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Quotenhase. Mitunter erreichten die Übertragungen aus dem Millowitsch-Theater (hier der Hausherr Willy mit Lonny Kellner-Frankenfeld in dem Stück „Die schwebende Jungfrau“) eine Einschaltquote von 88 Prozent.

© TEUTO

Fernsehtheater: Letzter Vorhang

Der WDR macht Schluss mit dem Millowitsch-Theater. Dem Kölner Schauspielhaus droht das Aus. Ein kleine Kulturgeschichte des Volkstheaters.

Irgendwann im jüngsten Stück, das diesmal zugleich ein Endspiel ist, ertönt tatsächlich die Stimme Gottes. Und nicht nur die Domstädter links und rechts des Rheins, auch der Rest der deutschsprachigen Menschheit dürfte die Stimme erkennen. Denn Gott spricht im Kölner Millowitsch-Theater durch den Mund von Harald Schmidt.

Der Entertainer ist wie der Herrgott ein deus absconditus. Ein abwesender Mediengott, nur anwesend im großen Off. Also spricht er hier vom Band.

Gott ist tot, hatte einst Friedrich Nietzsche gesagt. Der WDR sagt nun, das Volkstheater sei tot. Aber vielleicht gibt es ja für das in Deutschland vormals weltberühmte Millowitsch-Theater auch nach einer Kündigung durch den Fernsehsendboten WDR noch die Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod. Immerhin trägt das Stück, in dem Harald Schmidt Gott ist, den Titel „Et hätt noch immer jot jejange“. Jot, für alle Kölschunkundigen, bedeutet gut.

Der WDR indes will als bisheriger Haussender der Bühne, die sich selber „Volkstheater Millowitsch“ nennt, das neue Stück und alle womöglich noch kommenden Schwänke nicht mehr übertragen. Stattdessen soll der Schlusspunkt unter eine mehr als 60-jährige Zusammenarbeit gesetzt werden. Damit endet, was zu Zeiten des legendären Willy Millowitsch als Samstagabendkult galt – und womöglich die Geschichte des Kölner Theaterhauses gleich mit.

Als Gott das Fernsehen schuf, war die Welt noch schwarzweiß

Zum Finale hat der WDR statt der von Willys Sohn und Nachfolger Peter Millowitsch verfassten Komödie eine „Talksondersendung“ angesetzt: mit dem Titel „Vorhang auf für Millowitsch und Co. – Volkstheater im Fernsehen“.

Das klingt als Abgesang eher missverständlich, soll aber wohl einen Rückblick samt größerem Rundblick verheißen. Damit schlägt kulturgemäß die Stunde der Erinnerung. Als Gott nämlich das Fernsehen schuf, war die Welt noch schwarzweiß. Auch die Welt jener Komödien, die das Fernsehtheater als meist samstagabendliche Volksunterhaltung anbot. Wobei der Begriff „Volk“, nach allem Nazi-Völkischen, erstmal möglichst unpolitisch sein sollte. Und das Theater vor allem populäre Unterhaltung. Dazu muss man aus dieser schwarz-weißen Vorzeit wissen: Das Fernsehen in jenen 1950er Jahren bot statt aufwendiger Spielfilme in einem heute schier unvorstellbaren Maße noch im Studio nachinszenierte Schauspiele des anspruchsvollen Theaters. Dramen also von Goethe und Schiller, von Dürrenmatt, Camus oder Max Frisch. Mit den herausragenden Bühnendarstellern der Epoche.

So entsprach’s dem noch ungebrochenen Bildungsauftrag der öffentlich-rechtlichen Anstalten. Doch am Wochenende sollte es zur Entspannung dann etwas weniger hochkulturell und hochsprachlich zugehen. Und das hieß Lustspiele im Dialekt. Keine komplizierte Handlung, kein dramatisch komplexes Zusammenspiel, sondern die direkte, gegenüber dem Publikum im Saal und am TV-Schirm immer frontale Zurschaustellung: von Verwechslungen, Mauscheleien, Klamauk.

1953 übertrug NWDR übertrug zum ersten Mal live aus einem Theater

Zum derart unterhaltsamen Gemütsleben der Bonner Republik gehörten, von Nord nach Süd, die fürs Fernsehen aus dem ursprünglich Plattdeutschen in ein spitz hanseatisches „Missingsch“ übersetzten Schwänke des Hamburger Ohnsorg-Theaters mit Heidi Kabel und Henry Vahl selig. Ebenso die kölschen Possen mit Willy Millowitsch, der häufig auch die Vorlagen schrieb, dazu mit Publikumslieblingen wie Lotti Krekel oder Trude Herr sowie bald auch Willy Millowitschs Kindern Peter, dem jetzigen Theaterleiter, und Mariele Millowitsch. Mariele übrigens ist auch promovierte Veterinärmedizinerin und dem heutigen Fernsehpublikum noch als ZDF-Kommissarin Marie Brand bekannt. Oder last but not least der Münchner „Komödienstadel“, ein reines Fernsehtheater, aber mit echt bayerischen Volkstheatercracks wie Erni Singerl, Gustl Bayrhammer und Maxl Graf.

Es sind Namen einer Ära, die auch weit in die farbig gewordenen Bildschirmzeiten reichte, aber am fast prähistorischen 27. Oktober 1953 begann. Der damals noch nordwestdeutsch genannte NWDR übertrug da anstelle einer ausgefallenen Sportsendung zum ersten Mal live aus einem Theater: aus Köln, wo Willy Millowitsch den „Etappenhase“ spielte. Ein Volksstück des eigentlich plattdeutschen Autors Karl Bunje aus den 1930er Jahren, in dem Willy als unbraver Soldat Anton im Flandern des Ersten Weltkriegs einer hungernden Bagage einen angeblich gefundenen Hasen bringt – der natürlich auch ein falscher Hase ist. Worauf nicht nur der Titelfigur ein wenig das Fell über die Ohren gezogen wird.

Damals, als die Deutschen nach dem nunmehr Zweiten Weltkrieg schon wieder satter und gemütvoll zu werden begannen, fanden Millionen in derlei Harmlosigkeiten Trost und Bestätigung.

Es sind die Verwechslungs- und Versteckspiele, die kleinen allzumenschlichen Sündenfälle, die dem Millowitsch-Theater mit der „Tante Jutta aus Kalkutta“ im Frühjahr 1962 die Rekordeinschaltquote von 88 Prozent aller Zuschauer einträgt. Freilich: auch mangels Konkurrenz. Denn das ZDF hatte gerade erst seit wenigen Monaten ein bundesweites Programm aufgenommen, und außer mit dem Ersten und Zweiten sah keiner fern, die Privatsender waren noch Zukunftsmusik.

Volkstheater war ein demokratischer Begriff

Antikomplex. Zuschauer und Akteur Aug in Aug.
Antikomplex. Zuschauer und Akteur Aug in Aug.

© ullstein bild

Ursprünglich hatte der Begriff Volkstheater, ebenso wie die Bezeichnung der Volksbühnen, von Wien bis Berlin um 1900 nur den Unterschied zum aristokratischeren Hoftheater (später: Staatstheater) markiert. Theater fürs Volk, für den Adel wie für alle Stände bis hin zu den Gaunern und Huren, spielte freilich schon Shakespeares Globe Theatre. Volkstheater oder zumindest bürgerliches Theater waren auch die Komödien von Molière, war die „Commedia dell’ Arte“, waren die dialektal gefärbten Stücke der österreichischen Komödiendichter Ferdinand Raimund und Johann Nestroy, deren Nachfahre in München der große Wortspieler Karl Valentin war. So, wie im Musiktheater die seriöse Oper von den Operetten eines Jacques Offenbach oder Franz Lehár populär kontrastiert und manchmal konterkariert wurde.

Volkstheater bedeutete also keinen Gegensatz zu „Kunsttheater“. Volkstheater war eher ein demokratischer Begriff, der die Schranken von E- und U-Kultur, von Hoch und Niedrig, Adel und Bürgertum überspielen sollte. Schon die frühesten antiken Komödien von Aristophanes oder Plautus machten ihre Witze auf Kosten der Götter und weltlichen Herrscher. Shakespeare verwischte ohnehin alle Trennungen von Tragödie und Komödie. Und das spätere Volkstheater hatte seine komödiantischen Wurzeln auch in der frühesten Pop-Kultur: im Karneval, im Gaukel- und Puppenspiel, in Jahrmarktsbuden, im Zirkus.

Die Familie Millowitsch, deren Vorfahren wohl im 18. Jahrhundert vom Balkan an den Rhein gekommen waren, auch sie stammt aus dem Schaustellermilieu. Längst bevor Josef Caspar und Franz Andreas Millowitsch um 1840 in Köln ein festes Theaterhaus gründeten, hatten die Millowitschs ihr Geld schon mit einer Puppenbühne im rechtsrheinischen Deutz verdient. Noch Anfang des 19. Jahrhunderts existierte dort keine Brücke hinüber nach Köln, und während die Leute auf die Fähre warteten, vertrieb ihnen auf der domlosen, weltlichen Seite des Flusses Millowitschs Marionettentheater gleich an der Anlegestelle die Zeit.

Millowitsch weiß noch nicht, ob er sein Theater am Leben erhalten kann

Willy Millowitsch (1909 – 1999), privat ein Tüftler mit Schrauben, Zangen, Kleinmaschinen und Ölkännchen, wäre übrigens lieber Ingenieur als Schauspieler und Theaterdirektor geworden. Sein Freund Jürgen Flimm, der Berliner Staatsopernintendant und frühere Chef des Kölner Schauspielhauses, hat 1999 im Kölner Dom die Abschiedsrede beim Staatsbegräbnis gehalten. Privat erzählt Flimm bis heute wunderbar komisch, wie „der Willy“ einst sein Lampenfieber und Stottern vertrieb: Er begann seine Auftritte bereits hinter der Bühne mit laut rumorten, nur als Ankündigungsgeräusche ins Publikum dringenden Fantasietexten, nahm so einen sich warmredenden Anlauf, der dann schon beim ersten Schritt hinaus auf die Bühne mit rasendem Applaus belohnt wurde. Ab dann konnte nichts mehr schiefgehen, und bisweilen reichte es, wenn sich Millowitsch als Zigarrenliebhaber in einer Szene mit Rauchverbot nur wie aus Versehen den brennenden Stumpen in die Hosentasche steckte und es vorne aus dem präparierten Schlitz zu qualmen begann.

Die Fernsehnation lachte prompt Tränen, die Millowitsch und sein einfaches, einfach menschenfreundliches Possentheater gleich im Handumdrehen wieder getrocknet haben.

Alles passé. Genau wie das einst erfolgreiche TV-Kabarett der Berliner Stachelschweine, des Düsseldorfer Kommödchens oder der Münchner Lach- und Schießgesellschaft. Selbst ein Gottschalk, der die Kulenkampffs, Frankenfelds, Carrells als Samstagabendunterhalter so populär beerbt hat, ist längst blondiertes Urgestein. Komödianten heißen jetzt Comedians und statt Kabarett gibt’s die „Heute-Show“.

Peter Millowitsch weiß noch nicht, ob er sein Theater künftig auch ohne die Sendegelder des WDR am Leben erhalten kann. Und doch ist ab 27. November noch nicht überall finita commedia.

Denn just am 27. Dezember startet im RBB-Fernsehen „Gutes Wedding, schlechtes Wedding“. Die gleichnamige, längst kultige Sitcom aus dem Prime Time Theater im Berliner Wedding.

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