frauen eine große Klappe haben. Sie sind mehr outgoing.

Auch die Chantal wollten Sie unbedingt spielen.

Ich fand die Rolle erst gar nicht so witzig. Aber ich habe mich über die Anfrage gefreut, weil ich nicht dem Tussi-Klischee entspreche. Sätze wie „Sind Sie geboarderlinert, Sie Geisterkranker?“ würde ich nie sagen.

Wo reden die Leute so?

Einfach mal mit der U-Bahn fahren, bisschen U8 zwischen Hermannplatz und Kotti, U7 zwischen Mehringdamm und Rathaus Neukölln. Ich kriege oft Drehbücher, wo Autoren versuchen, Jugendsprache zu imitieren: „Boah ey, krass, willst du mich verkackeiern?“ So redet niemand.

In den 80er Jahren hat man das gesagt.

Das ist wahrscheinlich das Problem.

Einige Ihrer Rollen definieren sich über Männer. Svenja in „Die Kriegerin“ wird für einen Mann zum Nazi, Chantal macht sich für die Schulkameraden zum Klassenclown. Sind so die Mädchen von heute?

Ich glaube, Mädchen und Jungen haben es in unserer Generation gleich schwer. Die Mädchen sind emanzipierter. Können gut auf sich selbst aufpassen und brauchen keine Beschützer. Viele Freundinnen, die gut ausgebildet sind, zur Uni gehen, haben ein Problem, einen Freund zu finden. Sie sind zu stark für die Jungs.

Mit welchen Vorbildern sind Sie aufgewachsen?

Mit meiner Mama! Sie hat sich als Zahnärztin selbstständig gemacht. Und ist nicht nach Zehlendorf gegangen, um mehr Geld zu verdienen, sondern bewusst in der Neuköllner Praxis geblieben, um Bedürftigeren zu helfen. Ich war Fan von den No Angels, Lucy war die Beste, die Wilde mit den roten lockigen Haaren. Richtig verknallt war ich allerdings in Johnny Depp. In der Grundschule sollten wir unsere Zukunft malen. Ich habe mich mit Kindern gemalt, im Hintergrund ein Filmplakat, auf dem ich Johnny küsse. Meine Englischlehrerin sagte: Als ich dieses Bild gesehen habe, wusste ich, dass du Schauspielerin wirst.

Waren Sie eine gute Schülerin?

In den ersten Klassen war ich sehr gut, aber meine Matheschwäche hat sich früh rauskristallisiert, in Physik und Chemie war ich grottenschlecht. Ich habe nicht eingesehen, warum ich das lernen soll. Ich würde heute lieber ordentlich kopfrechnen können als irgendwelche geometrischen Formen. Dann könnte ich meine Steuererklärung zack, zack durchgehen. Man wird kaum auf das wahre Leben vorbereitet. Ich musste mich voll reinfinden in so Sachen wie Krankenkasse, wie ich mich versichere, mich für eine Wohnung bewerbe.

Sie sind im Bergmann-Kiez groß geworden.

Seit meiner Geburt wohnten wir in derselben Straße. Ich bin erst mit 20 ausgezogen. Wir kannten die Boys, die Jungscliquen, die dort rumhingen, Mädchen anquatschten: Hey, Süße, was geht? Die kannten uns, unsere Eltern, wir waren safe. Ich wurde mal von ’ner Tischtennisplatte gezogen, mehr ist nie passiert.

Ihre Eltern sind noch zusammen. Waren Sie damit eine Exotin unter Ihren Freunden?

Ich empfinde mich da als privilegiert. Viele meiner Freunde leiden sehr unter der Trennung ihrer Eltern. Scheidungskinder, die Bindungsprobleme haben oder Vaterfiguren suchen.

Ihr Bild der Sicherheit: Ihr Vater fährt Sie im Ford Transit in den Urlaub und raucht dabei Zigaretten.

"Meine Mama hat mir maximal meine Zigaretten geklaut"

Jella Haase, Schauspielerin aus Berlin.
Jella Haase, Schauspielerin aus Berlin.

© Mike Wolff

Ich wusste immer, ich könnte scheitern, etwas Schlimmes tun, meine Eltern würden hinter mir stehen. Eine muslimische Freundin hat mir erzählt, wenn sie mit einem Ungläubigen verkehren würde, sagen die Eltern: Du bist nicht mehr Teil unserer Familie. Für mich unvorstellbar. Ich könnte nie mit meiner Familie brechen.

In Ihrer Grundschule waren 70 Prozent Kinder von Migranten …

… meine Freundinnen hießen Büshra, Seda, Gündem …

Haben Sie die um etwas beneidet?

Ich bin mit wenigen Regeln erzogen worden. Wir mussten nicht aufessen, es gab manchmal erst um elf Uhr nachts Abendbrot. Mir gefiel es deshalb, wenn andere Leute Regeln hatten. Ich fand Spießigkeit toll, ich wollte, dass meine Eltern mir feste Hausaufgabenzeiten geben und sagen, wann ich ins Bett müsste. In der Pubertät wurde es schwierig, als ich ausgehen wollte und meine Eltern verlangten, dass ich um zwölf zu Hause sein sollte. „Wie? Spinnt ihr jetzt?“

Haben Sie die anderen auch um einen fest verankerten Glauben beneidet?

Ich weiß nicht mal, ob mir bewusst war, dass die Mädchen mit den Kopftüchern einen anderen Glauben hatten. Ich bin nicht konfirmiert, meine Eltern sind aus der Kirche ausgetreten. Aber ich glaube an eine Macht im Universum. Ich finde es nicht schlecht, wenn man einen Anker hat, solange es nicht fanatisch wird. Kürzlich habe ich mit einem türkischen Freund auf dem Flughafen Tempelhof gegrillt. Ich habe mich gewundert, warum es so leer war. Ramadan, sagte er. Aber du trinkst doch Bier und isst Fleisch, habe ich gesagt. Na und? Heute ist der Geburtstag meiner besten Freundin, ein besonderer Tag, eine Ausnahme. Toll! Er ist Moslem und legt die Religion für sich aus.

In „Die Kriegerin“ zwingt der Vater die Tochter, eine Schachtel Zigaretten zu rauchen – haben Ihre Eltern Ihnen schlechte Angewohnheiten so ausgetrieben?

Solche Erziehungsmaßnahmen gab es bei uns nie. Meine Mama hat mir maximal meine Zigaretten geklaut, dann waren sie halt weg. Eine Freundin hatte eine furchtbare Stiefmutter, die war übel drauf. Wenn sie nicht aufgegessen hatte, musste die Tochter einen Aufsatz über Kinder in Afrika schreiben, ganz böse. Die liest das jetzt auch – soll sie ruhig!

Sie streiten also nie daheim?

Im Gegenteil, wir schreien richtig viel rum. Selbst wenn Freunde nach Hause kommen, verstellen wir uns nicht. Die sagen dann: Meine Eltern würden sich ja nicht so verhalten, wenn wir Gäste haben … Das ist aber gut. Ich habe gemerkt, dass es hilft, seiner Wut ein Ventil zu geben. Ich glaube, dass sich unsere Familie deshalb so gut versteht. Egal wie doll wir streiten, am Ende lieben wir uns wieder.

Welcher Ort vermittelt Ihnen ein Heimatgefühl?

Wenn ich die Autobahn entlangfahre und der Fernsehturm am Horizont auftaucht, werde ich jedes Mal weich.

Heute leben Sie in Nord-Neukölln. Noch Ihr Berlin?

Kreuzberg hat sich so stark verändert, dass ich es nicht wiedererkenne. In Neukölln gibt es wenigstens noch die ganzen Spätis. Bei mir um die Ecke verkauft Hassan, der Hässliche – so hat er sich das erste Mal bei mir vorgestellt. Er hat mich gefragt, ob ich nicht mal bei ihm arbeiten möchte.

Was sagen Sie im Ausland, wenn Sie gefragt werden, was Sie arbeiten?

Manchmal sage ich, ich studiere. Ich habe ja einen Studienplatz: Geschichte, Philosophie und Literaturwissenschaften an der FU. Drittes Semester, nur – und das ist eigentlich total schlimm – ich schaffe es so gut wie nie.

Sie sind ein Fall für die Studienberatung.

Stimmt. Jetzt im Urlaub bin ich zur Ruhe gekommen und habe entschieden: Ich muss mich freischaufeln, mich auch weiterbilden, das fehlt mir.

In der Vorlesung werden Sie bestimmt erkannt?

Ich bin erst mal zu spät gekommen, hab mich leise in die hinterste Reihe gesetzt. Weil es Geschichte war, saßen da ziemlich viele, die meine Filme nicht interessieren. Die kannten mich nicht. Ich liebe Geschichte. Am spannendsten finde ich den Kommunismus, ich interessiere mich für China und Russland. Was geht eigentlich mit Putin ab?

Ist es nach der Grexit-Debatte schwieriger geworden, sich Europäer zu nennen?

Ich bin am Anfang ausgestiegen. Immer diese Rettungsfonds, Rettungsschirme, dann treffen sie sich wieder hier und dort: Ich möchte, dass Griechenland im Euro bleibt. Das ist meine Meinung. Aber was kann ich machen, damit das passiert?

Können Sie sich ein Deutschland ohne Merkel vorstellen?

Ich habe mal gehört, dass sie zu den wenigen Menschen gehört, die die Griechenland-Krise wirtschaftlich wirklich verstehen. Das finde ich wichtig für die Führung eines Landes.

Kommt das in Ihrem Elternhaus gut an?

Wir streiten eher über die Geschirrspülmaschine.

Welche politische Einstellung haben Ihre Eltern Ihnen mitgegeben?

Sie sind grün, denken immer ökologisch. „Kinder, es ist eure Zukunft, denkt daran, die Lichter auszumachen, den Strom zu sparen, Bio einzukaufen.“

Wurden Sie zu Demos mitgeschleppt?

Nein, zu Punk-Konzerten. Mein erstes war von der Band „Payback 5“, da war ich fünf. Das sind Freunde meiner Eltern, die haben mich auf die Bühne geholt, und ich hab mitgesungen: „Lass das mal den Opa machen, der Opa macht die tollsten Sachen.“ Ich trug zwei Zöpfe und ein Eiskunstlaufkleid. Und alle so: Yeah! Voll lieb.

Mit Elyas M’Barek, dem Hauptdarsteller aus "Fack ju Göhte" - Teil eins und zwei, haben wir im Februar gesprochen. Das Interview fanden nicht nur unsere Leser interessant, sondern auch die US-Botschaft reagierte darauf .

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