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Ein Song aus „Die Tribute von Panem“ führte die Charts an.

© picture alliance/dpa/Murray Close

Filmmusik: Klingt nach Hollywood

Leise, hohe Violinentöne erzeugen Panik, bei lauten Hörnern springt der Zuschauer aus dem Kinosessel. Filmmusikkomponist James Newton Howard verrät seine Tricks.

Mr. Howard, mit dem Soundtrack zu „Die Tribute von Panem“ landeten Sie einen Welterfolg. War Ihnen beim Schreiben klar, dass da gerade etwas Besonderes entsteht?

Das war ein glücklicher Unfall. Jennifer Lawrence hasst es eigentlich, zu singen, hat sich dann aber doch dazu durchgerungen: „Are you, are you, hanging on the tree“. Die Musik steigert sich, bis es am Ende klingt, als würden hunderte Menschen marschieren.

Für „Pretty Woman“ haben Sie die Songs ausgewählt, von Ihnen stammt das Titelthema der Serie „Emergency Room“. Mehr als 130 Filme wie „Auf der Flucht“ oder „Blood Diamond“ tragen Ihre musikalische Handschrift. Welchen Soundtrack wüssten Sie gern besser im Gedächtnis der Zuschauer?

Ich mochte „Schnee, der auf Zedern fällt“. Leider hat den Film kaum jemand gesehen. Ich glaube, „King Kong“ war auch ziemlich gut …

… und schnell geschrieben.

Ja, das würde ich nie wieder tun. Schrecklich, fast vier Stunden Musik in viereinhalb Wochen! Das hat mich körperlich an meine Grenzen gebracht. Wir hätten für das Projekt eigentlich ein halbes Jahr gebraucht. Aber Bernard Herrmann, einer der großen deutschen Filmkomponisten, war auch ein Schnellschreiber und arbeitete mit Alfred Hitchcock. Wenn das für ihn okay war, ist es das für mich auch.

Wie unterscheidet sich das Arbeiten an Filmmusik von der Komposition eines Violinkonzertes?

Meine wichtigste Aufgabe ist, die Geschichte zu erzählen und Bilder und Handlung zu unterstützen. Ich darf dem Dialog nicht in die Quere kommen. Der Dialog ist König.

Das klingt unterwürfig.

In der Klassik musst du mit der Unendlichkeit umgehen. Beim Film ist das einfacher. Du setzt ein, wenn der Typ durch die Tür kommt, er bleibt 20 Sekunden, dann geht der Typ wieder zur Tür hinaus.

Das Wichtigste dabei ist …

… Musik zu schreiben, die den Leuten im Kopf bleibt, die ein Leben nach dem Film hat. Wie ein Souvenir, das die Zuschauer mit nach Hause nehmen.

Sie haben einmal gesagt, den größten Einfluss auf Sie hätte Ihre Großmutter gehabt, die Violinistin war.

Sie hatte ein kleines Piano, auf dem ich klimperte, und sie hat mein Talent erkannt. Also bekam ich Unterricht. Sie war keine glückliche Künstlerin, arbeitete zeitweilig als Köchin für Präsident Eisenhower, wurde aber wegen ihrer Trinkerei gefeuert. Als ich mit vier oder fünf Jahren meine ersten Klavierstunden nahm, war das für meinen Vater nicht leicht. Er hätte mir wohl liebend gern beim Baseball zugeschaut. Meine Mutter hat mich zweimal die Woche zum Unterricht gebracht, eine Stunde Autofahrt in jede Richtung.

"Elton John ist die größte Diva von allen"

Erfolge in Serie. Die Titelmusik zu „Emergency Room“ stammt von Howard.
Erfolge in Serie. Die Titelmusik zu „Emergency Room“ stammt von Howard.

© mauritius images/United Archives

Ihre musikalische Karriere ist nach der Schule nicht gerade mit einem Paukenschlag gestartet.

Ich nenne diesen Lebensabschnitt „Verloren in der Wildnis“: Mein Klavierstudium schmiss ich nach wenigen Wochen, obwohl ich ein Vollstipendium hatte. Ich wollte einfach keine klassische Musik mehr machen. Für einen Konzertpianisten wäre ich technisch nicht gut genug gewesen, das wurde mir damals klar. Plötzlich war ich praktisch für mehrere Jahre ohne festes Obdach, habe mich von einem Minijob zum nächsten gehangelt.

Damals haben Sie auch gelernt, wie man Kerzen zieht.

Das war in einer kleinen Fabrik, nicht viel größer als eine Garage. Ich bin Laster gefahren, stopfte Sofapolster aus, packte im Supermarkt Einkäufe ein. Damals habe ich allerdings auch ein bisschen mehr Gras geraucht, als gut gewesen wäre.

Sie waren so unglücklich mit sich?

Ich hatte Angst vor mir. Weil ich gemerkt habe, wie einfach es ist, in dieser Welt zu verschwinden. Du triffst ein paar falsche Entscheidungen, und plötzlich bist du einfach weg. Vielleicht bin ich deshalb heute ein Arbeitstier, weil ich in den 60ern und 70ern so viele Jahre verschwendet habe.

Danach ging es für Sie rasant bergauf. Sie wurden Rockmusiker, gingen als Keyboarder mit Elton John auf Tour. Wer sind die größeren Diven, Regisseure oder Rockstars?

Ich habe mit schwierigen Regisseuren gearbeitet. Manche sind sprunghaft, rüde, arrogant. Am schlimmsten sind faule Regisseure. Einige tendieren dazu, sich zurückzulehnen, nachdem die Dreharbeiten abgeschlossen sind. Dabei entsteht der eigentliche Film erst in der Post-Produktion. Da kannst du es vergolden oder richtig verbocken.

Und Elton John?

Auch wenn ich ihn über alles liebe: Elton ist die größte Diva von allen. Als wir „Elton John in Australia live“ – mit Symphonieorchester, im Sydney Opera House! – aufnehmen sollten, sagte Elton fünf Minuten vor Beginn, er werde nicht auftreten. Er verschwand einfach. Alle sind komplett ausgerastet, in Panik geraten. Dann stand er plötzlich auf der Bühne und lieferte eine brillante Performance ab.

Heute ist Ihr Alltag der eines Büroarbeiters. Fällt es Ihnen da schwerer, spontan zu sein und Einfälle zu entwickeln?

Kreativität ist ein Muskel, den du jeden Tag trainieren musst. Und je mehr du schreibst, desto weniger ist Angst ein dominierender Faktor. Ich komme um neun ins Büro, schreibe bis Mittag, dann Lunch und eine kleine Siesta. Danach schreibe ich wieder bis sechs, sieben Uhr am Abend. Anschließend Sport.

Im Studio sitzen Sie vor diversen Monitoren, Tastaturen, einem Synthesizer und einem riesigen Fernseher. Trotzdem liegen hier Stift und Notenpapier. Geht nichts über das altmodische Komponieren?

Manche Sachen muss ich auf Papier festhalten, um die richtigen Melodien, die Stimmführung herauszufinden. So kann ich Harmonien besser erkennen. Und das Aufschreiben hilft natürlich, sich Dinge zu merken. Den Fernseher brauche ich, um die Szenen auf mich wirken zu lassen – und am Rechner editiere ich, ändere den Sound. Für das Intro zu „Fantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind“ habe ich 43 verschiedene Versionen geschrieben. Erst ein Klavierintro, dann was mit Hörnern und Trompeten, später mit Streichern. Mein Freund Hans Zimmer hat eine unglaubliche Datenbank mit Sounds produzieren lassen. Wir komponieren beide orchestral, auch wenn Hans sehr viel mehr Rock ’n’ Roll ist. Jede Note wurde vom London Symphonic Orchestra eingespielt. Die nutze ich auch, so kann ich mit jeder Taste ein ganzes Orchester zum Klingen bringen.

Beethoven wäre ein schrecklicher Filmkomponist

Gold wert. Der Soundtrack zu „Blood Diamond“ von 2006 wurde „Soundtrack of the Year“ – und war für einen Grammy nominiert.
Gold wert. Der Soundtrack zu „Blood Diamond“ von 2006 wurde „Soundtrack of the Year“ – und war für einen Grammy nominiert.

© mauritius images/United Archives

Was ist die gruseligste Szene, die Sie je vertont haben?

Die ist aus „The Sixth Sense“, einem Psychothriller mit Bruce Willis. Darin geht es um einen Jungen, der mit den Toten kommunizieren kann. Gleich am Anfang ist da dieser Eindringling, dieser Patient in der weißen Unterwäsche, der plötzlich im Badezimmer steht. Der Typ ist so angsteinflößend, weil er real sein könnte. Jeder kann sich vorstellen, dass er nach Hause kommt und da ein Freak mit einem Gewehr im Badezimmer steht.

Welches Instrument ist besonders dafür geeignet, dem Publikum Angst einzujagen?

Manchmal sind die kleinen, ruhigen Töne am allergruseligsten. Dann lehnt sich der Zuschauer nach vorn und fragt sich angespannt, was als Nächstes passiert. Sehr hohe Violinen funktionieren ganz wunderbar. Wenn du willst, dass der Zuschauer erschrocken aus dem Sessel springt, brauchst du dagegen laute Hörner und Trommeln.

Bringen Sie die Gefühle, die ein Film auslösen soll, überhaupt erst zum Vorschein?

Die Musik hilft dem Zuschauer dabei, die emotionale Perspektive besser zu verstehen. Ist die Szene aus der Sicht des kleinen Jungen, aus der des Mädchens – oder aus der Sicht von Bruce Willis erzählt? Wir Komponisten decken das auf.

Unter Cineasten gibt es zwei gegensätzliche Schulen. Die eine behauptet, Filmmusik sei nur gut, wenn man sie bemerkt, die andere glaubt, der Soundtrack solle nur unterbewusst wirken. Was stimmt?

Beides. Oft merken die Zuschauer gar nicht, dass in einer Szene Musik läuft. Doch es würde drastisch auffallen, wenn sie fehlen würde. Die Handlung verliert an Tempo, es würde nicht funktionieren. Aber an anderer Stelle, und das wird immer häufiger, wollen die Regisseure große, manchmal geheimnisvolle Kulissen aufbauen. Manchmal zwei oder drei Minuten lang nur Musik. Das ist ein recht neues Phänomen.

Welches Genre würden Sie nie auf ein Demo packen?

Ich bin kein großer Fan von Polka, Speed Metal und Death Metal. Wenn ich da was komponieren müsste, würde ich jemanden anrufen, der Ahnung davon hat, und mit ihm zusammenarbeiten. Ich bin wie ein Chamäleon, das sich gut anpassen kann.

Trommeln und treibende Rhythmen, wenn eine Szene in Afrika spielt, ein süßliches Violinkonzert, während jemand in einem Café in Rom seinen Espresso trinkt. Wie wichtig sind Klischees für Filmmusik?

Man muss da aufpassen und die Balance halten. Wir drehen ja keine Reisetagebücher. Ich kann nicht meine gesamte Komposition davon abhängig machen, ob die Instrumentierung geografisch korrekt ist. Ein kleiner Schubs in die richtige Richtung reicht meist schon aus. Bei „Blood Diamond“ habe ich so gearbeitet. Da ist Leonardo DiCaprio als Diamantensucher in Sierra Leone unterwegs. Ab und zu kommen schon ein paar afrikanische Instrumente zum Einsatz. Aber bitte nicht übertreiben, sonst wird es schnell kitschig!

Hätte Ludwig van Beethoven, Ihr Lieblingskomponist, gute Filmmusik geschrieben?

Nein! Er wäre sicher ganz schrecklich darin. Wie gesagt, als Filmkomponist musst du nach den Vorstellungen des Regisseurs schreiben können – ob dir das gefällt oder nicht. Ich glaube kaum, dass Beethoven dafür zur Verfügung gestanden hätte. Für keinen Regisseur.

James Newton Howard geht auf Europatour

Komponist James Newton Howard
Komponist James Newton Howard

© imago/CTk Photo

Im Studio in L. A.

Eine ruhige Seitenstraße in Santa Monica, Bungalow, schwere Stahltür: Von außen sieht sein Studio in Los Angeles unscheinbar aus. In der Lobby steht eine Tischtennisplatte, am Ende des Flurs hat Howard einen Fitnessraum und eine Küche. Die Wände hängen voller Silber-, Gold- und Platin-Schallplatten. Das Herzstück des Studios ist ein dunkler, holzverkleideter Raum. Hier komponiert der 66-Jährige. Sein Schreibtisch ist maßgefertigt, darin eingelassen ein elektrisches Piano. Der Flügel hat einen eigenen Raum. Ein halbes Dutzend Monitore und – ganz klassisch – ein Schreibpult mit Notenpapier bilden einen Halbkreis. An der Wand hängt ein riesiger HD-Fernseher, irgendwo muss Howard die Filme ja schauen. Der Sound: gigantisch, Tageslicht: keins. Im Anschluss lädt er zum Barbecue in seinen Garten wenige Kilometer entfernt ein.

Ruhm und Ehre

Howard ist einer der wichtigsten Komponisten Hollywoods und seit fast vier Jahrzehnten im Geschäft. Er hat mehr als 100 Filme vertont, war acht Mal für den Oscar und vier Mal für den Golden Globe nominiert, er wurde mehrfach zum Komponisten des Jahres gewählt.

Live-Konzerte

Nun zieht es ihn wieder selbst ins Rampenlicht. Howard geht mit großem Orchester auf Europatour, mit Soundtracks von „Vertical Limit“ bis „Die Tribute von Panem“, von „King Kong“ bis „Blood Diamond“.

Am 21. November tritt er um 20 Uhr im Berliner Tempodrom auf. Tickets für „The Sound of Hollywood“ im Vorverkauf oder unter semmel.de.

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